15Os77/17p – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Juli 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Limberger, LL.M., als Schriftführer in der Auslieferungssache des Bosko Z*****, AZ 313 HR 2/17t des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 29. März 2017, GZ 313 HR 2/17t 10, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin MMag. Jenichl, sowie des Verteidigers Mag. Mamuzic zu Recht erkannt:
Spruch
Der Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 29. März 2017, GZ 313 HR 2/17t 10, verletzt § 33 Abs 1 und 3 ARHG (Art 22 Europäisches Auslieferungsübereinkommen) iVm Art 2 Abs 1 MRK.
Dieser Beschluss wird aufgehoben und dem Landesgericht für Strafsachen Wien eine neue Entscheidung aufgetragen.
Text
Gründe:
Beim Landesgericht für Strafsachen Wien ist zu AZ 313 HR 2/17t gegen den serbischen Staatsangehörigen Bosko Z***** ein Auslieferungsverfahren zur Strafverfolgung und vollstreckung in Serbien anhängig.
Grundlage des Auslieferungsbegehrens zur Strafvollstreckung sind vom Genannten in Serbien noch zu verbüßende Freiheitsstrafen in der Dauer von insgesamt rund siebeneinhalb Jahren, welche laut den vom Justizministerium der Republik Serbien übermittelten Auslieferungsunterlagen aus Urteilen des Obergerichts in Belgrad vom 28. Jänner 2015, Spk Pol 3/15, und des Ersten Bezirksgerichts von Belgrad vom 19. März 2013, AZ 20 K.6914/2011, sowie vom 14. November 2013, (richtig:) AZ 33 K.6152/13, stammen (ON 6 S 199 ff, 241 ff und 291 ff).
Das Auslieferungsbegehren zur Strafverfolgung bezieht sich einerseits auf ein vor dem Oberlandesgericht in Belgrad geführtes Verfahren, in dem die serbische Staatsanwaltschaft für organisierte Kriminalität Bosko Z***** die unerlaubte Überquerung der Staatsgrenze und Schlepperei in Mittäterschaft zur Last legt (§ 350 Abs 4 iVm Abs 2 des serbischen Strafgesetzbuches [Strafdrohung: drei bis zwölf Jahre Freiheitsstrafe]), sowie andererseits auf ein vor dem Bezirksgericht in Belgrad geführtes Strafverfahren, in dem die Erste Bezirksanwaltschaft Belgrad den Genannten des Betrugs (§ 208 Abs 3 iVm Abs 1 des serbischen Strafgesetzbuches [Strafdrohung: ein bis acht Jahre Freiheitsstrafe und Geldstrafe]) verdächtigt (ON 6 S 191 ff und 303 ff).
In der Auslieferungsverhandlung am 29. März 2017 behauptete Bosko Z*****, er müsse im Fall seiner Auslieferung im serbischen Strafvollzug um sein Leben fürchten, weil er „sicher im Gefängnis abgestochen“ werde. Da die serbischen Polizisten den anderen Insassen mitgeteilt hätten, sie seien von ihm belastet worden und befänden sich wegen ihm in Haft, würden sich diese an ihm rächen wollen. Während seiner Haftzeit in Serbien von 2010 bis 2013 sei er nur deshalb am Leben geblieben, weil er in eine Spezialabteilung verlegt worden sei (ON 9 S 3 f).
Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 29. März 2017, GZ 313 HR 2/17t 10, wurde die Auslieferung des Genannten zur Strafverfolgung und vollstreckung „unter Einhaltung des Grundsatzes der Spezialität und mit der Maßgabe“ für zulässig erklärt, „dass die serbischen Behörden angewiesen werden, den Betroffenen zum Vollzug der Strafhaft, einer Untersuchungshaft oder sonstigen Haft nicht in der Justizvollzugsanstalt 'Zabela' zu inhaftieren“ (I./).
Unter einem schob das Gericht die tatsächliche Übergabe des Bosko Z***** an die serbischen Behörden gemäß § 37 Z 2 ARHG bis zum Ende des vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien zu AZ 41 Hv 5/17d geführten Strafverfahrens, zu welchem sich der Genannte in Untersuchungshaft befindet, und einem allfällig daran anschließenden Strafvollzug auf (II./).
