JudikaturOGH

11Os77/18k – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. August 2018

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. August 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Wieser als Schriftführerin in der Strafsache gegen Yasir M***** wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 7. November 2017, GZ 222 Hv 35/17k 92, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch verfehlt ( Lendl , WK-StPO § 259 Rz 2) einen unbekämpft gebliebenen Freispruch zu einer Beteiligungsvariante enthält (RIS-Justiz RS0124166, RS0122006 [T11]), wurde Yasir M***** je eines Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB (I/1) und der kriminellen Organisation nach § 278a zweiter Fall StGB (I/2) sowie der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1, Abs 2 (erster Fall) StGB (II) schuldig erkannt.

Danach hat er in Mossul, G***** und an anderen Orten

(I) von Juni 2014 bis 15. November 2016

1) sich als Mitglied (§ 278 Abs 3 StGB) an der terroristischen Vereinigung Islamischer Staat im Irak und in Syrien (ISIS) bzw Islamischer Staat (IS) in dem Wissen beteiligt, dass er dadurch diese in deren Ziel, im Irak, in Syrien, im Libanon, in Jordanien und in Palästina einen radikal-islamischen Gottesstaat (Kalifat) zu errichten, und deren strafbare Handlungen, nämlich die zur Erreichung dieses Ziels als erforderlich angesehenen terroristischen Straftaten nach § 278c Abs 1 StGB, fördert, indem er sich der terroristischen Vereinigung Islamischer Staat im Irak und in Syrien (ISIS) bzw Islamischer Staat (IS) anschloss und als IS Geheimdienstmitarbeiter diente;

2) durch die zu Punkt I/1 angeführte Handlung sich an einer auf längere Zeit angelegten unternehmensähnlichen Verbindung einer größeren Zahl von Personen, nämlich der international agierenden terroristischen Vereinigung Islamischer Staat im Irak und in Syrien (ISIS) bzw Islamischer Staat (IS)

- die, wenn auch nicht ausschließlich, auf die wiederkehrende und geplante Begehung schwerwiegender strafbarer Handlungen, die das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit oder das Vermögen bedrohen, und schwerwiegender strafbarer Handlungen im Bereich der sexuellen Ausbeutung von Menschen und des unerlaubten Verkehrs mit Kampfmitteln ausgerichtet ist, indem sie seit Sommer 2011 insbesondere in Syrien und im Irak unter Anwendung besonderer Grausamkeit ihrer Kämpfer durch terroristische Straftaten nach § 278c Abs 1 StGB die Zerstörung des syrischen und des irakischen Staats betreibt, in den eroberten Gebieten in Syrien und im Irak die sich nicht ihren Zielen unterordnende Zivilbevölkerung tötet oder vertreibt, sich deren Vermögen aneignet, durch Geiselnahme große Geldsummen erpresst, die vorgefundenen Kunstschätze veräußert und Bodenschätze, insbesondere Erdöl und Phosphat zu ihrer Bereicherung ausbeutet,

- die dadurch eine Bereicherung in großem Umfang anstrebt und

- die andere durch angedrohte und ausgeführte Terroranschläge insbesondere in Syrien und im Irak aber auch in Europa einschüchtert und sich auf besondere Weise, nämlich durch Geheimhaltung ihres Aufbaus, ihrer Finanzstruktur, der personellen Zusammensetzung der Organisation und der internen Kommunikation gegen Strafverfolgungsmaßnahmen abzuschirmen sucht,

als Mitglied in dem Wissen beteiligt (§ 278 Abs 3 StGB), dass er dadurch die Vereinigung in ihrem Ziel, im Irak, in Syrien, im Libanon, in Jordanien und in Palästina einen radikal-islamischen Gottesstaat (Kalifat) zu errichten, und deren strafbare Handlungen, nämlich die zur Erreichung dieses Ziels als erforderlich angesehenen terroristischen Straftaten nach § 278c Abs 1 StGB fördert;

(II) im Zeitraum Juni 2016 bis Anfang November 2016 nachgenannte Personen in G***** telefonisch mit dem Tod bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen und zwar

1) den sich zu diesem Zeitpunkt in F***** aufhaltenden Mohammed A***** in zwei Angriffen,

a) durch die Äußerung „er werde nach F***** reisen und ihn umbringen“,

b) durch die Äußerung „er werde nach F***** kommen und ihn umbringen und wenn er ihn nicht erreiche, werde er nach Mossul zurückkehren und dort ihn und seine Frau und Kinder umbringen“;

