JudikaturOGH

9ObA108/18z – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. November 2018

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Hon. Prof. Dr. Dehn und Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Johannes Püller und Mag. Andreas Schlitzer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei R*****, vertreten durch Mag. Victoria Treber-Müller, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Ö***** GmbH, *****, vertreten durch CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 29. August 2018, GZ 8 Ra 48/18i 46, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Auf das Dienstverhältnis des Klägers zur Beklagten (bzw deren Rechtsvorgängerin) ist unstrittig die als Kollektivvertrag gemäß § 19 Abs 4 PTSG geltende Dienstordnung der Beklagten (DO) anwendbar.

Die Beklagte hat die Kündigung des Klägers – soweit für das Revisionsverfahren noch von Relevanz – auf § 48 Abs 2 lit b DO  gestützt. Diese Bestimmung entspricht § 32 Abs 2 Z 2 VBG 1948 (9 ObA 42/10g), weshalb zur Auslegung auf die dazu ergangene Judikatur, zuletzt etwa 9 ObA 153/17s und 9 ObA 70/18m, zurückgegriffen werden kann.

2. Nach § 48 Abs 2 lit b DO 2009 ist die Beklagte zur Kündigung eines Bediensteten berechtigt, wenn sich dieser für eine entsprechende Verwendung als geistig oder körperlich ungeeignet erweist. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn der Dienstnehmer nicht mehr die für die Erfüllung seiner dienstlichen Aufgaben erforderliche gesundheitliche Eignung besitzt.

Aber auch dann, wenn der Dienstnehmer grundsätzlich für seine Arbeit körperlich geeignet ist, ist dieser Kündigungsgrund verwirklicht, wenn Krankenstände auftreten, die den Bediensteten laufend in einem weit über dem Durchschnitt liegenden Maß an der Dienstleistung hindern (RIS Justiz RS0081880). Die Erfüllung der Dienstpflichten umfasst nämlich nicht nur die Arbeitsleistung an sich, sondern auch deren Verfügbarkeit für den Dienstgeber (8 ObA 230/01h; 9 ObA 56/02d).

2. Eine starre Grenze für überhöhte Krankenstände in Bezug auf deren Häufigkeit und Dauer besteht nicht (8 ObA 21/14t mwN). Bei der Annahme überdurchschnittlicher Krankenstände orientiert sich die Rechtsprechung an Krankenständen, die jährlich sieben Wochen und darüber ausmachen (8 ObA 110/06v; 9 ObA 33/12m; vgl RIS Justiz RS0113471). Beim Erfordernis des „längeren Zeitraums“ wird von der Rechtsprechung darauf abgestellt, dass sich die über dem Durchschnitt liegenden Krankenstände über mehrere Jahre erstreckten (9 ObA 33/12m ua).

3. Kommen solcherart überhöhte Krankenstände als Kündigungsrechtfertigungsgrund in Betracht, so muss der Dienstgeber eine objektive Zukunftsprognose über die weitere Dienstfähigkeit des betroffenen Dienstnehmers anstellen, die im zeitlichen Zusammenhang mit dem Kündigungszeitpunkt zu erstellen ist (9 ObA 119/12h; 8 ObA 21/14t).

Eine ungünstige Prognose kann etwa aus der anhaltend steigenden Zahl der Krankheitstage bei regelmäßigen Krankenständen oder aus einer objektivierten Verschlechterung des Grundleidens abgeleitet werden (8 ObA 21/14t). Bei dieser Beurteilung darf auch die Art der Erkrankung samt deren Ursache und die daraus ableitbare gesundheitliche Situation des Dienstnehmers und Eignung für die Erfüllung der Dienstpflichten in der Zukunft nicht außer Betracht bleiben (9 ObA 133/13v; 8 ObA 21/14t). Schließlich trägt der für das Vorliegen des Kündigungsgrundes behauptungs- und beweispflichtige Dienstgeber das Risiko, dass sich der von ihm angenommene Kündigungsgrund später (im gerichtlichen Verfahren) als nicht berechtigt erweist (vgl RIS Justiz RS0110154).

4. Im vorliegenden Fall wurde festgestellt, dass beim Kläger aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur bei ausgeprägten Konfliktsituationen mit Vorgesetzten oder Fahrgästen oder weitergehenden beruflichen Veränderungen mit großer Wahrscheinlichkeit von (erneuten) depressiven Phasen auszugehen ist, deren Heilung längere Zeit in Anspruch nehmen kann. Sämtliche berufliche Belastungen, Konflikte und unerwünschte Veränderungen stellen Risikofaktoren für neue Krankenstände dar. Es konnte aber nicht festgestellt werden, welche Ereignisse mit welcher neuerlichen depressiven Phase von welcher Dauer einhergehen.

Wenn die Vorinstanzen vor diesem Hintergrund die Rechtsauffassung vertraten, dass der Beklagten der Beweis nicht gelungen ist, dass auch in Zukunft mit weit über dem Durchschnitt liegenden Krankenständen zu rechnen ist, ist dies nicht korrekturbedürftig.

Wenn die Revision dagegen davon ausgeht, dass derartige Konflikte im alltäglichen Betrieb unvermeidbar und damit lang dauernde Krankenstände jedenfalls zu erwarten seien, übergeht sie, dass nach den Feststellungen nur bei ausgeprägten Konfliktsituationen mit längeren Krankenständen zu rechnen ist und letztlich offen bleiben musste, welche Situationen in welchem Ausmaß zu Krankenständen führen können. Aus diesen Feststellungen ergibt sich aber gerade nicht, dass die unvermeidliche Alltagsbelastung notwendigerweise Krankenstände zur Folge hat, was sich nicht zuletzt auch daran zeigt, dass der Kläger etwa von Mitte 2014 bis Anfang 2016 keine auf psychische Probleme zurückzuführende Krankenstände aufwies.

Nicht festgestellt werden konnte auch, inwieweit Routen- oder Fahrplanänderungen für den Kläger eine derartige Belastung darstellen können, dass dies Krankenstände zur Folge hat. Soweit die Beklagte sich daher auf die theoretische Möglichkeit beruft, dass sie in einem laufenden Ausschreibungsverfahren keinen Zuschlag mehr für die Linie erhält, auf der der Kläger eingesetzt ist, wäre aus entsprechenden Feststellungen für sie nichts zu gewinnen.

5. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

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