JudikaturOGH

3Ob169/18a – OGH Entscheidung

Entscheidung
24. Oktober 2018

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Roch und Dr. Rassi und die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der (klagenden und) gefährdeten Partei mj G*****, geboren ***** 2005, vertreten durch seine Mutter C*****, beide *****, vertreten durch Dr. Karin Prutsch, Mag. Michael F. Damitner und Mag. Vanco Apostolovski LL.M., Rechtsanwälte in Graz, gegen die (beklagte und) Gegnerin der gefährdeten Partei S*****gesellschaft m.b.H., *****, vertreten durch die Lansky, Ganzger Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen medizinischer Behandlung (31.000 EUR) und Feststellung (3.000 EUR), hier wegen einstweiliger Verfügung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Rekursgericht vom 6. August 2018, GZ 2 R 120/18m 18, mit dem der Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 17. Juli 2018, GZ 10 Cg 64/18z 13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung über den Rekurs an das Rekursgericht zurückverwiesen.

Die gefährdete Partei hat die Kosten ihres Revisionsrekurses vorläufig selbst zu tragen; die Kosten der Revisionsrekursbeantwortung sind weitere Kosten des Rekursverfahrens.

Text

Begründung:

Die gefährdete Partei (im Folgenden: der Antragsteller) ist 13 Jahre alt und leidet unter einer seltenen Erbkrankheit (spinale Muskelatrophie), die Nervenzellen betrifft, die die Muskeln steuern, und eine Schwächung und Athrophie der Muskulatur zur Folge hat. Die Krankheit tritt in unterschiedlichen Schweregraden auf und wird in verschiedene Formen eingeteilt, deren klinischer Verlauf und Prognose ein sehr weites Spektrum umfasst.

Erstmals seit Mitte des Jahres 2017 gibt es eine wirksame, auch in Österreich zugelassene Behandlung, durch die es zu einer Verbesserung oder einem Aufhalten des Krankheitsverlaufs kommt. Die sehr aufwendige und komplexe Therapie (Injektionen) muss in einem medizinischen Zentrum stattfinden; solche Behandlungen werden nur in bestimmten Krankenanstalten durchgeführt. Das von der Gegnerin der gefährdeten Partei (im Folgenden: Antragsgegnerin) betriebene Landeskrankenhaus ist – bezogen auf das Bundesland Steiermark – für die Durchführung einer Therapie mit diesem Medikament zuständig.

Mit Antrag vom 19. Juni 2018 begehrte der Antragsteller, der Antragsgegnerin mit einstweiliger Verfügung aufzutragen, ihn in der von ihr betriebenen öffentlichen Krankenanstalt dem Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechend mit dem Medikament ohne unnötigen Verzug zu behandeln.

Das Erstgericht wies diesen Antrag nach Durchführung eines Bescheinigungsverfahrens mit Beschluss vom 3. Juli 2018 ab. Dieser Beschluss wurde den Parteien am 4. Juli 2018 zugestellt. Der Antragsteller erklärte daraufhin mit Schriftsatz vom 5. Juli 2018 einen „unwiderruflichen und verbindlichen Rechtsmittelverzicht“.

Am selben Tag (5. Juli 2018) brachte der Antragsteller einen neuen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung gegen die Antragsgegnerin ein, mit (nahezu) gleichlautendem Sicherungsbegehren (nur die Wortfolge „dem Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechend“ wurde weggelassen).

Der neue Antrag, der sich im Wesentlichen auf das bisherige Vorbringen stützt, sei auf Grund von Änderungen im Anspruchssachverhalt und im Gefährdungssachverhalt zulässig und berechtigt, insbesondere wegen neuer Bescheinigungsmittel, die der Antragsteller im Vorfeld nicht habe beibringen können. Dazu legte der Antragsteller mehrere Urkunden (Stellungnahmen sowie einen psychiatrischen Befund) vor, die vom 4. Juli 2018 datieren (also einen Tag nach der abweisenden Beschlussfassung des Erstgerichts über den ersten Antrag).

Das Erstgericht wies den neuen Antrag „zurück“.

In seiner Begründung stellte es – wie bereits in seinem ersten, abweisenden (unangefochtenen) Beschluss – einen umfangreichen, aufgrund der vorliegenden Urkunden als bescheinigt angenommenen Sachverhalt fest, der insbesondere auf die Erkrankung des Antragstellers, die von ihm gewünschte Therapie sowie deren Risiken und Nebenwirkungen und auf die Meinung der behandelnden Ärzte der Antragsgegnerin eingeht. Rechtlich kam es zu dem Ergebnis, dass – neben dem Prozesshindernis der rechtskräftig entschiedenen Streitsache – der vom Antragsteller geltend gemachte Anspruch auf Durchführung der gewünschten Behandlungsmethode – auch angesichts der neu vorgelegten Urkunden – einer der Entscheidung in der Hauptsache vorgreifenden Provisorialmaßnahme nicht zugänglich sei; der zweite Sicherungsantrag sei also ebenfalls inhaltlich nicht berechtigt. Im Rahmen seiner sehr ausführlichen Beweiswürdigung berücksichtigte es dabei auch die vom Antragsteller vorgelegten neuen Bescheinigungsmittel.

Das Rekursgericht gab dem dagegen vom Antragsteller erhobenen Rekurs, der sich inhaltlich sowohl gegen die Zurückweisung wegen entschiedener Streitsache, als auch gegen die Beurteilung des Antrags als unberechtigt wendet, nicht Folge.

