5Ob22/18y – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof als Rekursgericht hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann, die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K***** KG, *****, vertreten durch Dr. Harald Friedl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei J*****, vertreten durch Dr. Meinrad Einsle, Dr. Rupert Manhart, Dr. Susanne Manhart, Rechtsanwälte in Bregenz, sowie des Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei Dr. E*****, vertreten durch Dr. Markus Fink, Rechtsanwalt in Bezau, wegen Feststellung, Einwilligung, Entfernung und Unterlassung, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht vom 19. Oktober 2017, GZ 3 R 237/17a 59, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Bezau vom 30. Juni 2017, GZ 3 C 192/16h 53, teilweise aufgehoben wurde, und ihren Rekurs gegen den Bewertungsausspruch des Rekursgerichts vom 8. Mai 2018, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
I. Der Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss des Rekursgerichts vom 19. Oktober 2017, GZ 3 R 237/17a 59, wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.465,55 EUR (darin enthalten 244,26 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
II. Der Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss vom 8. 5. 2018 und die Rekursbeantwortung der klagenden Partei werden zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Die Klägerin ist Eigentümerin der Grundstücke 2745/3 und 2745/12. Am Grundstück 2745/3 ist ein Betriebsgebäude errichtet. Der Beklagte ist Eigentümer der benachbarten Grundstücke 2745/13 und 2745/2. Er ist Geschäftsführer und Gesellschafter einer GmbH, die Kanalreinigungen durchführt und diese Grundstücke nutzt. Darauf sind ebenfalls Gebäude errichtet.
Die Rechtsvorgängerinnen der Klägerin und der Beklagte räumten sich mit Dienstbarkeitsvertrag vom 19. 4. 2013 wechselseitig ein Geh- und Fahrrecht ein, weil wegen der Art der Bebauung ein Zufahren zu den der Straße abgewandten Bereichen der Grundstücke nur unter Mitbenützung der jeweiligen benachbarten Grundstücke möglich ist. Danach kommt (unter anderem) den jeweiligen Eigentümern der Grundstücke 2745/2 und 2745/13 das unbeschränkte Geh- und Fahrrecht mit Fahrzeugen aller Art auf der in einem beigelegten Dienstbarkeitsplan gelb eingezeichneten Fläche der Grundstücke 2745/3 und 2745/12 zu.
Die Klägerin begehrt – zusammengefasst und soweit für das Rekursverfahren relevant – die Feststellung, dass das unbeschränkte Geh- und Fahrrecht zugunsten der jeweiligen Eigentümer der Grundstücke 2745/2 und 2745/13 auf den in ihrem Eigentum stehenden Grundstücken in einem räumlich gegenüber dem Dienstbarkeitsplan eingeschränkten, anhand eines Plans konkret dargestellten Umfang bestehe, der Beklagte nicht berechtigt sei, die Dienstbarkeiten über das dargestellte Ausmaß zu erweitern und die Klägerin dadurch in ihrem Eigentum zu stören, sowie diesen schuldig zu erkennen, in die Einverleibung der Einschränkung der Dienstbarkeiten einzuwilligen und ein Gehen und Fahren über den in ihrem Begehren dargestellten eingeschränkten Umfang der Dienstbarkeitsflächen hinaus zu unterlassen.
Darüber hinaus erhob sie ein weiteres auf Unterlassung gerichtetes Begehren.
Das Berufungsgericht hob das die Klage zur Gänze abweisende Urteil des Erstgerichts in diesem Umfang auf und trug ihm die Ergänzung des Verfahrens auf. Rechtlich gelangte es zum Ergebnis, dass eine ungemessene Dienstbarkeit vorliege, weil der (räumliche) Umfang der dem Beklagten als Eigentümer der herrschenden Liegenschaften zustehenden Befugnisse im Dienstbarkeitsvertrag vom 19. 4. 2013 nicht eindeutig begrenzt werde. Nach dem angeschlossenen Plan liege die Dienstbarkeitsfläche zum Teil auf einer nicht befestigten Wiese (Hang), die zum Zeitpunkt des Abschlusses des Dienstbarkeitsvertrags und nach wie vor nicht befahrbar sei, und erstrecke sich zum Teil auch auf einen bebauten Bereich des Grundstücks 2745/12. Ein konkreter Wegverlauf sei darin hingegen nicht enthalten. Der Inhalt einer ungemessenen Dienstbarkeit richte sich nach den jeweiligen Bedürfnissen der Berechtigten im Rahmen der ursprünglichen oder vorhersehbaren Art der Ausübung. Die Dienstbarkeit sei daher in einem solchen Umfang wirksam eingeräumt worden, als das Geh- und Fahrrecht der Nützlichkeit und Bequemlichkeit der Grundstücke des Beklagten diene, und auf jene Fläche beschränkt, die diesen Zweck erfüllten. Zur Beurteilung dieser Frage bedürfe es konkreter Feststellungen. Mangels Spruchreife müsse auf die konkrete Fassung des Klagebegehrens noch nicht eingegangen werden; dem Erstgericht sei es jedenfalls nicht verwehrt, dem Begehren eine deutlichere Fassung zu geben.
