11Os36/18f – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 26. April 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Albu als Schriftführer in der Strafsache gegen Yassin S***** und weitere Angeklagte wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Amjed A***** sowie über die Berufungen des Angeklagten Akmal Kh***** und der Staatsanwaltschaft in Ansehung der Angeklagten Armani und Jawed K***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 8. August 2017, GZ 4 Hv 37/17a 180, weiters über die Beschwerden der Angeklagten A***** und Kh***** sowie der Staatsanwaltschaft gegen Beschlüsse gemäß § 494a StPO in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch II./1./, demgemäß im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) sowie der Beschluss auf Widerruf und Absehen vom Widerruf bedingter Strafnachsichten aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache dazu an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.
Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.
Der Angeklagte A***** und die Staatsanwaltschaft (in Ansehung dieses Angeklagten) werden mit den Berufungen und Beschwerden auf die Aufhebung verwiesen.
Das Landesgericht für Strafsachen Graz wird dem Oberlandesgericht Graz entsprechende Aktenteile zur Erledigung der weiteren Berufungen und Beschwerden des Angeklagten Kh***** sowie der Staatsanwaltschaft (betreffend den Angeklagten Jawed K*****) vorzulegen haben.
Dem Angeklagten A***** fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil, das auch unbekämpft in Rechtskraft erwachsene Schuldsprüche der Mitangeklagten Yassin S*****, Jawed K***** und Akmal Kh***** sowie ebensolche Freisprüche enthält, wurde – soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde relevant – Amjed A***** des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1, Abs 2 (erster Fall) StGB (II./1./) sowie des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB (II./2./) schuldig erkannt.
Danach hat er in G*****
1./ in der Nacht vom 16. auf 17. Dezember 2016 Jasmin G***** durch die Ankündigung „Du wirst bald nicht mehr lachen. Ich schneide dir den Kopf ab und gehe damit spazieren!“, wobei er seine Ankündigung noch dadurch unterstrich, dass er mit seinen Händen andeutete, einen Kopf in Händen zu halten, gefährlich mit dem Tod bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen;
2./ am 6. Jänner 2017 Asef M***** durch Zurückbiegen des linken Daumens vorsätzlich am Körper verletzt und dadurch, wenn auch nur fahrlässig, eine schwere Körperverletzung, nämlich einen Riss des inneren Seitenbands am linken Daumengrundgelenk mit notwendiger operativer Behandlung herbeigeführt.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
Zutreffend reklamiert die zum Schuldspruch II./1./ erhobene Mängelrüge eine offenbar unzureichende Begründung (Z 5 vierter Fall) der Annahme des Schöffengerichts, wonach die mittels einer Geste unterstrichene Äußerung „Du wirst bald nicht mehr lachen. Ich schneide dir den Kopf ab und gehe damit spazieren!“ ihrem Bedeutungsinhalt nach der solcherart angesprochenen Jasmin G***** einen Angriff auf ihr Leben oder ihre körperliche Unversehrtheit in Aussicht stellte (US 11):
Welche Bedeutung eine Äußerung hat, ist eine im Rahmen der Beweiswürdigung unter Bedachtnahme auf alle konkreten Umstände des Einzelfalls zu lösende Tatfrage (RIS Justiz RS0092437), bei welcher – über den semantischen Aussagewert hinaus (vgl RIS-Justiz RS0116732 [T1]) – auch zu berücksichtigen ist, dass der Sinn eines Ausdrucks je nach Situation, Sprachgebrauch, Gewohnheiten, Bildungsgrad der Beteiligten, Gemütsverfassung oder anderen Begleitumständen durchaus unterschiedlich sein kann (RIS Justiz RS0092588; Jerabek/Reindl Krauskopf/Ropper/ Schroll in WK 2 StGB § 74 Rz 34; Leukauf/Steininger/Tipold , StGB 4 § 106 Rz 6).
Vorliegend bietet die tatrichterliche Beweiswürdigung für den angenommenen Bedeutungsinhalt der inkriminierten Äußerung schon als Drohung im Sinn des § 107 Abs 1 StGB aber keine zureichende Begründung.
Die (auf US 18 f dargestellten) Erwägungen erschöpfen sich darin, den Tathergang und die Täterschaft des Angeklagten auf die – für glaubwürdig befundenen – Schilderungen der Zeugen G***** und Fawad Z***** zu gründen, die leugnende Verantwortung des Angeklagten als Schutzbehauptung zu verwerfen und zur Fundierung der Absicht, G***** „in Furcht und Unruhe zu versetzen“, (rechtstaatlich an sich unbedenklich; vgl Ratz , WK-StPO § 281 Rz 452 mwN) auf das „objektive Tatgeschehen“ sowie den Umstand zu verweisen, dass die Äußerung mit den Worten „Allahu Akbar“ und einer „eindeutigen Geste“ unterstrichen wurde (US 19). Welche Überlegungen jedoch der Annahme zugrunde gelegt wurden, dass – dem Sinngehalt der Äußerung nach – hier ein Angriff auf das Leben oder die körperliche Unversehrtheit (vgl RIS-Justiz RS0092878, RS0092973) in Aussicht gestellt wurde, lässt die Urteilsbegründung nicht erkennen, weshalb der Schuldspruch insofern offenbar unzureichend begründet (Z 5 vierter Fall) geblieben ist ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 444).