Es bestätigte in seiner Begründung allein die Zurückweisung des Antrags wegen entschiedener Rechtssache und führte zusammengefasst aus, der Antragsteller habe in seinem zweiten Antrag weder behauptet noch bescheinigt, weshalb er trotz sorgfältiger Prozessvorbereitung die nun vorgelegten Urkunden nicht schon im ersten Provisorialverfahren als Bescheinigungsmittel habe vorlegen können. Da der Antragsteller nicht einmal Behauptungen dazu aufgestellt habe, warum er unverschuldet die neuen Bescheinigungsmittel nicht schon im ersten Provisorialverfahren vorgelegt habe, sei die Zurückweisung des zweiten Antrags zutreffend und der Rekurs erfolglos.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Antragstellers wegen Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens, Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die begehrte einstweilige Verfügung zu erlassen; hilfsweise werden Aufhebungsanträge gestellt.

Die Antragsgegnerin beantragt, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise, ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinn seines Aufhebungsantrags an das Rekursgericht berechtigt.

1. Auch im Provisorialverfahren ist das Prozesshindernis der rechtskräftig entschiedenen Streitsache (§ 411 ZPO) zu beachten. Ein neuer Antrag kann grundsätzlich nur bei Änderungen im Anspruchs- oder Gefährdungssachverhalt gestellt werden (RIS-Justiz RS0114774 [T3]). Selbst wenn ein neuer Sicherungsantrag wegen neuer Bescheinigungsmittel für zulässig erachtet wird, so kann dies jedenfalls im zweiseitig gewordenen Verfahren immer nur für Bescheinigungsmittel gelten, die der Antragsteller noch nicht beibringen konnte (RIS-Justiz RS0114774). Während die Rechtskraft bei nova producta (generell) kein Hindernis für eine neue Antragstellung bildet, gilt gleiches für nova reperta also nur dann, wenn deren Geltendmachung im Erstverfahren unverschuldet (siehe § 530 Abs 2 ZPO) nicht möglich war ( König , Einstweilige Verfügungen 5 Rz 6.60 mwN).

Hier tragen mehrere der vom Antragsteller mit seinem neuen Antrag vorgelegten Urkunden ein Ausstellungsdatum, das nach der (abweisenden) Beschlussfassung des Erstgerichts über den ersten Provisorialantrag liegt. Eine Vorlage dieser Urkunden mit dem ersten Antrag konnte daher nicht erfolgen, worauf (auch) der Revisionsrekurs zutreffend hinweist. Der Ansicht des Rekursgerichts, darüber hinaus sei ein gesondertes Vorbringen des Antragstellers dahingehend erforderlich, dass er diese – erst nach Beschlussfassung des Erstgerichts verfassten – Urkunden unverschuldet nicht schon mit seinem ersten Antrag vorgelegt hat (oder vorlegen konnte), ist nicht zu folgen. Vielmehr muss – wie dies das Erstgericht bereits getan hat – geprüft werden, ob (oder inwieweit) nach den neuen Urkunden Anlass besteht, einen anderen Sachverhalt als bescheinigt anzusehen. Dass der Antragsteller Urkunden, die erst nach der Beschlussfassung über seinen ersten Antrag entstanden sind, nicht schon im ersten Provisorialverfahren vorlegen konnte, liegt auf der Hand.

2. Der Rekurs des Antragstellers wendete sich aber – wie bereits erwähnt – nicht nur gegen die Zurückweisung wegen entschiedener Rechtssache, sondern auch gegen die (primäre) Begründung des Erstgerichts, wonach dem Antrag auf Erlassung der begehrten einstweiligen Verfügung aus inhaltlichen Überlegungen nicht entsprochen werden kann. Mit der in diesem Zusammenhang erhobenen Verfahrens- und Beweisrüge hat sich das Rekursgericht bisher noch nicht auseinandergesetzt.

2.1 Bei der Entscheidung über einen Revisionsrekurs ist der Oberste Gerichtshof auch im Provisorialverfahren nur Rechtsinstanz und nicht Tatsacheninstanz und hat von demjenigen Sachverhalt auszugehen, den das Rekursgericht als bescheinigt angesehen hat (RIS-Justiz RS0002192). Wenn das Erstgericht – wie hier – ohne mündliche Verhandlung entschieden und seine tatsächlichen Feststellungen nur auf Grund von Urkunden oder nur mittelbar aufgenommener Beweise getroffen hat, kann das Rekursgericht auch von den Feststellungen abgehen; der Oberste Gerichtshof ist in jedem Falle an die tatsächlichen Feststellungen des Rekursgerichts gebunden (RIS-Justiz RS0044018).

2.2 Das Rekursgericht wird daher – unter Abstandnahme vom Zurückweisungsgrund der entschiedenen Rechtssache – die Behandlung der vom Antragsteller erhobenen Verfahrens- und Beweisrüge nachzutragen und klarzustellen haben, welchen Sachverhalt es im Anlassfall für die Beurteilung des Antrags als bescheinigt ansieht. Erst auf der Grundlage dieses Sachverhalts wird zu beurteilen sein, ob die vom Antragsteller begehrte einstweilige Verfügung erlassen werden kann oder nicht.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 393 Abs 1 EO iVm §§ 40, 52 ZPO.

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