12Os149/16b – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 22. Juni 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Melounek als Schriftführerin in der Strafsache gegen Aleksandar D***** wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 6. Oktober 2016, GZ 34 Hv 12/16f 25, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Aleksandar D***** des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB schuldig erkannt.
Danach hat er am 4. Juni 2016 in W***** Gabriela L*****, die wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung aufgrund ihrer massiven Alkoholisierung unfähig war, die Bedeutung des Vorgangs einzusehen und dieser Einsicht nach zu handeln, unter Ausnützung dieses Zustands dadurch missbraucht, dass er mit ihr den Beischlaf bzw eine dem Beischlaf gleichzusetzende Handlung, nämlich einen Geschlechtsverkehr oder eine digitale Penetration, vornahm.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, Z 5a und Z 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.
Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider durfte das Erstgericht den Antrag auf „Ladung und Einvernahme des zuständigen Arztes, zur Feststellung darüber, wie er den Abrieb an den Schamlippen vorgenommen hat, weil das für das Beweisverfahren, ob ein Eindringen stattgefunden hat oder nicht, sehr erheblich ist“ (ON 24 S 29), ohne Beeinträchtigung von Verteidigungsrechten abweisen, weil er jegliche Begründung vermissen lässt, weshalb aus der Art der Durchführung dieser Untersuchung Rückschlüsse darauf zulässig sein sollten, ob eine – allenfalls auch, wie vom Erstgericht alternativ angenommen, digitale (US 2 f) – Penetration stattgefunden hat. Damit zielte er jedoch auf unzulässige
Erkundungsbeweisführung ab (RIS Justiz RS0118444 [insbes T6]; Ratz , WK StPO § 281 Rz 330 f).
Auch die vom Beschwerdeführer begehrte neuerliche Ladung des Zeugen Jakob D***** zum Beweis dafür, „dass der Angeklagte erst zu dem Zeitpunkt als der Lichtkegel auf ihn kam, vor dem Opfer gekniet haben soll, weiters dass das absolut unlogisch ist und keinen Sinn ergibt und aufklärungsbedürftig ist, wie sich das beim Eintreffen der Polizei dargestellt hat“ (ON 24 S 29), konnte der Beschwerde zuwider zum einen schon deshalb unterbleiben, weil die Tatrichter ohnedies als erwiesen angenommen haben, dass Aleksandar D***** zuerst dicht neben dem Opfer lag und dann – nach Bemerken des Scheinwerfers – vor dem entblößten Genitalbereich und der entblößten Brust des Opfers kniete (US 3; RIS Justiz RS0099135). Zum anderen können Thema eines Zeugenbeweises nur sinnliche Wahrnehmungen sein, nicht aber subjektive Meinungen, Ansichten, Wertungen, Schlussfolgerungen, rechtliche Beurteilungen und ähnliche intellektuelle Vorgänge (RIS Justiz RS0097540; Ratz , WK StPO § 281 Rz 352). Schließlich begründet der Hinweis auf die Aufklärungsbedürftigkeit der Situation neuerlich eine unzulässige Erkundungsbeweisführung.
Die in der Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde
nachgetragenen Argumente als Versuch einer
Fundierung dieser Anträge unterliegen dem Neuerungsverbot und sind somit unbeachtlich (RIS Justiz RS0099618).
Der formelle Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 5a StPO greift seinem Wesen nach erst dann, wenn aktenkundige Beweisergebnisse vorliegen, die nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen aufkommen lassen. Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen – wie sie die Berufung wegen Schuld des Einzelrichterverfahrens einräumt – wird dadurch nicht eröffnet (RIS Justiz RS0119583).
Diesen Anfechtungsrahmen verfehlt die
Tatsachenrüge, die sich bloß mit eigenen Beweiswerterwägungen zur Schlüssigkeit des molekular biologischen Sachverständigengutachtens unzulässig gegen die den Tatrichtern vorbehaltene Beweiswürdigung richtet. Tatsachenrügen, die außerhalb der oben dargestellten Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS Justiz RS0118780).
Nach den erstgerichtlichen Feststellungen führte der Angeklagte entweder seinen Penis in die Vagina des Opfers ein oder er penetrierte sein Opfer mit dem Finger bzw der Hand (US 3). Indem die
Rechtsrüge (Z 9 lit a) die Durchführung eines Beischlafs zu bestreiten sucht und die Konstatierungen zur alternativ angenommenen digitalen Penetration überhaupt außer Acht lässt, verfehlt sie den vom Gesetz geforderten Bezugspunkt (RIS Justiz
RS0099810).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus sich die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen ergibt (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.