Da bereits dieses Begründungsdefizit die
Kassation des Schuldspruchs II./1./ erfordert, erübrigt sich ein Eingehen auf die weitere darauf bezogene Beschwerdeargumentation (Z 10).
Demgegenüber lässt jedoch das zum Schuldspruch II./2./ (ununterschieden gemeinsam aus Z 5 und 5a, die unterschiedlichen Anfechtungskriterien insoweit missachtend) erstattete Beschwerdevorbringen nicht erkennen, inwieweit die ins Treffen geführte Passage der (durchaus berücksichtigten; US 20) Aussage des Zeugen Z***** (wonach er selbst „es nicht genau mitbekommen“ habe, „wie das passiert ist“, sondern „nur danach bemerkt“ habe, „dass Asef verletzt war“; ON 171 S 7) sowie Bekundungen der (keine detaillierten Wahrnehmungen des Geschehens behauptenden) Zeuginnen Mihaela-Denisa P***** (ON 171 S 7 f) und Madja C***** (ON 70 S 25 f) den zu entscheidenden Tatsachen getroffenen Feststellungen (US 11 f) erörterungsbedürftig entgegenstehen (Z 5 zweiter Fall) oder erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Schuldspruch zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen auslösen (Z 5a) sollten.
Da der den Verfahrensergebnissen vom Schöffengericht jeweils zuerkannte Beweiswert einer Anfechtung mittels Mängelrüge entzogen ist (RIS-Justiz RS0106588 [T3], RS0098471), bekämpfen geäußerte Bedenken gegen die angenommene Überzeugungskraft der Angaben des Tatopfers (US 19 f) sowie der Verletzungsanzeige und des Arztbriefs (US 20) nur unstatthaft die dem erkennenden Senat vorbehaltene Beweiswürdigung (US 19 ff) nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren gesetzlich nicht vorgesehenen Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld.
Der Beschwerde (Z 5 zweiter Fall) zuwider haben die Tatrichter durchaus erwogen, dass – aus medizinischer Sicht – eine Verletzungsentstehung auch durch Zuschlagen des M***** möglich gewesen wäre, einen derartigen Geschehensverlauf aber mit Blick auf die übrigen Verfahrensresultate für widerlegt erachtet (US 20 f). Dass diese Argumentation dem Nichtigkeitswerber nicht überzeugend genug erscheint und insbesondere aus seiner eigenen (als unglaubwürdig verworfenen; US 21) Einlassung auch andere, für ihn günstigere Schlüsse denkbar gewesen wären, stellt kein Begründungsdefizit dar (RIS-Justiz RS0099455, RS0116732 [T3, T6]; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 449 f).
Mit der Berufung auf den Zweifelsgrundsatz wird abermals keine Nichtigkeit im Sinn des § 281 Abs 1 Z 5 oder Z 5a StPO aufgezeigt (RIS-Justiz RS0102162).
Der in diesem Zusammenhang unter Berücksichtigung der Gesamtumstände gezogene Schluss vom äußeren Verhalten auf die subjektive Tatseite des Nichtigkeitswerbers (US 21)
ist methodisch nicht zu beanstanden (RIS-Justiz RS0098671, RS0116882), weshalb auch der insofern erhobene Vorwurf der Scheinbegründung (Z 5 vierter Fall) versagt.
Das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei nichtöffentlicher Beratung in teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten A***** im Schuldspruch II./1./ demzufolge im ihn betreffenden Strafausspruch einschließlich der Vorhaftanrechnung sowie in der zu diesem Angeklagten ergangenen Entscheidung über den (bzw das Absehen vom) Widerruf bedingter Strafnachsichten aufzuheben, eine neue Hauptverhandlung anzuordnen und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz zu verweisen.
Im Übrigen war die Nichtigkeitsbeschwerde gleichfalls in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur gemäß § 285d StPO sofort zurückzuweisen; A***** sowie die Staatsanwaltschaft (in Ansehung dieses Angeklagten) waren mit ihren Berufungen und Beschwerden auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.
Die Entscheidung über die weiteren Berufungen und Beschwerden des Angeklagten Kh***** sowie der Staatsanwaltschaft (betreffend den Angeklagten K*****) kommt dem Oberlandesgericht Graz zu (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO), dem das Landesgericht für Strafsachen Graz die hiezu erforderlichen Aktenteile zuzuleiten haben wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.