15Os98/18b – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 26. September 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Ertl, LL.M., als Schriftführer in der Strafsache gegen Richie M***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 19. März 2018, GZ 84 Hv 4/18z 31, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Richie M***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB schuldig erkannt.
Danach hat er im Juli 2016 in Wien Benedicte N***** mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs genötigt, indem er sie nach hinten auf das Bett drückte, sich auf sie legte und sie nach unten drückte, um sie am Aufstehen zu hindern, ihre Hose herunter zog und dann, obwohl sie ihn mehrmals aufforderte, von ihr abzulassen, und versuchte, ihn von sich wegzudrücken, mit seinem Penis vaginal in sie eindrang.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die auf Z 5, 5a und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten; sie verfehlt ihr Ziel.
Das Erstgericht stützte sich bei seinen Feststellungen auf die für glaubwürdig erachteten, „in den wesentlichen Punkten widerspruchsfreien Angaben“ des Opfers bei dessen Zeugenvernehmungen (US 5 f).
Dem Rechtsmittelwerber ist zu erwidern, dass der zur Überzeugung der Tatrichter von der Glaubwürdigkeit eines Zeugen oder einer Zeugin aufgrund des von diesem oder von dieser in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks führende kritisch psychologische Vorgang als solcher einer Anfechtung mit der Mängelrüge (Z 5) entzogen ist (RIS Justiz RS0106588).
Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) liegt nur vor, wenn das Erstgericht bei der Feststellung entscheidender Tatsachen entgegen der Anordnung des § 270 Abs 2 Z 5 StPO bestimmte (wesentliche) Verfahrensergebnisse mit Stillschweigen übergangen, vorhandene Widersprüche zwischen den Aussagen vernommener Personen nicht gewürdigt oder seinen Konstatierungen entgegenstehende Beweisergebnisse nicht erörtert hat (RIS Justiz RS0098646). Es ist hingegen kein Begründungsmangel, wenn das Gericht nicht den vollständigen Inhalt sämtlicher Aussagen wie überhaupt aller Verfahrensergebnisse im Einzelnen erörtert und darauf untersucht, inwieweit sie für oder gegen diese oder jene Darstellung sprechen, und sich nicht mit jedem gegen seine Beweiswürdigung möglichen, im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde konkret erhobenen Einwand im Voraus auseinandersetzt. Es genügt vielmehr, wenn das Gericht im Urteil in gedrängter Darstellung die entscheidenden Tatsachen bezeichnet und logisch einwandfrei und zureichend begründet, warum es von der Richtigkeit dieser Annahme überzeugt ist, ohne dagegen sprechende wesentliche Umstände mit Stillschweigen zu übergehen (RIS Justiz RS0098377 [T16]).
Die von der Nichtigkeitsbeschwerde angesprochenen Widersprüche in den Aussagen des Opfers betreffend die Frage, ob seine Mutter ihm oder dem Angeklagten aufgetragen habe, eine Telefonwertkarte zu besorgen, oder wer vorgeschlagen habe, bei der Schwester des Angeklagten etwas essen zu gehen, waren mangels Erheblichkeit nicht erörterungsbedürftig.
Indem die Mängelrüge (Z 5 erster und zweiter Fall) ausführt, das Urteil wäre undeutlich und unvollständig, weil es die Frage übergehe, „wann der Angeklagte sich selbst entkleidet haben soll“, und der vom Gericht festgestellte Geschlechtsverkehr physisch unmöglich wäre, wird ein Begründungsmangel nicht aufgezeigt (vgl RIS Justiz RS0117995, RS0098646). Die Argumentation, es wäre nicht möglich, dass der Angeklagte auf der Zeugin liegend, sie festhaltend und dergestalt an einer Gegenwehr hindernd sich selbst und sie aus Jeans und Unterwäsche soweit entkleidet hat, dass er einen Geschlechtsverkehr vornehmen konnte, spricht keine Anfechtungskategorie der Z 5 an, sondern bekämpft lediglich die den Tatrichtern vorbehaltene Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Schuldberufung.
Das gilt auch für die Berufung auf den „Zweifelsgrundsatz“ (in dubio pro reo). Dieser ist nicht Gegenstand der Nichtigkeitsgründe der Z 5 oder Z 5a des § 281 Abs 1 StPO (RIS Justiz RS0102162).
Auch die Ausführungen, ein Motiv der Zeugin für eine Falschbelastung könnte ihre problematische Familiensituation sein, um ihre sexuelle Ausrichtung gegenüber der eigenen Familie und sich selbst zu rechtfertigen, und ihr wäre von ihrer eigenen Familie wenig Vertrauen entgegengebracht worden (vgl US 3 ff), entsprechen keinem Fall der Z 5, sondern üben bloß unzulässige Beweiswürdigungskritik.
Die weitere Mängelrüge behauptet Aktenwidrigkeit (Z 5 letzter Fall) mit Blick auf die Ausführungen der Tatrichter zur Aussage der Zeugin Priscille N*****, wonach ihre Schwester, das Opfer, noch nie in wesentlichen Belangen Sachverhalte erfunden habe (US 5). Der Vorwurf eines Fehlzitats trifft nicht zu: Die Zeugin hat nämlich die Frage der Vorsitzenden, ob das Opfer schon einmal „etwas erfunden“ habe, „dass etwas passiert ist, wo sich dann herausgestellt hat, dass das gelogen ist“, verneint und lediglich auf Streitigkeiten zwischen den beiden Geschwistern verwiesen (ON 30 S 28).
Z 5a des § 281 Abs 1 StPO will als Tatsachenrüge nur geradezu unerträgliche Feststellungen zur entscheidenden Tatsachen (das sind schuld oder subsumtionserhebliche Tatumstände, nicht aber im Urteil geschilderte Begleitumstände oder im Rahmen der Beweiswürdigung angestellte Erwägungen) und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern (RIS Justiz RS0118780). Indem der Beschwerdeführer auf Widersprüche zwischen den Aussagen des Opfers und dessen Mutter bei Zeugenvernehmungen betreffend Termine bei einer Gynäkologin oder die Aussage der Zeugin Priscille N*****, wonach das Opfer unterschiedliche Angaben über den Tatverlauf (etwa über das Ausziehen) gemacht habe, verweist, werden isoliert Beweisergebnisse gegen die Glaubwürdigkeit des Opfers ins Treffen geführt. Damit weckt die Tatsachenrüge beim Obersten Gerichtshof keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen.
Die Subsumtionsrüge (Z 10) strebt einen Schuldspruch wegen des Vergehens der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung nach „§ 205a StGB“ an und führt aus, es fehle den erstgerichtlichen Feststellungen an einer Präzisierung, „worin konkret die nicht ganz unerhebliche physische Kraft zur Überwindung des Widerstands“ lag, und „wann welche konkrete Nötigung zur Duldung des Beischlafs gesetzt“ wurde. Damit orientiert sie sich aber nicht am festgestellten Sachverhalt, wonach der Angeklagte dem Mädchen einen leichten Stoß gegen den Oberkörper versetzte, sodass es am Rücken zum Liegen kam, es aufs Bett drückte und vaginal eindrang (US 4; RIS Justiz RS0099810).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgte (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.