JudikaturOGH

11Os152/16m – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. April 2017

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. April 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Mag. Michel, Dr. Michel Kwapinski und Mag. Fürnkranz als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Adamowitsch als Schriftführerin in der Strafsache gegen C***** wegen der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis als Schöffengericht vom 25. Juli 2016, GZ 21 Hv 3/16f 27, weiters über die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss nach § 494 Abs 1 StPO nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Koenig, des Angeklagten und dessen Verteidigers Dr. Glaser

I./ zu Recht erkannt:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

II./ den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Beschluss ersatzlos aufgehoben.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde C***** der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er „in der Zeit von etwa Mitte 2011 bis etwa Ende 2012 in R***** außer dem Fall des § 206 StGB an der am ***** 2005 geborenen, mithin unmündigen L***** geschlechtliche Handlungen vorgenommen sowie von der unmündigen Person an sich vornehmen lassen, und zwar,

1./ in wiederholten Angriffen, indem er sie unter der Kleidung im Genitalbereich betastete;

2./ zu einem in diesem Zeitraum nicht genau bekannt gewordenen Zeitpunkt, indem er sie unter der Kleidung im Genitalbereich mit der Zunge berührte, und

3./ zu einem in diesem Zeitraum nicht genau bekannt gewordenen Zeitpunkt, indem er ihre Hand packte, diese festhielt und zu seinem entblößten Penis führte“.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5 und 5a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Der Verfahrensrüge zuwider wurden durch die Abweisung des in der Hauptverhandlung am 25. Juli 2016 gestellten Antrags auf „Einholung eines weiteren aussagepsychologischen Gutachtens hinsichtlich L*****“, weil das vorliegende Gutachten „unschlüssig und nicht lege artis“ erstellt worden sei (ON 26 S 54), Verteidigungsrechte nicht verletzt.

Ein weiterer Sachverständiger ist im Strafverfahren nämlich nur beizuziehen, wenn das bereits vorliegende Gutachten mangelhaft im Sinn des § 127 Abs 3 erster Satz StPO ist und diese Bedenken durch nochmalige Befragung des bestellten Sachverständigen nicht behoben werden können. Ein aus § 281 Abs 1 Z 4 StPO garantiertes Überprüfungsrecht hinsichtlich eines bereits durchgeführten Sachverständigenbeweises hat der Beschwerdeführer demnach nur dann, wenn er in der Hauptverhandlung einen in § 127 Abs 3 erster Satz StPO angeführten Mangel von Befund oder Gutachten aufzeigt und das dort beschriebene Verbesserungsverfahren erfolglos bleibt (vgl RIS Justiz RS0117263; Ratz , WK StPO § 281 Rz 351).

Auf mangelnde Sachkunde des Experten gegründete Einwendungen sind nach Erstattung von Befund und Gutachten nicht mehr zulässig (RIS Justiz RS0115712, RS0126626).

Der weitere Antrag auf Einholung eines ebensolchen Gutachtens betreffend P***** (des jüngeren Bruders von L*****, der bei der kontradiktorischen Vernehmung eigene Wahrnehmungen in Abrede gestellt hatte; US 9, ON 14) zum Beweis dafür, „dass sich dieser an die tatrelevanten Handlungen erinnern müsste“ (ON 26 S 55), konnte ebenfalls abgewiesen werden, weil er nicht darlegte, aus welchem Grund die gewünschte Beweisaufnahme das behauptete Ergebnis erwarten ließe (§ 55 Abs 2 Z 2 StPO; RIS Justiz RS0118444), und überdies eine Zustimmung zur neuerlichen Befragung des Kindes fehlte (ON 26 S 57, RIS Justiz RS0118956).

Die Beweisanträge – als Versuch nachträglicher Antragsfundierung – ergänzendes Beschwerdevorbringen ist prozessual verspätet und daher unbeachtlich (RIS Justiz RS0099117, RS0099618).

Die Mängelrüge (Z 5) macht mit der Kritik, die Aussage des Opfers wäre „geradezu grotesk“, nicht „plausibel“ und es sei „undenkbar“, dass die Tathandlungen in der von L***** geschilderten Form stattgefunden hätten, kein Begründungsdefizit im Sinn des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes geltend, sondern bekämpft bloß die Beweiswürdigung der Tatrichter nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren gesetzlich nicht vorgesehenen Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld. Dies trifft auch auf die Argumentation zu, die Aussagen der Mutter der Kinder und des Bruders wären zu berücksichtigen gewesen, die „ganz massive Zweifel an der Aussage der L***** … aufkommen“ ließen. Im Übrigen hält der Beschwerdeführer damit wie auch mit der Kritik an dem Gutachten der Sachverständigen nicht an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe fest, hat sich doch das Erstgericht mit den ins Treffen geführten Punkten durchaus auseinandergesetzt (US 5 bis 9; RIS Justiz RS0119370, RS0116504).

