15Os84/18v – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 25. Juli 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Ertl, LL.M., als Schriftführer in der Strafsache gegen Nicolas C***** und eine Angeklagte wegen des Verbrechens des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 3 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 79 Hv 81/17v des Landesgerichts Klagenfurt, über den Antrag des Angeklagten Nicolas C***** auf Erneuerung des Strafverfahrens nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Durchführung der Hauptverhandlung wird bis zur Entscheidung über den vorliegenden Erneuerungsantrag gehemmt.
Die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über den vom Obersten Gerichtshof am 23. Jänner 2017 zu AZ 13 Os 49/16d gestellten Antrag auf Vorabentscheidung wird abgewartet.
Text
Gründe:
Die Zentrale Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption legt Nicolas C***** und Birgit C***** mit Anklageschrift vom 17. Oktober 2017 Verhaltensweisen zur Last, die sie jeweils als (in Mittäterschaft begangene) Verbrechen des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 3 StGB sowie der Geldwäscherei nach § 165 Abs 1 zweiter Fall, Abs 2 erster und vierter Fall und Abs 4 erster Fall StGB beurteilte.
Nach Zustellung der Anklageschrift am 2. November 2017 beantragten die (gemeinsam bevollmächtigten) Verteidiger am folgenden Tag, die Anklage für den der deutschen Sprache nicht mächtigen Angeklagten Nicolas C***** in die englische Sprache zu übersetzen. Eine solche wurde den Verteidigern am 22. Dezember 2017 zugestellt.
Ein am 3. Jänner 2018 vom Angeklagten Nicolas C***** eingebrachter (inhaltsleerer) und am 4. Jänner 2018 von beiden Angeklagten (gemeinsam) ausgeführter Anklageeinspruch wurden mit Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 14. Februar 2018 (als verspätet) zurückgewiesen (ON 456).
Dagegen richtet sich der Antrag des Angeklagten Nicolas C***** auf Erneuerung des Strafverfahrens (§ 363a StPO per analogiam), der einen Verstoß gegen „das Gebot der Waffengleichheit und folglich … gegen das Recht auf ein faires Verfahren“ im Sinn des Art 6 MRK sowie der „Art 47 und 48 GRC“ behauptet.
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:
1./ Aus der Kompetenznorm des § 362 Abs 5 StPO ist die Befugnis des Obersten Gerichtshofs abzuleiten, die Durchführung der Hauptverhandlung vorläufig zu hemmen (RIS Justiz RS0125705 [T2]; 12 Os 126/17x, 12 Os 127/17v).
Aus Anlass des Antrags des Angeklagten Nicolas C***** sah sich der Oberste Gerichtshof unter Beachtung der vorliegend verbundenen Gefahr der Schaffung vollendeter Tatsachen, die das Antragsrecht vereiteln könnten, veranlasst, die Durchführung der Hauptverhandlung vorläufig zu hemmen (vgl Mayer Ladewig/Kulick in Mayer Ladewig/Nettesheim/von Raumer EMRK 4 Art 34 Rz 55).
2./ Im Verfahren 13 Os 49/16d hat der verstärkte Senat des Obersten Gerichtshofs mit Beschluss vom 23. Jänner 2017 ein Ersuchen um Vorabentscheidung an den Gerichtshof der Europäischen Union gerichtet. Die in diesem Ersuchen gestellte Rechtsfrage, ob das Unionsrecht dahin auszulegen ist, dass es den Obersten Gerichtshof verpflichtet, über Antrag des Betroffenen die Überprüfung einer rechtskräftigen Entscheidung eines Strafgerichts hinsichtlich behaupteter Verletzung von Unionsrecht vorzunehmen, wenn das nationale Recht (§ 363a StPO) eine solche Überprüfung nur hinsichtlich behaupteter Verletzung der EMRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle vorsieht, ist entscheidungsrelevante Vorfrage für das gegenständliche Verfahren, in dem der Erneuerungswerber seinen Antrag (auch) auf Art 47 und 48 EU GRC stützt.
Da der Oberste Gerichtshof auch in Rechtssachen, in denen er nicht unmittelbar Anlassfallgericht ist, von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union auszugehen und diese auch für andere als die unmittelbaren Anlassfälle anzuwenden hat, ist im vorliegenden Verfahren aus prozessökonomischen Gründen die Entscheidung des EuGH zu 13 Os 49/16d abzuwarten (vgl RIS Justiz RS0110583; 13 Os 79/16s; 12 Os 136/16s, 12 Os 137/16p).