11Os143/17i – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 12. Dezember 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Pichler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Martin B***** wegen Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 31. August 2017, GZ 35 Hv 39/17k 59, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Martin B***** mehrerer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach (teils § 15 iVm) § 206 Abs 1 StGB (A) und mehrerer Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach (teils § 15 iVm) § 212 Abs 1 Z 2 StGB (B) schuldig erkannt, zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und nach § 21 Abs 2 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.
Danach hat er in W*****
(A) mit einer unmündigen Person eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung, nämlich den Analverkehr,
(I) unternommen, und zwar
(1) im Frühling 2014 mit dem am 21. Jänner 2003 geborenen N*****;
(2) mit dem am 20. Oktober 2003 geborenen S*****
(a) in der Nacht zum 18. Februar 2017;
(b) am Morgen des 18. Februar 2017;
(II) zu unternehmen versucht, und zwar in der Nacht zum 18. Februar 2017 mit S*****, wobei es infolge dessen Weigerung beim Versuch blieb;
(B) durch die zu A geschilderten Verhaltensweisen mit einer minderjährigen Person, die seiner Erziehung und Aufsicht unterstand, unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber dieser Person eine geschlechtliche Handlung teils (A I) vorgenommen, teils (A II) vorzunehmen versucht.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
Sie hält die „Annahme des Gerichtes“, dass der (alle Übergriffe leugnende) Angeklagte – zu einem Zeitpunkt, als bloß wegen der S***** betreffenden Vorwürfe gegen ihn ermittelt wurde – „den Namen N*****“ selbst „aufgebracht“ habe (vgl US 10), für „entgegen aller Lebenserfahrungen“ und „mit den logischen Denkgesetzen nicht in Einklang zu bringen“.
Damit bekämpft sie keine Feststellung über eine entscheidende Tatsache (zu diesem Begriff Ratz , WK-StPO § 281 Rz 398 f), sondern bloß die – übrigens aktenkonforme (ON 2 S 113 f) – Wiedergabe der Einlassung des Angeklagten im Rahmen der Beweiswürdigung, und verfehlt daher den Bezugspunkt der Mängelrüge (RIS-Justiz RS0106268).
Die weitere Rüge bemängelt, das Erstgericht habe Aussagen der Zeugin Julia P***** zu sexuellen Gefälligkeiten, die S***** anderen Mitgliedern seiner Wohngemeinschaft für bestimmte Gegenleistungen erwiesen habe, „mit Stillschweigen übergangen“ (Z 5 zweiter Fall). Welcher konkreten Feststellung über welche entscheidende Tatsache dieses Beweisergebnis in welcher Hinsicht erörterungsbedürftig entgegenstehen sollte, sagt sie aber nicht.
Anhand seiner – losgelöst vom Urteilsinhalt vorgenommenen (siehe aber RIS-Justiz RS0119370) – eigenständigen Interpretation von Verfahrensergebnissen spekuliert der Nichtigkeitswerber, die Aussagen der Belastungszeugen S***** und N***** würden „keinesfalls den Tatsachen entsprechen“ und, dass „S***** real Miterlebtes mit anderen Burschen dem Angeklagten anlaste“. Damit stellt er lediglich die Beweiswürdigung des Schöffengerichts, das diesen Zeugenaussagen Glauben schenkte (US 11 f), nach Art einer – im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen – Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld infrage.
Das weitere Vorbringen bekämpft die Feststellungen zum auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades beruhenden Zustand (US 8) sowie die vom Erstgericht angestellte Gefährlichkeitsprognose (US 14 iVm US 8, 12), indem es das Gutachten des beigezogenen Sachverständigen aus dem Fach der Psychiatrie, auf das die Tatrichter ihre diesbezüglichen Urteilsannahmen stützten (US 12), als „nicht nachvollziehbar“, „unvollständig“ und „im Widerspruch mit sich selbst“ stehend kritisiert.
Allfällige Fehler der Prognoseentscheidung ressortieren im System der Nichtigkeitsgründe in den Regelungsbereich des zweiten Falles des § 281 Abs 1 Z 11 StPO. Konkret liegt Nichtigkeit aus Z 11 zweiter Fall dann vor, wenn diese Entscheidung zumindest eine der in § 21 Abs 1 StGB genannten Erkenntnisquellen (Person, Zustand des Rechtsbrechers und Art der Tat) vernachlässigt oder die aus diesen Erkenntnisquellen gebildete Feststellungsgrundlage die Prognoseentscheidung als willkürlich erscheinen lässt (RIS-Justiz RS0113980, RS0118581; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 715 ff), was hier nicht behauptet wird.
Eine Bekämpfung aus Z 5 des § 281 Abs 1 StPO steht in Verbindung mit dem ersten Fall, nicht jedoch mit dem zweiten Fall des § 281 Abs 1 Z 11 StPO offen (RIS-Justiz RS0118581; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 669). Die aus dem Blickwinkel der Mängelrüge erhobene Kritik an der Prognoseentscheidung geht somit schon im Ansatz fehl.
Soweit sich die Rüge – der Sache nach aus Z 11 erster Fall iVm Z 5 ( Ratz in WK 2 StGB Vor §§ 21–25 Rz 8 f) – gegen die Konstatierungen zum auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades beruhenden Zustand des Beschwerdeführers richtet, sei erwidert:
Der Angeklagte hat, nachdem das angesprochene Gutachten in der Hauptverhandlung erörtert worden war (ON 48 S 41 bis 48), weder eine Mangelhaftigkeit (§ 127 Abs 3 StPO) desselben aufgezeigt noch eine Überprüfung von Befund und Gutachten durch einen weiteren Sachverständigen beantragt ( Hinterhofer , WK-StPO § 127 Rz 16; Ratz , WK StPO § 281 Rz 351). Mit (bloß) gegen die materielle Überzeugungskraft einer – im Sinn des § 127 Abs 3 StPO – mängelfreien Expertise gerichtetem Vorbringen aber wird ein formaler Mangel einer auf das betreffende Gutachten gestützten Urteilsbegründung nicht einmal behauptet (RIS Justiz RS0097433, RS0099508).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der gegen den Strafausspruch gerichteten Berufung folgt (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.