2) den sich zu diesem Zeitpunkt im I***** aufhaltenden Ahmed A***** durch die Äußerung „er werde ihn und seine beiden Brüder umbringen bzw verstümmeln“.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen wendet sich die aus § 281 Abs 1 Z 5 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Tatsachenfeststellungen sind nur insoweit mit Mängelrüge anfechtbar, als sie die Frage nach der rechtlichen Kategorie einer oder mehrerer strafbarer Handlungen beantworten und solcherart im Sinn der Z 5 (für die Schuld- oder Subsumtionsfrage) entscheidend sind (vgl RIS-Justiz RS0117499, RS0106268; Ratz , WK StPO § 281 Rz 398 f).

Die in den Entscheidungsgründen zum Ausdruck kommende sachverhaltsmäßige Bejahung oder Verneinung bloß einzelner von mehreren erheblichen Umständen, welche erst in der Gesamtschau mit anderen zum Ausspruch über entscheidende Tatsachen führen, kann aus Z 5 nicht bekämpft werden, es sei denn, die Tatrichter hätten in einem besonders hervorgehobenen Einzelpunkt erkennbar eine notwendige Bedingung für die Feststellungen hinsichtlich einer entscheidenden Tatsache erblickt (RIS Justiz RS0116737 [T5]; vgl Ratz , WK StPO § 281 Rz 399, 409 f).

Die entscheidungswesentlichen Feststellungen zur Zugehörigkeit des leugnenden Angeklagten zur terroristischen Vereinigung Islamischer Staat (US 7) haben die Tatrichter insbesondere auf belastende Zeugenaussagen, seine radikal-religiöse Einstellung (US 10), die Auswertung seines Mobiltelefons, seine Einreise nach Europa unter falscher Identität (US 13) und darauf gestützt, dass er deshalb von der Irakischen Regierung durch die Veröffentlichung zahlreicher Internetbeiträge (unter anderem auf der Facebook-Seite „Irakische Spezialeinheit für Terrorismusbekämpfung“, die mit einer vom irakischen Verteidigungsministerium verwalteten Homepage verlinkt ist – US 12) gesucht wird (US 10 ff), wobei sie in keinem der solcherart als erheblich beurteilten Umstände eine notwendige Bedingung für diese entscheidende Tatsache gesehen haben.

Indem die Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) isoliert die unterbliebene Auseinandersetzung mit einer Mitteilung der Botschaft des Iraks und der dementsprechenden Aussage des Konsuls des Iraks in Wien, wonach der Angeklagte nicht vorbestraft ist und sein Name auf der Fahndungsliste des Iraks nicht aufscheint (ON 91 S 3, 15), kritisiert, verfehlt sie den dargestellten Bezugspunkt, wobei diese Mitteilungen im Übrigen den angenommen „offiziellen Fahndungsmaßnahmen“ mittels Interneteinträgen (US 12) nicht widersprechen.

Da Bestätigungen, wonach unter anderem der (im Frühjahr 2015 als Flüchtling unter falscher Identität nach Österreich eingereiste [US 7 f] und am 15. November 2016 in G***** verhaftete – US 4) Angeklagte am 20. Oktober 2014 aus Mossul geflüchtet sei, dessen Geheimdienstaktivitäten für den Islamischen Staat seit Juni 2014 nicht entgegenstehen, war der Schöffensenat dem Gebot zu gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) folgend nicht verhalten, diese ausdrücklich zu erörtern (RIS Justiz RS0098646). Dies gilt gleichermaßen für die ebenfalls als übergangen reklamierten – von den Tatrichtern in ihrer Gesamtheit als widerlegt befundenen (US 10 – vgl RIS Justiz RS0098377) – Angaben des Angeklagten zu seiner Flucht „im Mai oder Juni 2014“ (ON 87 S 4 f).

Der kritisch-psychologische Vorgang, der aufgrund des in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks zur Überzeugung der Tatrichter von der Glaubwürdigkeit einer Person führt, ist einer Anfechtung mit Nichtigkeitsbeschwerde entzogen (RIS Justiz RS0106588 [T9]). Die Beurteilung der Überzeugungskraft von Aussagen kann zwar unter dem Gesichtspunkt einer Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) mangelhaft erscheinen, wenn sich das Gericht mit gegen die Glaubwürdigkeit oder Unglaubwürdigkeit sprechenden Beweisergebnissen nicht auseinandergesetzt hat. Der Bezugspunkt besteht jedoch nicht in der Sachverhaltsannahme der Glaubwürdigkeit oder Unglaubwürdigkeit, sondern ausschließlich in den Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen, womit sich das Ausmaß der im Einzelfall geltenden Erörterungspflicht entsprechend reduziert (RIS Justiz RS0119422 [T4, T6]; vgl Ratz , WK StPO § 281 Rz 431 f).

