JudikaturOGH

11Os144/17m – OGH Entscheidung

Entscheidung
30. Januar 2018

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 30. Jänner 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Pichler als Schriftführerin im Verfahren zur Unterbringung der Malgorzata S***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Geschworenengericht vom 13. September 2017, GZ 20 Hv 1/17m 60, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der

Geschworenen beruhenden Urteil wurde die Betroffene Malgorzata S***** nach § 21 Abs 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.

Demnach hat sie am 4. Februar 2017 in M***** unter dem Einfluss eines ihre Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad, nämlich einer schweren Depression mit wahnhafter Symptomatik beruht, Franz S***** zu töten versucht, indem sie mit einer Hacke zumindest einen Schlag gegen seinen Kopf führte, wodurch er eine Rissquetschwunde am rechten Jochbein und eine leicht blutende Wunde am rechten Unterarm erlitt, somit eine Tat begangen, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist und die ihr, wäre sie zur Tatzeit zurechnungsfähig gewesen, als Verbrechen des Mordes nach §§ 15, 75 StGB zugerechnet würde.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 6, 10a und 13 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Betroffenen.

Die gesetzmäßige Ausführung einer Fragenrüge (Z 6) – hier in Richtung §§ 15, 76 StGB – erfordert die deutliche und bestimmte Bezeichnung der vermissten Fragestellung und des sie indizierenden Tatsachensubstrats in der Hauptverhandlung samt Angabe der Fundstellen in den Akten (RIS Justiz RS0119418, RS0119417, RS0117447, RS0100860). Beruft sich ein Nichtigkeitswerber bei der Kritik an der Unterlassung der Aufnahme einer Eventualfrage in den Fragenkatalog auf ein in der Hauptverhandlung vorgekommenes Verfahrensergebnis, darf er den Nachweis der geltend gemachten Nichtigkeit nicht bloß auf der Grundlage einzelner, isoliert aus dem Kontext der Gesamtverantwortung gerissener Sätze führen, sondern hat vielmehr die Verantwortung in ihrer Gesamtheit zu berücksichtigen (RIS Justiz RS0120766). Durch selektives Betonen einzelner Aussageteile unter Außerachtlassen des Zusammenhangs wird die Indizwirkung für eine angestrebte Zusatzfrage nicht dargetan (RIS Justiz RS0100464).

Die Beschwerdeführerin vermisst unter Bezugnahme auf die Angaben des Opfers Franz S*****, wonach er der Beschwerdeführerin am Tag vor dem Vorfall mitgeteilt habe, dass sie wieder in das Krankenhaus müsse, was diese nicht gewollt habe, die Stellung einer Eventualfrage in Richtung des Verbrechens des Totschlags, vernachlässigt dabei jedoch die Verfahrensergebnisse in ihrer Gesamtheit, im Besonderen die eigene Verantwortung, wonach es keinen Grund gegeben habe, dem Opfer die Hacke auf den Kopf zu schlagen (ON 59 S 8); ein ernst zu nehmendes Indiz ( Ratz , WK StPO § 345 Rz 23) für die reklamierte Fragestellung liegt demnach nicht vor.

Die Tatsachenrüge (Z 10a) wendet sich unter Bezugnahme auf eine Passage der Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen, es habe rein vom Verstand betrachtet keinen zwingenden Grund gegeben, dass die Beschwerdeführerin nicht gewusst habe, was passiere, wenn man mit einer Axt auf einen Menschen einschlage (ON 59 S 33), gegen die mit Wahrspruch festgestellte entscheidende Tatsache des (zumindest) bedingten Vorsatzes der Beschwerdeführerin. Sie versucht aus einzelnen isoliert betrachteten Beweisergebnissen für die Betroffene günstige Schlüsse abzuleiten und nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren gesetzlich nicht vorgesehenen Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld die in der Bejahung der Schuldfrage (Hauptfrage I) zum Ausdruck kommende Beweiswürdigung der Geschworenen in Zweifel zu ziehen. Damit gelingt es ihr nicht – insbesondere auch in Ansehung des festgestellten äußeren Tatgeschehens (RIS Justiz RS0089046) – beim Obersten Gerichtshof erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der Annahme eines vorsätzlichen Tötungsversuchs zu erwecken (vgl RIS Justiz RS0119583, RS0118780 uvm; Ratz , WK StPO § 281 Rz 470 ff, Rz 490 f).

Die gegen die Anordnung der Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB gerichtete Sanktionsrüge (Z 13) behauptet zusammengefasst mangelnde Feststellungen in Bezug auf die Kausalität der geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades für die Anlasstat und betreffend die Prognosetat mit schweren Folgen.

