12Os126/17x – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Jänner 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Ettel als Schriftführerin in der Auslieferungssache des Aslan G*****, AZ 311 HR 293/14t des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über den Antrag des Betroffenen auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Text
Gründe:
Mit Beschluss vom 4. November 2016, GZ 311 HR 293/14t 249, erklärte der Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Wien die mit Ersuchen vom 13. Februar 2015 von der Russischen Föderation begehrte Auslieferung des Aslan G***** zur Strafverfolgung wegen im Auslieferungsersuchen beschriebener Straftaten für (nicht un )zulässig.
Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 12. September 2017, AZ 22 Bs 317/16b, nicht Folge (ON 286).
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich der auf die Behauptung von Verletzungen der Art 2, 3 und 6 EMRK gestützte Erneuerungsantrag des Betroffenen.
Ein nicht auf eine Entscheidung des EGMR gestützter Erneuerungsantrag hat nicht nur deutlich und bestimmt darzulegen, worin eine (vom Obersten Gerichtshof sodann selbst zu beurteilende) Grundrechtsverletzung im Sinn des § 363a Abs 1 StPO zu erblicken sei, sondern hat sich dabei auch mit der als grundrechtswidrig bezeichneten Entscheidung in allen relevanten Punkten auseinanderzusetzen (RIS Justiz RS0124359) und seine Argumentation grundsätzlich (soweit nicht Begründungsmängel aufgezeigt oder erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit getroffener Feststellungen geweckt werden) auf Basis der Tatsachenannahmen der bekämpften Entscheidung (methodengerecht) zu entwickeln (RIS Justiz RS0125393 [T1]).
Im Hinblick auf die zahlreichen Beweisanbote im vorliegenden Antrag sei weiters vorangestellt, dass Neuerungen zum Sachverhalt – die im Übrigen geeignet sein müssten, die (aus dem Gesetz abgeleitete) Unzulässigkeit der Auslieferung zu bewirken – nur Gegenstand einer Wiederaufnahme sein können (vgl 14 Os 53/17a; 13 Os 80/16p). Das solcherart erstattete Vorbringen ist daher unbeachtlich und einer Erwiderung nicht zugänglich.
Indem der Erneuerungswerber seine Befürchtungen hinsichtlich der ihm drohenden Vollstreckung der Todesstrafe (Art 2 EMRK) daraus ableitet, dass die Russische Föderation Art 1 des 6. ZPEMRK betreffend die Abschaffung dieser Sanktion bislang nicht ratifiziert habe und mittlerweile rechtliche Grundlagen geschaffen worden seien, Entscheidungen des EGMR nicht umsetzen zu müssen, geht er an den Annahmen des Beschwerdegerichts zum Inhalt der als ausreichend erachteten Zusage der russischen Behörden vorbei. Danach wird nämlich die Todesstrafe (abgesehen von Verpflichtungen gegenüber der EMRK) laut Teil 2.1. Artikel 59 des Strafgesetzbuches der Russischen Föderation dann nicht verhängt, wenn es sich um die Person handelt, die an die Russische Föderation vom ausländischen Staat zur strafrechtlichen Verfolgung ausgeliefert wurde (BS 7 mit Verweis auf ON 57 AS 11; vgl auch ON 261). Dass sich die russischen Strafverfolgungsorgane nicht an ihre nationalen Gesetze halten würden, wendet der Antragsteller aber ohnedies nicht ein.
