JudikaturOGH

9ObA114/18g – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. November 2018

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Johannes Püller und Mag. Andreas Schlitzer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mag. M***** G*****, vertreten durch Mag. Thomas Majoros, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Ö*****, vertreten durch Dr. Gustav Teicht, Dr. Gerhard Jöchl Kommandit-Partnerschaft in Wien, wegen 8.375,51 EUR brutto sA, über die Revision der beklagten Partei (Revisionsstreitwert: 7.323,58 EUR sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. Juli 2018, GZ 10 Ra 9/18v 13, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 14. September 2017, GZ 3 Cga 17/17s 8, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 833,80 EUR (darin 138,98 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Klägerin ist seit 1. 7. 2004 bei der Beklagten beschäftigt.

Der Angestelltenbetriebsrat der Beklagten war bereits im Jahre 2008 an die Beklagte mit der Auffassung herangetreten, dass die Mehr- bzw Überstunden der Mitarbeiter unter Anwendung unzulässiger Durchrechnungszeiträume unrichtig abgerechnet würden. Die Beklagte räumte nach einer Prüfung Fehler bei der Abrechnung ein und erklärte sich grundsätzlich zur Leistung von Nachzahlungen bereit, wegen des großen administrativen Aufwands strebte sie allerdings eine Pauschalabgeltung an.

In den Folgejahren wurden umfangreiche Verhandlungen und gerichtliche Musterverfahren über die Modalität der Nachverrechnung geführt. Am 10. 9. 2014 erklärte die Beklagte schließlich in einem Schreiben an alle Mitarbeiter, ihren (im Mai 2008 in einem E-Mail an den Betriebsrat erklärten) Verjährungsverzicht bezüglich der offenen Mehr- und Überstundendifferenzen mit sofortiger Wirkung zu widerrufen. Dennoch fanden auch nach diesem Schreiben noch weitere Vergleichsgespräche zwischen Beklagter, Betriebsrat und Gewerkschaft statt, die letztlich aber am 5. 12. 2014 endgültig scheiterten.

Daraufhin brachte der Angestelltenbetriebsrat der Beklagten am 30. 12. 2014 einen Feststellungsantrag gemäß § 54 Abs 1 ASGG mit dem Begehren ein, „dass die als medizinisches Personal in der Blutspendezentrale für Wien, Niederösterreich und Burgenland beschäftigten Angestellten der beklagten Partei, deren Dienstverhältnis vor dem 1. 2. 2010 begründet wurde, ungeachtet einer von der beklagten Partei behaupteten Verjährung Anspruch auf Abgeltung sämtlicher von ihnen ab 1. 1. 2008 geleisteten Mehrstunden unter Zugrundelegung eines monatlichen Durchrechnungszeitraums sowie sämtlicher im Zeitraum 1. 3. 2005 bis 30. 8. 2014 geleisteten Überstunden ohne Anwendung eines Durchrechnungszeitraums, somit unter Zugrundelegung einer täglichen und wöchentlichen Betrachtungsweise“, hätten.

Mit Urteil vom 25. 11. 2015 wies das Erstgericht das – mit Schriftsatz vom 7. 4. 2015 geringfügig modifizierte – Feststellungsbegehren sowie die von der Klägerin erhobenen Eventualbegehren ab. Das Erstgericht begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, es habe kein rechtsgültiger Verjährungsverzicht vorgelegen, seitens der Beklagten sei jedoch ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden, aufgrund dessen die betroffenen Arbeitnehmer einer Verjährungseinrede die Replik der Arglist entgegenhalten könnten, sofern nach Wegfall des Vertrauenstatbestands binnen angemessener Frist Klage eingebracht werde. Da die Frage der Rechtzeitigkeit jeweils vom Einzelfall abhänge, sei die Klage aber abzuweisen. Das diese Entscheidung bestätigende Berufungsurteil (OLG Wien 10 Ra 26/16s vom 25. 10. 2016) wurde den Parteien am 11. 11. 2016 zugestellt.

Mit ihrer vorliegenden, am 31. 1. 2017 eingebrachten Klage begehrt die Klägerin von der Beklagten 8.375,51 EUR sA an restlichem Entgelt für die von ihr im Zeitraum 1. 3. 2005 bis 31. 12. 2014 geleisteten Mehr- und Überstunden. Im Revisionsverfahren ist dem Grunde nach nur mehr ein Anspruch von 7.323,58 EUR für die Zeit von 1. 3. 2005 bis 31. 12. 2013 strittig.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren dem Grunde nach und wandte Verjährung der Klagsforderung ein. Die Leistungsklage hätte innerhalb angemessener Frist ab September 2014 eingebracht werden können. Da die Klägerin über zwei Jahre untätig geblieben sei, seien ihre Ansprüche verjährt. Das Feststellungsverfahren habe mangels Identität des Streitgegenstands zu keiner Hemmung der nunmehr von der Klägerin geltend gemachten Individualansprüche geführt. Das Feststellungsverfahren sei daher nicht geeignet gewesen, der Klägerin die Replik der Arglist zu wahren. Jedenfalls habe sich das Feststellungsverfahren nur auf zum 30. 12. 2014 noch nicht verjährte Ansprüche beziehen können.

Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren statt. Infolge hemmender Wirkung des Feststellungsverfahrens (§ 54 Abs 5 ASGG) sei die gegenständliche Leistungsklage rechtzeitig eingebracht worden. Der Individualklage liege derselbe anspruchsbegründende Sachverhalt zugrunde wie der Feststellungsklage.

Das Berufungsgericht hat die ordentliche Revision unter Hinweis auf die Zulassungsbegründung in mehreren Parallelverfahren und damit mit der Begründung zugelassen, dass oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob die Hemmungswirkung des § 54 Abs 5 ASGG auch die „angemessene Frist“ zur Geltendmachung von Ansprüchen nach Widerruf einer Verjährungsverzichtserklärung umfasst, fehle.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Obersten Gerichtshof in den Parallelfällen ergangenen Entscheidungen 9 ObA 48/18a, 9 ObA 60/18s und 9 ObA 61/18p, denen ein gleichartiger Sachverhalt zugrunde lag, waren zum Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts noch nicht veröffentlicht, weshalb das Berufungsgericht davon keine Kenntnis hatte.

In diesen Entscheidungen, jüngst auch 8 ObA 40/18t, wurde klargestellt, dass schon aufgrund der für alle Betroffenen geführten Verhandlungen über eine gütliche Lösung und der nach dem Abbruch der Gespräche unverzüglich eingebrachten Feststellungsklage keine Verjährung von Ansprüchen mit Fälligkeit vor dem 30. 12. 2011 eingetreten ist und durch die noch innerhalb der Verjährungsfrist erhobene Feststellungsklage nach § 54 Abs 1 ASGG der Ablauf der Verjährungsfrist für die gerichtliche Geltendmachung der Ansprüche der Klägerin mit der nunmehrigen Leistungsklage gehemmt war (§ 54 Abs 5 Satz 2 ASGG). Auf die von den Berufungsgerichten jeweils bezeichnete erhebliche Rechtsfrage kam es daher nicht an.

Die Revision der Beklagten ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts – nicht zulässig, weil sie auch keine andere Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO anspricht. Auf die vorgenannten Entscheidungen wird verwiesen.

Die erstmaligen Ausführungen in der Revision, es habe betreffend die Klägerin keine Vergleichsverhandlungen gegeben, bieten keinen Anlass von der vorliegenden Rechtsprechung abzugehen. Richtig ist, dass der Betriebsrat nicht der (gesetzliche) Vertreter der Belegschaft oder einzelner Arbeitnehmer in Bezug auf deren privatrechtliche Ansprüche ist (RIS-Justiz RS0035156). Derartiges wurde auch gar nicht behauptet. Für die Beklagte konnte aber kein Zweifel bestehen, dass Betriebsrat und Gewerkschaft im Namen aller betroffenen Mitarbeiter, also auch der Klägerin, Vergleichsverhandlungen führten (vgl RIS Justiz RS0019516). Nach den bindenden Feststellungen forderte die damalige Betriebsratsvorsitzende „im Auftrag“ bzw „im Namen“ der Betroffenen bzw „stellvertretend“ für alle Betroffenen (Ersturteil S 41 f), wozu auch die Klägerin unstrittig zählte, bereits im Jahr 2008 von der Beklagten eine Nachverrechnung der geleisteten Mehr- und Überstunden der letzten drei Jahre. Im Juni 2009 unterbreitete die Beklagte daraufhin sämtlichen betroffenen Arbeitnehmern – auch der Klägerin – konkrete Vergleichsangebote. Ab etwa Mitte des Jahres 2013 führte die Gewerkschaft in maßgeblicher Rolle konkrete Vergleichsgespräche mit Vertretern der Beklagten und forderte ihrerseits pauschalierte Vergleichsangebote für die betroffenen Mitarbeiter. Dies sagte die Beklagte ursprünglich auch zu. Am 10. 9. 2014 teilte die Beklagte auch der Klägerin mit, dass sie die allenfalls ihr oder dem Betriebsrat gegenüber abgegebenen Verjährungs-verzichtserklärungen widerrufe. Die Klägerin hat sich die Handlungen des Betriebsrats und der Gewerkschaft zugerechnet und damit die von Betriebsrat und Gewerkschaft „für alle Betroffenen“ geführten Vergleichsgespräche nachträglich genehmigt (vgl RIS-Justiz RS0019572). Vom Fehlen von Vergleichsverhandlungen betreffend die Klägerin ist daher nicht auszugehen.

Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO war die Revision der Beklagen zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision der Beklagten in ihrer Revisionsbeantwortung hingewiesen.

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