13Os18/18y – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 14. März 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Pichler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Andreas V***** wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 84 Abs 4 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Schöffengericht vom 3. November 2017, GZ 11 Hv 110/17s 54, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Andreas V***** des Verbrechens (richtig: mehrerer Verbrechen) der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 84 Abs 4 StGB (1) sowie jeweils eines Vergehens der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (2) und der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 223 Abs 2, 224 StGB (3) schuldig erkannt, zu einer Freiheitsstrafe verurteilt sowie gemäß § 21 Abs 2 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.
Danach hat er – soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung – am 19. Juni 2017 in W*****
(1) Michaela W*****, Beatrice B***** und Philipp S***** eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) zuzufügen versucht, indem er mit einem von ihm gelenkten Pkw auf diese drei (sich im Bereich eines Gehsteigs aufhaltenden) Personen direkt zufuhr;
(2) Michaela W***** mit Gewalt zu einer Handlung, nämlich zur Mitfahrt in diesem Pkw, zu nötigen versucht, indem er sie an beiden Oberarmen erfasste und sie in Richtung des Fahrzeugs zerrte.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen wendet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a sowie 9 lit a und 9 lit b StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
Mit dem Hinweis auf die Urteilsformulierung, die Feststellungen würden sich („soweit widerspruchsfreie Beweisergebnisse vorliegen“) „auf die in Klammer angeführten Beweismittel“ stützen (US 10), wird Undeutlichkeit von Feststellungen (Z 5 erster Fall) nicht behauptet.
Unter dem Aspekt der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) vermisst der Nichtigkeitswerber die Erörterung eines Details der Zeugenaussage B*****, wonach er das Lenkrad „von ihr weg“ „verrissen“ habe (ON 53 S 5). Abgesehen davon, dass die Tatrichter diesen Aussageinhalt ohnehin – dem Gebot zu gedrängter Darstellung in den Urteilsgründen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) folgend – berücksichtigt haben (US 12), unterlässt der Einwand – prozessordnungswidrig (RIS Justiz RS0116504) – schon die Betrachtung des relevierten Beweismittels in seiner Gesamtheit. Hat doch die Zeugin nach der Aktenlage auch angegeben, das Fahrzeug erst wahrgenommen zu haben, als es bereits vor ihnen „ins Gebüsch gefahren“ sei, der Angeklagte sei auf sie „hergerast“ und das Auto würde sie „erwischt“ haben, wenn S***** sie „nicht weggezogen“ hätte (ON 53 S 3).
Keinen schuld- oder subsumtionsrelevanten Umstand berührt die – vom Erstgericht ausdrücklich offen gelassene (US 8) – Frage, ob eine Liebesbeziehung des Angeklagten mit W***** zur Tatzeit aufrecht war oder nicht. Das dazu erstattete Rechtsmittelvorbringen verfehlt daher von vornherein den – im Ausspruch des Schöffengerichts über entscheidende Tatsachen gelegenen ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 391, 399) – Bezugspunkt sowohl der Mängel- (Z 5) als auch der Tatsachenrüge (Z 5a).
Gleiches gilt, soweit die Beschwerde (aus Z 5a) in der Hauptverhandlung vorgekommene (§ 258 Abs 1 StPO), vom Erstgericht ohnedies gewürdigte (US 13, 14 f) Beweisergebnisse nicht gegen konkrete Feststellungen über entscheidende Tatsachen, sondern isoliert gegen die Glaubwürdigkeit der unmittelbaren Tatzeugen W*****, B***** und S***** ins Treffen führt.
Keine erheblichen Bedenken (Z 5a) gegen die Feststellungen zum Verletzungsvorsatz (US 9) weckt das Kalkül des Sachverständigen aus dem Fach der Kraftfahrzeugtechnik, es sei möglich, dass sich die Fahrgeschwindigkeit des vom Angeklagten gelenkten Pkw von (vor dem Verlenken des Fahrzeugs nach rechts) rund 55 km/h auf (zum Zeitpunkt des Überfahrens der Bordsteinkante) 35 km/h verringert habe (ON 19 S 7 f iVm ON 53 S 5).
Die weitere Tatsachenrüge bezweifelt anhand einzelner, aus dem Zusammenhang gelöster Details der Zeugenaussage W***** die Feststellung, das Fahrzeug sei „unmittelbar neben den Dreien über die Gehsteigkante“ gefahren (US 9); ferner fordert sie, das Erstgericht hätte „auch bezüglich der Feststellungen zur versuchten Nötigung von den Aussagen des Angeklagten ausgehen müssen“. Damit wird – abseits der Anfechtungskategorien der §§ 281 Abs 1, 281a StPO – bloß die Beweiswürdigung des Schöffengerichts nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld bekämpft.
Indem die Rechtsrüge (Z 9 lit a) nicht an den Feststellungen zum Verletzungsvorsatz (US 9) festhält, sondern diese beweiswürdigend bestreitet, verfehlt sie den – im Urteilssachverhalt gelegenen – Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS Justiz RS0099810).
Ebenso wenig nach der Verfahrensordnung ausgerichtet ist die Rüge, soweit sie (aus Z 9 lit b) Rücktritt vom Versuch (§ 16 StGB) reklamiert und dazu – ohne einen Feststellungsmangel prozessförmig (RIS Justiz RS0118580) geltend zu machen – auf ihr Vorbringen zur Mängelrüge verweist (RIS Justiz RS0115902).
Allfällige Fehler der Prognoseentscheidung (US 10 iVm 20 f) ressortieren im System der Nichtigkeitsgründe in den Regelungsbereich des zweiten Falles des § 281 Abs 1 Z 11 StPO. Konkret liegt Nichtigkeit aus Z 11 zweiter Fall dann vor, wenn diese Entscheidung zumindest eine der in § 21 Abs 1 StGB (hier iVm § 21 Abs 2 StGB) genannten Erkenntnisquellen (Person, Zustand des Rechtsbrechers und Art der Tat) vernachlässigt oder der unter Beachtung dieser Erkenntnisquellen im Urteil angeführte Sachverhalt die Prognoseentscheidung als willkürlich erscheinen lässt (RIS Justiz RS0113980, RS0118581; Ratz , WK StPO § 281 Rz 715 ff), was hier nicht behauptet wird.
Eine Bekämpfung aus Z 5a des § 281 Abs 1 StPO steht in Verbindung mit dem ersten Fall, nicht jedoch mit dem zweiten Fall des § 281 Abs 1 Z 11 StPO offen (RIS Justiz RS0118581; Ratz , WK StPO § 281 Rz 669). Die aus dem Blickwinkel der Tatsachenrüge erhobene Kritik an der Prognoseentscheidung geht somit schon im Ansatz fehl.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufung folgt (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.