Soweit der Erneuerungswerber eine drohende Konventionsverletzung in den Haftanstalten des ersuchenden Staates behauptet (Art 3 EMRK) und dabei auf (vom Oberlandesgericht im Übrigen ohnedies berücksichtigte – vgl BS 11 f, 15 f) Berichte internationaler Quellen betreffend Folter und schwere Misshandlungen von Häftlingen im Nordkaukasus Bezug nimmt sowie die Haftbedingungen in Nordossetien-Alanien im Wesentlichen unter Hinweis auf Entscheidungen des EGMR, Einschätzungen der Österreichischen Botschaft in Moskau und diverser „NGOs“, einer Entschließung des Europäischen Parlaments, Schreiben von Rechtsvertretern „mutmaßlicher Komplizen“ kritisiert, nimmt er abermals nicht an den Annahmen des Beschwerdegerichts Maß. Denn danach besteht aufgrund entsprechender Zusicherungen der Russischen Föderation in Bezug auf die Einhaltung der Konventionsgarantien und diplomatischer Interventionsmöglichkeiten Österreichs für den Antragsteller keine konkrete Gefahr einer menschenrechtswidrigen Behandlung (BS 9 bis 11). Dass diese Konstatierungen willkürlich oder grob unvernünftig iSd Art 6 EMRK (vgl 17 Os 18/17a; EGMR 20. 9. 2011 Oao Neftyanaya Kompaniya Yukos gg. Russland , Nr 14902/04 Rz 589; EGMR 25. 7. 2013 Khodorkovskiy und Lebedev gg. Russland ; Nr 11082/06 und 13772/05 Rz 803; jeweils mwN) getroffen worden wären, behauptet der Erneuerungswerber im Übrigen (zu Recht) nicht.
Entgegen dem weiteren Antragsvorbringen ist eine solche Verletzung der Begründungspflicht auch nicht in der Annahme zu erblicken, dass allein aus einer zu einem früheren Zeitpunkt stattgefundenen Misshandlung ohne Hinzutreten weiterer Umstände kein reales Risiko neuerlicher Folter ableitbar sei (BS 23 f).
Gleiches gilt, soweit sich der Erneuerungswerber auf die – vom Beschwerdegericht als nicht überzeugend gewertete (BS 22) – eidesstattliche Erklärung des Zaurbek G***** beruft, wonach für den Betroffenen schon eine mit Chemikalien behandelte Spezialzelle vorbereitet worden sei.
Das weitere Vorbringen zur Beteiligung des Antragstellers bei den „Wahlen in Ossetien“ und seiner Involvierung in die „Geschehnisse rund um die Geiselnahme in Beslan“ erschöpft sich im bloßen Referat der angeblichen Geschehnisse, ohne eine darauf bezogene Grundrechtsverletzung durch eine Entscheidung oder Verfügung des Beschwerdegerichts deutlich und bestimmt aufzuzeigen.
Mit dem Argument, dass die Russische Föderation in anderen – im angefochtenen Beschluss im Übrigen erörterten (BS 20 ff) – Auslieferungsverfahren diplomatische Zusicherungen nicht eingehalten habe, wendet sich der Erneuerungswerber bloß nach Maßgabe eigenständiger Bewertung diesbezüglicher Verfahrensergebnisse gegen die Annahmen des Oberlandesgerichts, wonach es sich insoweit um keine objektiven Quellen betreffend die Anwendung oder Tolerierung konventionswidriger Praktiken (vgl RIS-Justiz RS0128035) handelt. Eine qualifizierte Fehleinschätzung des Oberlandesgerichts im oben dargelegten Sinn zeigt der Antragsteller solcherart nicht auf.
