11Os42/17m – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 30. Mai 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und als weitere Richter in Gegenwart der Richterin Dr. Sadoghi als Schriftführerin in der Strafsache gegen Karl Heinz V***** wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 17. Jänner 2017, GZ 38 Hv 121/16k 19, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Karl Heinz V***** des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB schuldig erkannt.
Danach hat er in I***** in der Nacht zum 29. August 2016 die im Tiefschlaf befindliche (US 6) und in der Folge daraus erwachende A***** W*****, sohin eine Person, die wehrlos war, unter Ausnützung dieses Zustands dadurch missbraucht, dass er mit seiner Hand ihren Vaginalbereich berührte und in weiterer Folge mit mehreren Fingern in ihre Vagina eindrang, somit an ihr eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung vornahm.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die aus Z 4, 5, 5a, „9“ und 10 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurden durch die Abweisung des Antrags des Beschwerdeführers auf Einholung von Befund und Gutachten zum Beweis dafür, dass durch die Einnahme eines Drittels des Schlafmittels Trittico keine Wehrlosigkeit oder psychische Beeinträchtigung eintritt und auch bei A***** W***** in der Nacht nicht eintrat (ON 18 S 63), keine Verteidigungsrechte beeinträchtigt, weil das Erstgericht das Beweisthema ohnehin als erwiesen ansah (US 6, 10; RIS-Justiz RS0099135; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 342).
Soweit der Rechtsmittelwerber die Begründung des abweisenden Beschlusses releviert, entfernt er sich vom Prüfungsmaßstab der Verfahrensrüge (RIS-Justiz RS0116749
, RS0121628).
Das den Beweisantrag ergänzende Beschwerdevorbringen hat mit Blick auf das aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes resultierende
Neuerungsverbot auf sich zu beruhen.
Der Vorwurf unzureichender Begründung der Feststellungen zum Unterbleiben von geschlechtlichen Handlungen zwischen A***** W***** und dem Angeklagten bis zur Nacht auf den 29. August 2016 sowie zur ablehnenden Einstellung der Genannten dazu (Z 5 vierter Fall) , stellt keinen Bezug zu einer entscheidenden Tatsache her. Im Übrigen wurden die Konstatierungen aus den Angaben der Zeugin W***** abgeleitet (US 9), was unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden ist (RIS-Justiz RS0118317).
Dass das Erstgericht die Feststellungen zur objektiven Tatseite (US 6) ausschließlich auf die für glaubwürdig befundenen Angaben der von der Tathandlung betroffenen Zeugin stützte und den dazu im Widerspruch stehenden Angaben des Angeklagten keinen Glauben schenkte, stellt keinen Begründungsfehler dar. Der diesbezügliche kritisch psychologische Vorgang als solcher ist der Anfechtung mit Mängelrüge vielmehr entzogen (RIS Justiz RS0106588). Die Beurteilung der Überzeugungskraft von Aussagen kann unter dem Gesichtspunkt einer Unvollständigkeit mangelhaft erscheinen, wenn sich das Gericht mit gegen die
Glaubwürdigkeit sprechenden Beweisergebnissen nicht auseinandergesetzt hat (RIS-Justiz RS0106588 [T15]). Solche Umstände zeigt die Rüge aber mit der Bezugnahme auf angeblich nicht konsistente Angaben der Zeugin zum Erhalt von „Geldgeschenken“ am 30. August 2016 (vgl dazu ON 18 S 47 f; US 8 und 9) nicht auf.
Dem Einwand von Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zuwider haben sich die Tatrichter mit der Verantwortung des Angeklagten sehr wohl auseinandergesetzt, diese aber als Schutzbehauptung verworfen (US 9 f). Dem Gebot gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) folgend waren sie keineswegs verpflichtet, zu jedem einzelnen Detail der insgesamt als unzuverlässig befundenen Aussage Stellung zu beziehen (RIS Justiz RS0098778).
Indem die Mängelrüge aus der Aussage des Opfers, der Angeklagte sei in sie „richtig“ eingedrungen, für den Beschwerdeführer günstige Schlüsse zieht, zeigt sie keine unzureichende Begründung (Z 5 vierter Fall) der Feststellungen zum mit mehreren Fingern erfolgten tiefen Eindringen in die Vagina der Genannten auf, sondern bekämpft die tatrichterliche Beweiswürdigung (unzulässig) nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld.
Der gegen die Annahme fehlender Einwilligung der A***** W***** in sexuelle Handlungen gerichtete Vorwurf von
Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zufolge stillschweigenden Übergehens des „gesamten Verhaltens der Zeugin nach dem angeblichen Übergriff“ erschöpft sich im Anstellen eigener Erwägungen, ohne in der Hauptverhandlung vorgekommene (§ 258 Abs 1 StPO) Verfahrensergebnisse zu bezeichnen, die das Erstgericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung unberücksichtigt gelassen haben soll. Damit verfehlt die Rüge die prozessordnungskonforme Darstellung des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes (RIS Justiz RS0124172 [T5]). Im Übrigen trifft der Vorwurf nicht zu (US 6, 7, 8).