Zur in der Auslieferungsverhandlung vorgebrachten Behauptung der Lebensgefahr in serbischer Haft führte das erkennende Gericht zwar einerseits aus, dass der Betroffene weder ein ihn betreffendes konkretes Gefährdungspotenzial nachgewiesen noch nachvollziehbar dargelegt habe, warum ihm im Fall seiner Auslieferung nach Serbien kein effektiver Rechtsschutz geboten würde (ON 10 S 8 bis 11), erteilte dem ersuchenden Staat andererseits aber die „Weisung“ (ON 10 S 12), Bosko Z***** nicht in der (von ihm genannten [vgl ON 9 S 5]) Justizvollzugsanstalt „Zabela“ zu inhaftieren. Damit könne den Befürchtungen des Betroffenen problemlos entgegengetreten werden. „Von der Einholung einer dahingehenden formellen Zusicherung der serbischen Behörden“ sei abzusehen gewesen, weil die im Spruch auferlegte Weisung „eine im Zielstaat wohl problemlos durchzuführende Maßnahme“ darstelle und „keine Zweifel darin bestehen können, dass die serbischen Behörden diesem Auftrag nicht entsprechen können oder gar wollen“ (ON 10 S 11 f).
Rechtliche Beurteilung
Wie die Generalprokuratur zutreffend aufzeigt, steht dieser Beschluss mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Gemäß § 33 Abs 1 und 3 ARHG (iVm Art 22 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens [BGBl 1969/320 idgF]) hat das zur Entscheidung berufene Gericht die Zulässigkeit der Auslieferung anhand des Auslieferungsersuchens und seiner Unterlagen in rechtlicher Hinsicht umfassend in Bezug auf (gesetzliche und völkerrechtliche) Auslieferungsvoraussetzungen und hindernisse zu prüfen und auf zwischenstaatliche Vereinbarungen ebenso Bedacht zu nehmen wie auf die der betroffenen Person nach Gesetz und Bundesverfassung zukommenden subjektiven Rechte. Dabei sind jedenfalls auch die sich aus der MRK und ihren Zusatzprotokollen ergebenden Auslieferungshindernisse zu beachten, sofern sie nach der Rechtsprechung des EGMR einer Auslieferung entgegenstehen (13 Os 27/15t [13 Os 30/15h]; ErläutRV 294 BlgNR 22. GP 33; Göth Flemmich in WK² ARHG Vor §§ 10–25 Rz 6, § 19 Rz 1 und § 33 Rz 8).
Geht das Gericht nach seiner Prüfung vom Vorliegen aller rechtlichen Voraussetzungen für die Auslieferung und vom Fehlen von Auslieferungshindernissen aus, hat es die Auslieferung für zulässig zu erklären. Bestehen hingegen noch Zweifel am Vorliegen eines Auslieferungshindernisses, muss das Gericht versuchen, diese vor der Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung – etwa durch eine im internationalen Auslieferungsverkehr zulässige verlässliche Zusicherung des ersuchenden Staats (14 Os 10/16a) – auszuräumen. Gelingt dies nicht, hat es die Auslieferung für unzulässig zu erklären (vgl dazu 14 Os 60/15b; 13 Os 27/15t [13 Os 30/15h]; Göth Flemmich in WK² ARHG Vor §§ 10–25 Rz 7 und § 33 Rz 7).
Diesen Anforderungen trägt der angefochtene Beschluss nicht Rechnung. Denn das Gericht hat das Risiko einer Gefährdung des Lebens der betroffenen Person ersichtlich erst dadurch für ausreichend herabgesetzt erachtet, dass es – ohne Einholung einer formellen Zusicherung der Republik Serbien – den ersuchenden Staat zur Einhaltung einer bestimmter Vorgehensweise, nämlich der Abstandnahme von der Inhaftierung in einer bestimmten Strafvollzugsanstalt, verpflichtete.
Eine Erklärung der Zulässigkeit der Auslieferung setzt aber als Ergebnis der Prüfung das Nichtvorliegen von Auslieferungshindernissen voraus. Den Ausspruch über die Zulässigkeit der Auslieferung ohne vorherige Zusicherung des ersuchenden Staats an eine Weisung – hier das Absehen von der Inhaftierung an einem bestimmen Ort – zu knüpfen, widerspricht daher im konkreten Fall § 33 Abs 1 und Abs 3 ARHG iVm Art 2 Abs 1 MRK (vgl RIS Justiz RS0123229 [T20]; Grabenwarter/Pabel EMRK 6 § 20 Rz 18 und 27).
Eine Benachteiligung der betroffenen Person durch die aufgezeigte Gesetzesverletzung ist nicht ausgeschlossen. Der Oberste Gerichtshof sah sich veranlasst, ihre Feststellung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verbinden (§ 292 letzter Satz StPO).