Der Einwand, dass vom „Föderalen Gesetz der Russischen Föderation vom 15. Dezember 2015 Nr 7 über die Änderungen des Föderalen Verfassungsgesetzes über das Verfassungsgericht der Russischen Föderation“, wonach dem Verfassungsgericht der Russischen Föderation die Befugnis zukommt, im Einzelfall die Umsetzung bzw die Vollstreckung von Entscheidungen des EGMR anzuordnen oder dies abzulehnen, die reale Gefahr einer offenkundigen Verweigerung eines fairen Prozesses (Art 6 EMRK) im ersuchenden Staat (vgl RIS-Justiz RS0129558, RS0123200; Göth Flemmich in WK 2 ARHG § 19 Rz 14; Meyer Ladewig EMRK 4 Art 6 Rz 166) ausgehen soll, erschöpft sich in einer bloßen Rechtsbehauptung. Mit Blick darauf, dass die Garantien der Art 3, 5 und 6 EMRK auch in der Verfassung der Russischen Föderation (Art 21, 22, 46–54 – vgl ON 237) verankert sind (vgl ON 236 AS 5), macht der Antragsteller auch nicht deutlich, aus welchem Grund die russischen Strafgerichte allein wegen einer allfälligen Nichtumsetzung eines verurteilenden Erkenntnisses des EGMR durch das russische Verfassungsgericht schon im Vorfeld die sich aus der Konvention ergebenden Garantien, und damit auch innerstaatliches Verfassungsrecht, verletzen sollten (vgl 12 Os 154/17m). Der in diesem Zusammenhang erhobene Rekurs auf Art 13 EMRK geht schon deshalb fehl, weil sich diese Konventionsgarantie nur auf den innerstaatlichen Instanzenzug bezieht.
Im gegenständlichen Beschwerdeverfahren vor dem Oberlandesgericht hatte der (nunmehrige) Antragsteller (nur) eine Verletzung des Rechts auf den „gesetzlichen Richter“ (gemeint: ein auf Gesetz beruhendes Gericht – vgl Art 6 Abs 1 erster Satz EMRK) behauptet, weil die Hauptsache (aus dem das nunmehrige Verfahren gegen den Antragsteller ausgeschieden wurde) nicht vor dem zuständigen ordentlichen Strafgericht, sondern einem Militärgericht durchgeführt worden (ON 252 AS 39) und in seinem Verfahren das gleiche Vorgehen zu erwarten sei. Weshalb aber eine solche Vorgehensweise konkret zu besorgen sei, gibt der Erneuerungswerber indes nicht bekannt. Dass die seiner Befürchtung entgegenstehende diplomatische Zusicherung (ON 110 AS 12) nicht eingehalten werde, führt er im Übrigen gar nicht aus.
Soweit der Antragsteller darüber hinaus (erstmals) vorbringt, dass dieses Militärgericht im Hinblick auf mangelnde Unparteilichkeit und Unabhängigkeit und fehlende Verteidigungsrechte ein nicht den Anforderungen des Art 6 EMRK entsprechendes „Ausnahmegericht“ darstelle, hat er den Instanzenzug nicht erschöpft, womit dieses Vorbringen auf sich zu beruhen hat (vgl RIS-Justiz RS0124739).
Mit dem pauschalen Einwand, wonach eine negative Pressekampagne durch russische Amtspersonen „geeignet sei“, „potentielle Geschworene“ im „Vorfeld“ einer eventuellen Gerichtsverhandlung zu beeinflussen und „in Hinblick auf einen Schuldspruch“ des Antragstellers voreinzunehmen, wird weder die (drohende) Verletzung der Unschuldsvermutung (Art 6 Abs 2 EMRK) durch die konkret zuständigen Strafverfolgungsorgane noch die reale Gefahr einer offenkundigen Verweigerung eines fairen Prozesses im oben dargelegten Sinn behauptet.
Welche Grundrechtsverletzung mit dem Unterbleiben einer Beweisaufnahme (Anfrage an das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe [CPT]) im Hinblick darauf, dass das Oberlandesgericht das Beweisthema im Beschwerdeverfahren als erwiesen ansah (§ 55 Abs 2 Z 3 StPO; BS 11), bewirkt worden sein soll, wird nicht klar.
Soweit der Antragsteller in der unterbliebenen Vernehmung von Zeugen eine Verletzung der „Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung und zur Prüfung von Auslieferungshindernissen iS von § 19 ARHG“ erblickt, gibt er nicht bekannt, in welchem Grundrecht er sich verletzt erachtet (zur Unanwendbarkeit des Art 6 EMRK im Auslieferungsverfahren selbst vgl im Übrigen RIS Justiz RS0123200 [T2]).
Der Erneuerungsantrag war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung als offenbar unbegründet zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 3 StPO).