JudikaturOGH

8Nc2/18p – OGH Entscheidung

Entscheidung
09. Mai 2018

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Tarmann Prentner und Mag. Korn als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj R***** A***** O*****, geboren am *****, derzeit *****, AZ 1 Ps 51/18p (1 Nc 3/18v) des Bezirksgerichts Kufstein, wegen Übertragung der Zuständigkeit nach § 111 Abs 2 JN, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Kufstein vom 28. Dezember 2017 verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Führung dieser Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Neunkirchen wird gemäß § 111 Abs 2 JN genehmigt.

Text

Begründung:

1. Der am ***** 2002 geborene Jugendliche leidet an einer behandlungsbedürftigen psychischen Störung mit emotionaler Störung und Störung des Sozialverhaltens.

Mit Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 13. 9. 2017 wurde er gemäß § 21 Abs 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen, weil er unter Einfluss seiner psychischen Störung wiederholt den Tatbestand eines Verbrechens verwirklicht hatte. Aufgrund der verhängten Maßnahme ist er seit November 2017 in der Vollzugsanstalt Gerasdorf am Steinfeld untergebracht.

Die gesetzliche Obsorge für den Jugendlichen obliegt derzeit der Mutter. Am 13. 12. 2017 beantragte das Amt für Kinder- und Jugendhilfe der Stadt Innsbruck die Übertragung der Obsorge im gesamten Umfang an den Kinder- und Jugendhilfeträger. Eine Entscheidung wurde noch nicht getroffen.

2. Mit Beschluss vom 28. 12. 2017 übertrug das Bezirksgericht Kufstein die Zuständigkeit zur Besorgung der im Spruch genannten Pflegschaftssache gemäß § 111 Abs 1 JN an das Bezirksgericht Neunkirchen, weil sich der Minderjährige nunmehr ständig im Sprengel dieses Gerichts aufhalte.

Rechtliche Beurteilung

Das Bezirksgericht Neunkirchen lehnte die Übernahme der Zuständigkeit unter Verweis auf den offenen Antrag des Kinder- und Jugendhilfeträgers ab. Zur Erledigung dieses Antrags erscheine das übertragende Gericht geeigneter, weil es mit den Problemen des Minderjährigen seit Jahren vertraut sei.

Das Bezirksgericht Kufstein legte nach Rechtskraft seines Beschlusses die Akten dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung nach § 111 Abs 2 JN vor.

3. Nach § 111 Abs 1 JN kann das zur Besorgung der pflegschaftsgerichtlichen Geschäfte zuständige Gericht von Amts wegen oder auf Antrag seine Zuständigkeit ganz oder zum Teil einem anderen Gericht übertragen, wenn dies im Interesse eines Minderjährigen oder sonst Pflegebefohlenen gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird.

Ausschlaggebendes Kriterium für die Übertragung der Zuständigkeit nach § 111 JN ist immer das Kindeswohl (RIS Justiz RS0047074 [T1]). Dabei nimmt die Rechtsprechung an, dass der pflegschaftsgerichtliche Schutz in der Regel am besten durch jenes Gericht gewährleistet wird, in dessen Sprengel sich das Kind aufhält (RIS Justiz RS0047300 [T1, T23]). Eine Zuständigkeitsübertragung ist daher in der Regel zu genehmigen, wenn der Lebensmittelpunkt des Kindes in den Sprengel eines anderen als des bisher zuständigen Bezirksgerichts verlagert wird (5 Nc 22/16d mwN; RIS Justiz RS0047300 [T11]).

4. Offene Anträge sind kein grundsätzliches Übertragungshindernis (RIS Justiz RS0046895; RS0047027 [T8]; RS0046929; RS0049144), sondern es hängt von den jeweiligen Umständen ab, ob eine Entscheidung darüber durch das bisherige Gericht zweckmäßiger ist, etwa weil dieses wegen besonderer Sachkenntnis zur Erledigung effizienter geeignet ist ( Fucik in Fasching/Konecny ³ § 111 JN Rz 5; Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth , AußStrG § 111 JN Rz 16; Mayr in Rechberger , ZPO 4 § 111 JN Rz 4), oder weil es bereits Vernehmungen durchgeführt hat und die gewonnenen Eindrücke am besten selbst verwerten könnte (5 Nc 22/16d; RIS Justiz RS0047032, RS0046972 [T2, T4]; jüngst 4 Nc 2/18h; Gitschthaler aaO § 111 JN Rz 14, 16).

5. Solche Gründe sind hier aber nicht ersichtlich. Der Obsorgeantrag des Kinder- und Jugendhilfeträgers verweist auf eine Einverständniserklärung der bisher obsorgeberechtigten Mutter. Die persönlichen Probleme und die derzeitige Lebenssituation des Jugendlichen sind ebenfalls umfangreich im Akt dokumentiert. Besondere Erhebungen oder Einvernahmen von Beteiligten, die für die Entscheidung zu verwerten wären, wurden nicht durchgeführt.

Es ist nach diesen Umständen für den Jugendlichen nicht offenkundig von Vorteil, wenn das bisher zuständige Gericht über den Obsorgeantrag entscheidet (RIS Justiz RS0047027 [T3]), sodass nach der allgemeinen Regel dem Naheverhältnis zwischen Pflegebefohlenem und Gericht die wesentliche Bedeutung zukommt, womit jenes Gericht besser geeignet erscheint, in dessen Sprengel der Minderjährige seinen ständigen Aufenthalt hat.

Der entsprechende Beschluss des Bezirksgerichts Kufstein ist daher zu genehmigen.

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