Vorauszuschicken ist, dass die Anordnung einer Maßnahme nach § 21 StGB einen Ausspruch nach § 260 Abs 1 Z 3 StPO darstellt, der grundsätzlich mit Berufung und nach Maßgabe des § 345 Abs 1 Z 13 StPO auch mit Nichtigkeitsbeschwerde bekämpft werden kann. Dabei sind Überschreitung der Anordnungsbefugnis (§ 345 Abs 1 Z 13 erster Fall StPO) und Ermessensentscheidung innerhalb dieser Befugnis zu unterscheiden. Gegenstand der Nichtigkeitsbeschwerde ist jedenfalls die Überschreitung der Anordnungsbefugnis, deren Kriterien der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades beruhende Zustand und dessen Einfluss auf die Anlasstat sowie die Mindeststrafdrohung für die Anlasstat nach § 21 StGB sind. Hinsichtlich dieser für die Sanktionsbefugnis (§ 345 Abs 1 Z 13 erster Fall StPO) entscheidenden Tatsachen ist neben der Berufung auch die Bekämpfung mit Verfahrens-, Mängel- und Tatsachenrüge (hier § 345 Abs 1 Z 13 erster Fall iVm Z 3 bis 5 und 10a StPO) zulässig.

Werden die gesetzlichen Kriterien für die Ermessensentscheidung (Gefährlichkeitsprognose) verkannt oder wird die Prognosetat verfehlt als solche mit schweren Folgen beurteilt, kommt eine Anfechtung aus § 345 Abs 1 Z 13 zweiter Fall StPO in Betracht (vgl Ratz in WK² StGB Vorbem zu §§ 21 bis 25 Rz 8 ff mwN und Ratz , WK StPO § 345 Rz 17).

Nichtigkeit des Sanktionsausspruchs nach § 345 Abs 1 Z 13 zweiter Fall StPO liegt vor, wenn die in Frage gestellte Gefährlichkeitsprognose zumindest eine der in § 21 Abs 1 StGB genannten Erkenntnisquellen (Person, Zustand des Rechtsbrechers und Art der Tat) vernachlässigt oder die aus den gesetzlich angeordneten Erkenntnisquellen gebildete Feststellungsgrundlage die Ableitung der Befürchtung, also der rechtlichen Wertung einer hohen Wahrscheinlichkeit für die Sachverhaltsannahme, der Rechtsbrecher werde eine oder mehrere bestimmte Handlungen begehen, welche ihrerseits rechtlich als mit Strafe bedroht und entsprechend sozialschädlich (mit schweren Folgen) zu beurteilen wären, als willkürlich erscheinen lässt (vgl Ratz , WK StPO § 281 Rz 715 ff; RIS Justiz RS0118581, RS0113980, RS0090341; 12 Os 47/10v).

Die Sanktionsrüge übergeht mit der Kritik, es fehle an einer „Klarstellung“ in Bezug auf die (Mit )Ursächlichkeit der geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad für die Anlasstat die erstgerichtlichen Feststellungen zur Begehung derselben unter dem Einfluss (US 2; RIS Justiz RS0116587; Ratz in WK² StGB § 21 Rz 11) „einer schweren Depression mit wahnhafter Symptomatik“, konkretisiert als „Zustand höchstgradiger affektiver Einengung mit Perspektivenlosigkeit, Desorganisiertheit, Ratlosigkeit mit Wahnhaftigkeit im Rahmen der Depression und letztlich einem Verlust des Wertgefühls“ (US 4 f) zur Tatzeit, sowie die Konstatierung, „dass die nihilistische und perspektivenarme wahnhafte Denkweise in erster Linie die eheliche Situation betrifft, weshalb sich ein hohes Maß an Destruktivität bis zur tätlichen Aggression in erster Linie gegen den Ehemann richtet“ (US 7). Damit verfehlt die Rüge die prozessförmige Darstellung des Nichtigkeitsgrundes.

Die Beschwerdeführerin legt nicht dar, welche weiteren Konstatierungen neben jenen, es sei „mit hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchten, dass sich ähnliche Handlungen wie die gegenständliche“ – der Versuch vorsätzlicher Tötung – „im Lauf der nächsten Wochen und Monate wiederholen“ werden (US 5), unter Berücksichtigung der Feststellungen zu ihrer Person und ihrem Zustand sowie zur Art der Anlasstat (US 3 ff) zur Beschreibung der zu erwartenden Prognosetat mit schweren Folgen erforderlich wären, um die rechtliche Beurteilung der zu erwartenden mit Strafe bedrohten Handlung(en) mit schweren Folgen (unter Beachtung der tatbestandsmäßigen Folgen wie auch sonstiger Tatauswirkungen) zu ermöglichen (RIS Justiz RS0118581, [insb T3, T9 und T10], RS0113980, [insb T8 und T10]; 12 Os 32/12s; Ratz in WK² StGB § 21 Rz 26).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur bei nichtöffentlicher Beratung gemäß §§ 285d Abs 1, 344 StPO sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§§ 285i, 344 StPO).

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