Der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) zuwider ist d er von den Tatrichtern gezogene Schluss vom gezeigten Verhalten auf das diesem zugrunde liegende Wissen und Wollen des Angeklagten (US 10) unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit keineswegs zu beanstanden (RIS Justiz RS0098671).
Die Tatsachenrüge (Z 5a) unternimmt den (unzulässigen) Versuch, die Richtigkeit der den Tatrichtern vorbehaltenen Beweiswürdigung durch eigenständige Erwägungen und Spekulationen dazu, wie sich ein Opfer nach der Tat zu verhalten habe, in Zweifel zu ziehen. Damit verkennt sie das Wesen des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes (RIS-Justiz
RS0119583).
Die gesetzmäßige Ausführung eines materiell rechtlichen Nichtigkeitsgrundes hat das Festhalten am gesamten im Urteil festgestellten Sachverhalt, dessen Vergleich mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und die Behauptung, dass das Erstgericht bei der Beurteilung dieses Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen ist, zur Voraussetzung (RIS Justiz RS0099810). Daran orientiert sich die Beschwerde nicht.
Die Behauptung der Rechtsrüge (Z 9 lit a) , die Feststellungen zum Tiefschlaf allein (US 6) würden zur Annahme einer im Tatzeitpunkt bestehenden Wehrlosigkeit der A***** W***** nicht genügen, wird nicht aus dem Gesetz abgeleitet (RIS-Justiz RS0116565). Die im Jahr 1959 zum Verbrechen der Notzucht nach § 127 StG ergangene Entscheidung SSt 30/118, RIS Justiz RS0095097 und die darauf Bezug nehmende Stelle im wissenschaftlichen Schrifttum, Fabrizy , StGB 12 § 205 Rz 1, treffen gerade keine Aussage im Sinn der Behauptung. Aus welchem Grund Schlafende oder aus dem Tiefschlaf gerade Erwachende – entgegen ständiger Judikatur (RIS Justiz RS0095097 [T1, T2, T3]; RS0102727; vgl dazu auch Philipp in WK 2 StGB § 205 Rz 7; Leukauf/Steininger/Tipold , StGB 4 [2017] § 205 Rz 6; Hinterhofer , SbgK § 205 Rz 23) – keine Schutzobjekte des § 205 Abs 1 StGB sein sollten, erklärt die Rüge mit den angeblichen Belegstellen ihrer These somit nicht.
Nach den Feststellungen wusste der Angeklagte, dass die im Tiefschlaf befindliche A***** W***** keine sexuellen Handlungen an ihr wünschte, dennoch nahm er zur Befriedigung des eigenen Geschlechtstriebs in Ausnützung dieses Zustands mit mehreren Fingern eine tiefgehende Vaginalpenetration an ihr vor, wobei die Tat die Häufigkeit nächtlicher Schlafstörungen der Genannten erhöhte und ursächlich dafür war, dass die Frau zeitlich begrenzt einer stärkeren Medikation bedurfte und eine psychiatrische Behandlung intensivieren musste (US 6 f).
Indem die Subsumtionsrüge (Z 10) ihre Argumentation, eine geschlechtsspezifische, dem Beischlaf gleichzusetzende Handlung läge nicht vor, nicht auf Basis des Urteilssachverhalts, sondern am Beispiel des kurzzeitigen und unvollständigen Eindringens mit dem Finger in die Scheide einer erwachsenen Frau entwickelt und solcherart unter Bezugnahme auf einzelne ältere Entscheidungen Festellungen zur Summe der einzelfallbezogenen Auswirkungen und Begleiterscheinungen der digitalen Vaginalpenetration vermisst (vgl dazu US 7), verfehlt sie den Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS-Justiz RS0099810).
Mit der den Feststellungen zuwider laufenden Argumentation, es sei unklar geblieben, ob das Opfer die Handlungen als eine gegen ihren Willen gesetzte beischlafähnliche Handlung empfunden habe, weil A***** W***** den Kontakt zum Angeklagten nicht sofort abgebrochen habe, in einer dem Angeklagten am 4. September 2016 gesendeten SMS („Du hast mir Druck gemacht ... ich hasse dich jetzt nicht, aber ich bin nicht dein Eigentum ..., gib dem Doktor meine Nummer, er soll mich dann anrufen ...; ON 18 S 53) den sexuellen Übergriff nicht erwähnt habe, für den Angeklagten auch noch danach Behebungen und Besorgungen gemacht habe und sich Restgeld schenken ließ, zeigt die Rüge auch keinen das Tatbestandsmerkmal der dem Beischlaf gleichzusetzenden Handlung betreffenden Rechtsfehler auf, sondern ergeht sich bloß einmal mehr in eigenständig beweiswürdigende Spekulationen, die einer Erwiderung prozessordnungsgemäß nicht zugänglich sind.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a StPO.