Die Rüge bezweckt, die von den Tatrichtern bejahte (US 11) Glaubwürdigkeit des Zeugen Nr 3 zu erschüttern, orientiert sich aber nicht an diesem Anfechtungsrahmen. Sie bemängelt nämlich die unterlassene Erörterung seiner unterschiedlichen Angaben zur „unmittelbaren“ Schadensverursachung durch den Angeklagten sowie das „Übergehen der Unkenntnis vom Fluchtzeitpunkt des Zeugen“ und dessen Alkoholkonsum anlässlich eines Gesprächs mit dem Angeklagten zu dessen Zugehörigkeit zum Islamischen Staat. Das ist indes hier zufolge als erwiesen angenommener Beteiligung im Sinn des dritten Falls des § 278 Abs 3 StGB (vgl auch US 7, wonach „die vom Angeklagten verratenen, vom IS als 'Ungläubige' bezeichneten Menschen“ „in weiterer Folge nach den Sanktionsregeln des IS bestraft“ wurden) weder für die Schuld noch für die Subsumtionsfrage entscheidend (vgl Plöchl in WK 2 StGB § 278 Rz 39). Da das Schöffengericht nicht verhalten ist, den vollständigen Inhalt sämtlicher Zeugenaussagen zu erörtern (vgl RIS-Justiz RS0106642), konnte entgegen dem weiteren Beschwerdevorbringen eine explizite Auseinandersetzung mit einleitenden Angaben des Zeugen Nr 3 anlässlich seiner ersten polizeilichen Vernehmung, „nicht zu wissen, ob der Angeklagte bei der Terroreinheit IS ist“ (ON 2 US 39), unterbleiben. Denn der Zeuge legte (erst) nach geäußerter (und erfüllter) Bitte um Anonymität die – mit seiner und jener des Zeugen Nr 11 in der Hauptverhandlung übereinstimmende (US 11; ON 87 S 3 ff, ON 91 S 4 ff) – belastende Aussage zu den Aktivitäten des Angeklagten als Geheimdienstmitarbeiter des Islamischen Staats ab (ON 2 S 40 f).

Mit Blick darauf und angesichts der vom Schöffensenat für seine Überzeugung von der Zugehörigkeit des Angeklagten zum Islamischen Staat weiters angeführten Umstände waren dem weiteren Einwand zuwider Divergenzen in den Depositionen des Zeugen Nr 10 zur Frage, ob der Angeklagte „ihm gegenüber auch zugegeben hat, in Verbindung mit dem IS zu stehen“ (vgl US 13) nicht gesondert erörterungsbedürftig.

Weshalb „westlicher“ Lebensstil und Alkoholkonsum des Angeklagten sowie angebliches Auffinden von je einer Flasche Whiskey und Wodka, jedoch „kein[es] Koran[s]“ anlässlich der Durchsuchung seiner Wohnung der konstatierten Beteiligung des Angeklagten als Geheimdienstmitarbeiter entgegen stehen soll, erklärt die Rüge nicht. Soweit sie sich damit gegen die von den Tatrichtern als erwiesen angenommene radikal-religiöse Einstellung des Angeklagten wendet, scheitert sie, weil in diesem Umstand – wie dargelegt – keine notwendige Bedingung für entscheidungswesentliche Feststellungen erblickt wurde.

Indem die gegen den – auf übereinstimmende Aussagen der Tatzeugen Nr 10 und Nr 11 gegründeten – Schuldspruch II (inhaltlich nur II/1/b) gerichtete Rüge versucht, die Glaubwürdigkeit des Zeugen Nr 10 unter Hinweis auf dessen Alkoholkonsum in Frage zu stellen, verfehlt sie wiederum den in der Gesamtheit der Entscheidungsgründe gelegenen Bezugspunkt (RIS-Justiz RS0119370).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – ebenso wie die im schöffengerichtlichen Verfahren nicht vorgesehene (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1; 294 Abs 4, 296 Abs 2 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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