JudikaturOGH

11Os4/19a – OGH Entscheidung

Entscheidung
26. Februar 2019

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 26. Februar 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der FOI Bayer als Schriftführerin in der Strafsache gegen C***** und S***** wegen der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 206 Abs 1, 15 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 3. August 2018, GZ 182 Hv 53/17p 49, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Den Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden – jeweils richtig (§ 61 zweiter Satz StGB): nach den Gesetzen idgF – C***** der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 206 Abs 1, 15 StGB (I./A./) und des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 207 Abs 1, 15 StGB (I./B./), weiters der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach §§ 212 Abs 1 Z 1, 15 StGB (richtig: zu I./C./i./ und ii./) und des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen nach § 92 Abs 1 StGB (II./) sowie S***** der Vergehen des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen nach § 92 Abs 1 StGB (II./) schuldig erkannt.

Danach haben „in Graz

I./ C***** mit seiner am ***** 1991 geborenen Stieftochter M*****

A./ im Zeitraum vom 1. Oktober 1998 bis 30. Dezember 2005 ca wöchentlich mit einer sohin unmündigen Person den Beischlaf oder dem Beischlaf gleichzusetzende [geschlechtliche] Handlungen teils unternommen, teils zu unternehmen versucht, indem er sie in mehrfachen Angriffen digital, lingual und mit einem Dildo vaginal penetrierte und den Oralverkehr sowie den vaginalen Geschlechtsverkehr mit ihr teils zu vollziehen versuchte, teils ersteren vollzog und teils an sich vollziehen ließ;

B./ im Zeitraum ca 1996/1997 bis 30. Dezember 2005 außer dem Fall des § 206 StGB eine geschlechtliche Handlung von einer unmündigen Person an sich vornehmen lassen und an dieser vorgenommen, indem er sie über die unter Punkt I./A./ angeführten Taten hinaus in mehrfachen Angriffen im Genitalbereich und an den Brüsten berührte, wobei es während deren Unentwickeltheit noch beim Versuch blieb, sie nackt auf seinen entblößten Schoß setzte, ihren Scheidenbereich an seinem Penis rieb und von ihr an seinem Penis Handverkehr durchführen ließ;

C./ durch die zu I./A./ und I./B./ angeführten Taten (US 10; und gleichgelagerte Handlungen danach)

i./ im Zeitraum ca 1996/1997 bis 30. April 2004 sein minderjähriges Stiefkind zur Unzucht missbraucht;

ii./ im Zeitraum 1. Mai 2004 bis zumindest 30. Dezember 2009 mit seinem minderjährigen Stiefkind eine geschlechtliche Handlung vorgenommen oder von einer solchen Person an sich vornehmen lassen;

II./ C***** und S*****, diese teils als Bestimmungstäterin, zu nicht näher bekannten Zeitpunkten, der am ***** 1991 geborenen M***** im Zeitraum 1993/1994 bis 30. Dezember 2009 und den am ***** 1993 geborenen [Zwillingen] St***** und Ch***** im Zeitraum 2001/2002 bis 2006, sohin ihren Kindern bzw Stiefkindern, die ihrer Fürsorge und Obhut unterstanden und das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, körperliche und seelische Qualen zugefügt, und zwar

A./ durch ca drei bis fünf Mal pro Woche versetzte teils heftige Schläge mit der flachen Hand oder der Faust, mit einem Gürtel, mit Antennenkabeln oder mit einem Kochlöffel, bis dieser brach, mit einem Besenstiel, 'Fliegenpracker' oder Staubsaugerrohr jeweils gegen den gesamten Körperbereich, durch das Versetzen von Schlägen gegen den Gesäßbereich, bis sie urinierten, und weiters durch Versetzen von Stößen, Würgen und Tritten (Hämatome am ganzen Körper, und zwar an Unter- und Oberarmen und Oberschenkeln, Striemen an den Oberschenkeln, blutende Nase, Kratzer, Rötungen, Angstzustände und Panikattacken), darüber hinaus durch Erfassen am Hals und Werfen gegen die Badezimmertüre, St***** durch das Versetzen von Schlägen mit den Stahlnoppen von Fußballschuhen gegen den Kopfbereich bis zur Bewusstlosigkeit, M***** durch Nachwerfen von Gegenständen, Ziehen an den Haaren und Anspucken sowie