Den Rekurs gegen seinen Aufhebungsbeschluss erklärte das Berufungsgericht für zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehle, ob eine Dienstbarkeit rechtsgeschäftlich wirksam begründet werden könne, wenn sie für die Bewirtschaftung des herrschenden Grundstücks derzeit und in absehbarer Zeit weder nützlich noch „bequemlich“ sei.
Rechtliche Beurteilung
I. Zum Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss:
Der von der Klägerin beantwortete Rekurs ist entgegen dem Zulässigkeitsausspruch des Berufungsgerichts, der den Obersten Gerichtshof nicht bindet (§ 526 Abs 2 ZPO), mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig. Gemäß § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO, der Kraft Größenschlusses auch für die Zurückweisung eines von der zweiten Instanz wegen einer – in Wahrheit nicht vorliegenden – erheblichen Rechtsfrage zugelassenen Rekurses gegen einen Aufhebungsbeschluss im Berufungsverfahren nach § 519 Abs 2 ZPO gilt (RIS Justiz RS0043691), kann sich der Oberste Gerichtshof auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (7 Ob 28/18w). Zum Teil ist der Rekurs auch jedenfalls unzulässig.
Der Nebenintervenient hat sich am Rekursverfahren nicht beteiligt.
1. Der Oberste Gerichtshof ist Rechts- und nicht Tatsacheninstanz (RIS-Justiz RS0002399 [T2]; RS0123663 [T2] ua), sodass Fragen der Beweiswürdigung nicht an ihn herangetragen werden können (RIS-Justiz RS0043414 [T11]).
2. Das Ausmaß der Dienstbarkeit richtet sich nach dem Inhalt des Titels, bei dessen Auslegung insbesondere der Zweck der Dienstbarkeit zu beachten ist (RIS-Justiz RS0011720). Die Ermittlung des Umfangs der Dienstbarkeit hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab (vgl RIS-Justiz RS0011720 [T7]) und begründet damit regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage.
3.1 Der Beklagte wendet sich gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, es handle sich bei den mit dem Dienstbarkeitsvertrag vom 19. 4. 2013 zugunsten seiner Grundstücke eingeräumten Rechten um eine ungemessene Servitut. Eine solche liegt vor, wenn im Servitutsbestellungsvertrag Ausmaß und Umfang des Dienstbarkeitsrechts nicht näher festgelegt wird (RIS-Justiz RS0011752 [T2], RS0116523).
3.2 Im Erwerbstitel wird zum Verlauf des wechselweise unbeschränkt eingeräumten Geh- und Fahrrechts mit Fahrzeugen aller Art auf den Dienstbarkeitsplan vom 7. 1. 2013 verwiesen, in dem die von der eingeräumten Servitut betroffenen Grundflächen großräumig als gelb markierte Fläche ausgewiesen sind. Sie umfasst im Wesentlichen die gesamte asphaltierte Fläche auf dem Grundstück 2745/12 der Klägerin, die unmittelbar an die von der Straße abgewandte Seite des auf dem Grundstück 2745/3 errichteten Gebäudes anschließt, geht nach Darstellung des Berufungsgerichts teilweise über bebaute Flächen und besteht auch aus einer daran anschließenden unbefestigten und unbefahrbaren Hangfläche. Bei einer derart großflächigen Umschreibung kann entgegen dem Standpunkt des Beklagten nicht von einer exakten räumlichen Festlegung eines für die Ausübung des Geh- und Fahrrechts erforderlichen Wegeverlaufs ausgegangen werden. Ein solcher lässt sich weder nach dem Wortlaut des Servitutsbestellungsvertrags noch dem ihm zugrunde gelegten Situationsplan auch nur ansatzweise konkret bestimmen. Ein von den Urkunden abweichender übereinstimmender Parteiwille (vgl dazu RIS Justiz RS0043422 [T6; T13]; 8 Ob 131/16x) konnte nicht festgestellt werden. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, es liege eine ungemessene Servitut vor, entspricht daher der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (vgl 4 Ob 1620/95; 8 Ob 104/14y).
4.1 Für den Inhalt einer ungemessenen Dienstbarkeit kommt es auf die jeweiligen Bedürfnisse des herrschenden Guts im Rahmen der ursprünglichen (RIS Justiz RS0097856 [T8] = RS0011691 [T13], RS0016368 [T1; T13], RS0011720 [T15]) oder der vorhersehbaren Bewirtschaftungsart (RIS Justiz RS0016368 [T11] = RS0016364 [T4]) an. Ungemessene Dienstbarkeiten sind demnach auf den Zweck ihrer Bestellung einzuschränken (RIS Justiz RS0011691 [T8]). Der Widerstreit zwischen den Interessen des Berechtigten und jenen des Belasteten einer Dienstbarkeit erfordert eine Interessenabwägung, in die auch wirtschaftliche Vorteile und Nachteile einzubeziehen sind (RIS Justiz RS0011733 [T16]; 7 Ob 241/08d).