Gegenstand der Tatsachenrüge (Z 5a) sind Feststellungen über entscheidende Tatsachen, angesichts derer – gemessen an allgemeinen Erfahrungs und Vernunftsätzen – eine Fehlentscheidung bei der Beweiswürdigung qualifiziert naheliegt, die somit geradezu unerträglich sind (vgl Ratz , WK StPO § 281 Rz 391 und Rz 490; RIS Justiz RS0119583; RS0118780).

Das Vorbringen, die Schilderung der L***** sei „rational nicht mehr erklärbar und fassbar“, weil sie zu den Anklagefakten 2./ und 3./ im Rahmen ihrer kontradiktorischen Vernehmung wiederholt sinngemäß angegeben hätte, dass sich die betreffenden Vorfälle im Bett ereignet hätten, wo (neben dem Angeklagten und ihr) auch ihre Mutter und ihr Bruder schlafend gelegen wären, und sie – als der Angeklagte zur ihr „hinübergekrochen“ wäre und sie an der Scheide geleckt hätte – „hin und her getan“ sowie durch „Schreien nach der Mama“ (ON 8 S 15) und „Schütteln“ erfolglos versucht hätte, Mutter und Bruder zu wecken (ON 8 S 18 f) vermag beim Obersten Gerichtshof derart erhebliche Bedenken ebensowenig zu erwecken, wie das Vorbringen, der „zweite Tatbestand ist objektiv sachlich überhaupt nicht nachvollziehbar“ und die Tatörtlichkeit „absolut unerklärlich“.

Die Nichtigkeitsbeschwerde wurde daher verworfen.

Das Erstgericht verhängte über den Angeklagten eine Freiheitsstrafe im Ausmaß von 18 Monaten, wobei es gemäß § 43a Abs 3 StGB einen Teil der Freiheitsstrafe von 12 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachsah. Dabei wertete es das Zusammentreffen mehrerer gleichartiger Verbrechen als erschwerend, als mildernd demgegenüber die gerichtliche Unbescholtenheit des Angeklagten.

Der Angeklagte begehrt in seiner Berufung die Herabsetzung der ausgesprochenen Sanktion und deren gänzliche bedingte Strafnachsicht, die Staatsanwaltschaft die Erhöhung der Freiheitsstrafe unter Ausschaltung der teilbedingten Strafnachsicht.

Entgegen dem Vorbringen der Berufungswerber erweist sich die vom Erstgericht verhängte Freiheitsstrafe als schuld und tatangemessen und bedarf keiner Korrektur.

Zur Berufung des Angeklagten:

Der Herabsetzung der ohnehin am unteren Rand ausgemessenen Freiheitsstrafe und der gänzlichen bedingten Strafnachsicht stehen vor allem spezialpräventive Erwägungen entgegen. Der lange Tatzeitraum und die Ausnützung des Vertrauensverhältnisses lassen befürchten, dass der Angeklagte sonst weitere derartige strafbare Handlungen begehen werde.

Zur Berufung der Staatsanwaltschaft:

Das von der Staatsanwaltschaft angestellte aggravierende Berücksichtigen der leugnenden Verantwortung verkennt, dass dem Angeklagten aus seiner Verteidigung kein Nachteil erwachsen darf (RIS Justiz RS0090897).

Zur Beschwerde:

Der Beschwerde war, soweit sie sich gegen die Erteilung einer Weisung zur psychotherapeutischen Behandlung richtet, mangels Zustimmung des Angeklagten (§ 51 Abs 3 StGB) zu einer solchen Maßnahme, soweit sie sich gegen die Anordnung der Bewährungshilfe richtet, deswegen Folge zu geben, weil diese Anordnung angesichts der persönlichen Entwicklung des im Arbeitsleben stehenden Angeklagten aus spezialpräventiver Sicht nicht notwendig (§ 50 Abs 1 StGB) erscheint.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last (§ 390a Abs 1 StPO).

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