B./ durch stundenlanges In-der-Ecke-Stehen, kalt Abduschen und tägliches Beschimpfen als 'Drecksau, Nutte, Hure, Herdkatze, Krippel uä' sowie durch regelmäßiges Ankündigen von Misshandlungen.“

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richten sich die gemeinsam ausgeführten und auf § 281 Abs 1 Z 4, 5 und 10 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten.

Einleitend ist zu bemerken, dass – zufolge (undifferenziert) gemeinsam erstatteter Beschwerdeausführung – dem Vorbringen der Angeklagten S*****, soweit es sich auch auf jene (sie nicht betreffende) Schuldsprüche des Mitangeklagten C***** (I./A./, I./B./ und I./C./) bezieht, die Legitimation fehlt (§ 282 Abs 1 StPO; Ratz , WK StPO § 282 Rz 27;

RIS Justiz RS0099257 [T4]).

Durch die – aus § 281 Abs 1 Z 4 StPO gerügte – Ablehnung der Vernehmung von Dr. W***** und Dr. E***** als Zeugen wurden keine Verteidigungsrechte der Angeklagten verletzt. Selbst wenn diese Ärzte – wie behauptet – nach Ablauf von neun Jahren (seit Ende des zu II./ inkriminierten Verhaltens) noch zu bestätigen in der Lage sein sollten, dass sie M*****, Ch***** und St***** seinerzeit „regelmäßig untersuchten“, Dr. E***** die Familie auch „mehrmals wöchentlich“ als Hausarzt aufgesucht hat, weil S***** an einer rheumatischen Erkrankung litt, und dabei „zu keiner Zeit blaue Flecken, Striemen oder Anzeichen körperlicher Gewalt“ an den Kindern wahrnehmbar waren (ON 26 S 63 und ON 37 S 21), wurde – auch mit Blick auf die aktenkundigen Ambulanzbehandlungen der M***** (ON 8 S 34 ff) – nicht dargetan, inwieweit durch eine (fehlende) Wahrnehmung von Verletzungsanzeichen durch die genannten Ärzte der Nachweis zu erbringen sei, dass es „zu keinem Zeitpunkt körperliche Misshandlungen durch die Angeklagten gegenüber ihren Kindern gegeben hat“. Die Antragstellung war solcherart auf unzulässige Erkundungsbeweisführung gerichtet (RIS-Justiz RS0107040).

Dem Vorwurf der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zuwider waren die Tatrichter, die die Abläufe der im Krankenhaus durchgeführten Untersuchungen an der damals 13 jährigen M***** (US 11, 13) sowie den dabei erstatteten psychologischen Befund vom 22. März 2005 (vgl ON 7 S 25 f = ON 8 S 44 f) durchaus beleuchteten (US 13), keineswegs dazu verhalten, zu jeder einzelnen Passage des psychologischen Untersuchungsergebnisses (über die Schulunlust, den Motivationsabfall und eine Angst-, Aggressions- und Minderwertigkeitsproblematik dieses Opfers) Stellung zu nehmen bzw die darin gebotene psychologische Interpretation des ihren Stiefvater zunächst be- und schließlich entlastenden Aussageverhaltens der kindlichen Patientin (als Hinweis auf „Konfabulationstendenzen“) einer eigenständigen Erörterung zu unterziehen (RIS Justiz RS0097540 [T1, T12, T22, T27]).

Gleiches gilt für die vermisste Berücksichtigung eines „Arztbriefs vom 24. März 2005“, der betreffend die (in der Beschwerde angesprochene) psychische Verfassung des Kindes bloß die zuvor genannte psychologische Einschätzung vom 22. März 2005 wiedergibt (ON 8 S 46 f; ON 7 S 19 f).