4.2 Das Berufungsgericht hat sich auf diese Grundsätze berufen und gelangte ausgehend davon zum Ergebnis, dass das mit Vertrag vom 19. 4. 2013 begründete Geh- und Fahrrecht zugunsten der Grundstücke des Beklagten seinem Inhalt nach räumlich darauf beschränkt ist, was in diesem Sinn der Nützlichkeit und Bequemlichkeit (gemeint ganz offensichtlich gemessen an der ursprünglichen oder vorhersehbaren Bewirtschaftungsart des herrschenden Guts) entspricht. Wenn es ausgehend von dieser zutreffenden Rechtsansicht Feststellungen zum „erforderlichen Platzbedarf“ vermisste, kann dem der Oberste Gerichtshof nicht entgegentreten (RIS-Justiz RS0042179).
4.3 Auf die Möglichkeit, dem Klagebegehren eine deutlichere Fassung zu geben (vgl 8 Ob 104/14y), hat bereits das Berufungsgericht zutreffend hingewiesen.
5. Der Inhalt des mit Servitutsbestellungsvertrag vom 19. 4. 2013 zugunsten der Grundstücke des Beklagten eingeräumten unbeschränkten Geh- und Fahrrechts mit Fahrzeugen aller Art bestimmt sich nach den oben angeführten Grundsätzen; die Feststellung des danach konkret erforderlichen Wegeverlaufs bzw Flächenbedarfs ist Gegenstand des fortgesetzten Verfahrens. Die Frage, ob eine Dienstbarkeit rechtsgeschäftlich wirksam begründet werden könne, die für die Bewirtschaftung des herrschenden Guts keinen Vorteil bringt, und damit die vom Berufungsgericht als erheblich erachtete Rechtsfrage, stellt sich daher nicht. Soweit der Beklagte in seinem Rechtsmittel darauf Bezug nimmt, muss darauf nicht eingegangen werden.
6.1 Das Berufungsgericht hat über Auftrag des Obersten Gerichtshofs vom 13. 3. 2018 seine Entscheidung um den Ausspruch über den Wert des Entscheidungsgegenstands ergänzt und dabei unter anderem ausgesprochen, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands hinsichtlich des Begehrens, der Beklagte sei schuldig, es zu unterlassen, Fahrzeuge zum Zwecke des Parkens oder Reinigens auf den Grundstücken des Klägers abzustellen (Spruchpunkt 4. des Ersturteils), 5.000 EUR nicht übersteigt. Daran ist der Oberste Gerichtshof gebunden, weil das Berufungsgericht weder zwingende gesetzliche Bewertungsvorschriften verletzt noch den ihm vom Gesetzgeber eingeräumten Ermessensspielraum überschritten hat (RIS Justiz RS0042385).
6.2 Soweit sich der Rekurs des Beklagten – wenn auch ohne nähere inhaltliche Ausführungen – auch gegen die Aufhebung dieses Teils der erstgerichtlichen Entscheidung wendet, ist er jedenfalls unzulässig und schon aus diesem Grund zurückzuweisen.
7. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
8. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 iVm § 50 Abs 1 ZPO. Im Zwischenstreit über die mangels erheblicher Rechtsfrage verneinte Zulässigkeit des Rechtsmittels gegen einen Aufhebungsbeschluss iSd § 519 Abs 1 Z 2 ZPO des Berufungsgerichts findet ein Kostenvorbehalt nach § 52 ZPO nicht statt (RIS Justiz RS0123222). Die Klägerin hat in ihrer Rekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rekurses hingewiesen und daher Anspruch auf Kostenersatz (RIS Justiz RS0123222 [T8]).
Zu II.
1. Der Beklagte hat gegen den Beschluss des Berufungsgerichts vom 8. 5. 2018, mit dem dieses den Bewertungsausspruch nachholte, auch ausdrücklich Rekurs erhoben, soweit darin ausgesprochen wurde, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands hinsichtlich des Spruchpunkts 4. des Ersturteils 5.000 EUR nicht übersteigt.
2. Der Bewertungsausspruch des Berufungs-gerichts gemäß § 500 Abs 2 Z 1 ZPO ist unanfechtbar (RIS Justiz RS0042437; RS0042450 [T8]; RS0042385; Zechner in Fasching / Konecny ² IV/1 § 502 ZPO Rz 155 mN). Der Rekurs des Beklagten ist damit jedenfalls unzulässig und zurückzuweisen.
3. Die Beantwortung eines jedenfalls unzulässigen Rechtsmittels ist der Zivilprozessordnung fremd (6 Ob 137/06z mwN). Die Rekursbeantwortung der Klägerin ist daher ebenfalls zurückzuweisen.