5Ob136/17m – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Stadt Wien, vertreten durch Stadt Wien – Wiener Wohnen, Rosa-Fischer-Gasse 2, 1030 Wien, vertreten durch Mag. Alexander Paleczek, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei J* B*, vertreten durch dessen Sachwalter MMag. Dr. Franz Stefan Pechmann, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 3. Mai 2017, GZ 39 R 109/17v 13, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 3 2. Fall MRG setzt erhebliche Störungen des friedlichen Zusammenlebens voraus (RIS Justiz RS0070437). Die Störungen müssen entweder durch längere Zeit fortgesetzt werden oder sich in häufigen Wiederholungen äußern und überdies nach ihrer Art das bei den besonderen Verhältnissen des einzelnen Falls erfahrungsgemäß geduldete Ausmaß übersteigen. Einmalige Vorfälle bilden den Kündigungsgrund nur, wenn sie schwerwiegend sind, jedoch können mehrere, an sich geringfügige Vorfälle den Kündigungstatbestand bilden (RIS Justiz RS0070303, RS0067678). Der Vermieter ist also zur Aufkündigung berechtigt, wenn zwar nicht jeder einzelne Vorfall für sich betrachtet für eine Kündigung ausreicht, jedoch durch die Häufung das dem Vermieter zumutbare Ausmaß überschritten wird (RIS Justiz RS0070394).
2. Der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 3 MRG setzt nicht voraus, dass das Verhalten dem Störer subjektiv vorwerfbar ist (RIS Justiz RS0070243). Es kommt nicht darauf an, ob den Mieter ein Verschulden trifft, sondern darauf, ob das objektiv in Erscheinung tretende Verhalten als ein grob ungehöriges, das Zusammenwohnen verleidendes angesehen werden muss, auch wenn es etwa auf eine geistige Erkrankung zurückgeführt werden kann (RIS Justiz RS0067733). Bei gewissen Verhaltensweisen muss aber der Umstand der Unzurechnungsfähigkeit zumindest in der Weise berücksichtigt werden, dass das Verhalten einer geisteskranken Person nicht unter allen Umständen ebenso unleidlich, also für die Mitbewohner unerträglich ist, wie ein gleichartiges Verhalten einer zurechnungsfähigen Person (RIS Justiz RS0020957, RS0067733 [T4, T6]). Dies ist jedoch nicht dahin zu verstehen, dass die Mitbewohner jedwedes Verhalten einer geistig behinderten Person in Kauf zu nehmen hätten, auch wenn dadurch ihre Lebensqualität in gravierender Weise beeinträchtigt wird. Vielmehr hat in solchen Fällen eine Interessenabwägung stattzufinden, bei der an das Verhalten der behinderten Person ein weniger strenger Maßstab anzulegen ist (RIS Justiz RS0067733 [T4], RS0020957 [T2]).
3. Der Frage, ob es sich bei einem konkreten Verhalten um ein unleidliches Verhalten gemäß § 30 Abs 2 Z 3 2. Fall MRG handelt, kommt keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 502 ZPO zu (RIS Justiz RS0042984), sofern nicht eine auffallende und im Interesse der Rechtssicherheit zu korrigierende Fehlbeurteilung unterlaufen ist (RIS Justiz RS0042984 [T5, T6, T8]). Insbesondere die Interessenabwägung bei krankheitsbedingtem Verhalten ist aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls vorzunehmen und daher als typische Einzelfallbeurteilung in der Regel nicht revisibel (RIS Justiz RS0067733 [T5], RS0020957 [T4]).
4. Eine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung liegt nicht vor. Nach dem festgestellten Sachverhalt leidet der Beklagte an Schizophrenie, er nimmt aber keine Medikamente, sondern trinkt „stattdessen“ Alkohol. Er spielt seit Jahren vor allem nachts laut Musik, schreit und pumpert, fallweise ist auch lautes Knallen zu vernehmen. Dies jede zweite bis dritte Nacht jeweils gegen 22:00 Uhr für eine Dauer von einer halben bis eine ganze Stunde, um dann nach einiger Zeit wieder von Neuem zu beginnen. Der Beklagte beschimpft Mitbewohnerinnen regelmäßig grob und ordinärst. Trotz häufiger Polizeieinsätze hat der Beklagte sein Verhalten nicht geändert. Wenn die Vorinstanzen unter diesen Umständen des Einzelfalls in – entgegen der Behauptung des Revisionswerbers ausdrücklich vorgenommener – Abwägung der Interessen den Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 3 MRG trotz der fehlenden Zurechnungsfähigkeit des Beklagten als gegeben annahmen, ist dies nach der vorhandenen gefestigten Rechtsprechung nicht zu beanstanden.
5. Mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO war die außerordentliche Revision daher zurückzuweisen.