Unter dem Gesichtspunkt der „Unvollständigkeit“ bzw der „Aktenwidrigkeit“ (Z 5 zweiter und fünfter Fall) kritisiert die Beschwerde, es sei „nicht ersichtlich“, wie „das Gericht zur Auffassung gelangte“, dass es „bereits ab 1996/1997 zu den sexuellen Übergriffen kam“ (der Sache nach Z 5 vierter Fall). Sie übersieht dabei, dass sich die Tatrichter insofern auf die Aussage des Opfers (insbesondere auch zur zeitlichen Einordnung der Vorfälle und ihrer Einschulung; vgl ON 12 S 18) sowie überdies auf Bekundungen des N***** R***** (betreffend zu I./B./ inkriminierter Missbrauchshandlungen; vgl ON 8 S 67 und ON 26 S 57) bezogen (US 12 ff). Die dagegen gerichtete Argumentation, M***** sei erst „ca. im Jahr 1998“ in die Volksschule gekommen, weshalb sich „die Tathandlungen nach §§ 206 und 207 StGB“ „überschneiden“ und nicht „unter verschiedene Tatbestände“ hätten „subsumiert werden dürfen“, erschöpft sich in der schlichten Bestreitung der – nicht undeutlich (Z 5 erster Fall) gebliebenen – Urteilsannahmen zu den jeweiligen Abläufen der zu I./A./ und I./B./ inkriminierten Geschehen (US 2 und 9 ff).

Entgegen dem (zu II./ vorgebrachten) Einwand fehlender Erörterung der „Untersuchungsergebnisse der gynäkologischen Untersuchung vom 15. März 2005“ (Z 5 zweiter Fall) wurde dieser Befundbericht (ON 8 S 39 f) nicht mit Stillschweigen übergangen, sondern in die Urteilserwägungen miteinbezogen (US 11, 13); dass aus diesem Bericht aus Beschwerdesicht auch andere als die vom Schöffengericht gezogenen Schlussfolgerungen möglich gewesen wären, stellt kein aus Z 5 beachtliches Urteilsdefizit her.

Die ihrer Zielrichtung nach das Vorliegen einer tatbestandlichen Handlungseinheit der zu I./A./ und I./B./ inkriminierten Geschehen (vgl RIS Justiz RS0120233) behauptende Subsumtionsrüge (Z 10), es hätte – zumal „das Betasten der nackten Brüste“, das „Setzen auf den entblößten Schoß“, das „Reiben des Scheidenbereichs am Penis“ und das „Durchführen des Handverkehrs am Penis des Erstangeklagten“ „in einem unmittelbaren einheitlichen Tatkomplex standen“ – „eine gesonderte Verurteilung nach § 207 StGB“ nicht erfolgen dürfen, weil diese Handlungen „durch die schweren Missbrauchshandlungen des § 206 StGB konsumiert werden“, nimmt nicht Maß an der – den Bezugspunkt der Anfechtung bildenden – Gesamtheit der Urteilsannahmen (US 2, 9 ff):

Danach setzte der Angeklagte zunächst ab ca 1996/1997 wöchentlich die ihm zu I./B./ angelasteten Übergriffe mit dem Vorsatz, geschlechtliche Handlungen an der Unmündigen vorzunehmen bzw von dieser an sich vornehmen zu lassen, und nahm – in weiterer Folge – anlässlich des Vorfalls im Oktober 1998 erstmalig eine (zu I./A./ beschriebene) Beischlafs- bzw einem solchen gleichzusetzende geschlechtliche Handlung mit darauf gerichtetem Vorsatz an der Unmündigen vor, was er sodann ebenfalls (wöchentlich) wiederholte. Die Argumentation, es sei den Urteilsfeststellungen „nicht mit der notwendigen Deutlichkeit zu entnehmen, ob das Betasten der nackten Brüste von M***** stets oder auch nur in einzelnen Fällen mit dem Beischlaf oder dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlungen unternommen wurden“, entfernt sich solcherart vom gesetzlich vorgesehenen Anfechtungsrahmen ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 581 und 584; RIS Justiz RS0099810).

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bei nichtöffentlicher Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rückverweise