5Ob30/17y – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R*, vertreten durch Dr. Harald Friedl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. R*, vertreten durch Mag. Dr. Felix Sehorz, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung und Beseitigung (Gesamtstreitwert 34.000 EUR) über die „außerordentliche“ Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 16. Dezember 2016, GZ 12 R 74/16i 20, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 25. Juni 2016, GZ 18 Cg 29/15i 14 bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Akten werden dem Berufungsgericht übermittelt.
Text
Begründung:
Die Parteien sind jeweils Mit und Wohnungseigentümer der Liegenschaft EZ * KG * mit der Adresse * in *. Anlässlich des Verkaufs einzelner Wohnungen vom Kläger an den Beklagten stimmte der Kläger der Sanierung, Umgestaltung und Zusammenlegung der verkauften Wohnungen und der Errichtung eines Balkons zu. Pläne über diesen Balkon existierten damals noch nicht. Tatsächlich wurde der Balkon mittels Konsolen an der Außenwand des Hauses abgestützt. Entwässert wird der Balkon mittels zweier Regenfallrohre in den Hofbereich vor der Wohnung Top 1–4. Überdies montierte der Beklagte ohne Zustimmung des Klägers ein Klimagerät in einem Lichthof.
Der Kläger begehrte in der mit insgesamt 34.000 EUR bewerteten Klage vom Beklagten, es zu unterlassen
1. die Außenwand des Hauses durch Streben zur Abstützung des errichteten Balkons in Anspruch zu nehmen sowie die Streben zur Abstützung des Balkons an der Außenwand zu entfernen;
2. die Außenwand des Hauses durch ein Klimaaußengerät im Lichthof in Anspruch zu nehmen sowie das Gerät zu entfernen;
3. den Balkon mittels der beiden an der Außenwand nach unten geführten Rinnen am Haus in den Bereich vor dem Wohnungseigentumsobjekt Top 1–4 ohne Einmündung in ein Abwassersystem zu entwässern.
Zur Begründung stützte er sich hinsichtlich der Konsolen des Balkons darauf, weder er noch die anderen Miteigentümer hätten ihre Zustimmung zur Inanspruchnahme allgemeiner Teile über die Errichtung einer selbsttragenden Kragplatte hinaus erteilt. Auch eine Zustimmung zur Anbringung eines Klimaaußengeräts liege nicht vor. Die montierten Regenwasserrinnen mündeten nicht ordnungsgemäß in das Entwässerungssystem, sondern in den Garten der ebenerdigen Wohnung Top 1–4. Dabei handle es sich um eine unzulässige Immission.
Das Erstgericht gab dem Unterlassungs und Entfernungsbegehren in Bezug auf das Klimaaußengerät im Lichthof statt, wies hingegen die Klagebegehren betreffend die Streben zur Abstützung des Balkons und die Entwässerungsrinnen ab.
Das Berufungsgericht gab den Berufungen des Klägers (gegen den gesamten klagsabweisenden Teil) und des Beklagten (gegen den klagsstattgebenden Teil) jeweils nicht Folge. Es sprach aus, dass „der Wert des Entscheidungsgegenstands“ insgesamt 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Die Bewertung des Entscheidungsgegenstands orientiere sich an der unbedenklichen Streitwertangabe des Klägers.
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof, dem die Akten mit einem als „außerordentliche Revision“ bezeichneten Schriftsatz des Klägers vorgelegt wurden, ist (derzeit) zu einer Entscheidung über das Rechtsmittel aus folgenden Gründen nicht berufen:
1. Gemäß § 502 Abs 3 ZPO ist die Revision – außer im Fall des § 508 Abs 3 ZPO – jedenfalls unzulässig, wenn der Entscheidungsgegenstand an Geld oder Geldeswert zwar 5.000 EUR, nicht aber insgesamt 30.000 EUR übersteigt und das Berufungsgericht die ordentliche Revision nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO für nicht zulässig erklärt hat. Bilden mehrere Ansprüche den Entscheidungsgegenstand des Berufungsgerichts, hat eine Zusammenrechnung nur zu erfolgen, wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs 1 JN erfüllt sind (RIS Justiz RS0042741; RS0053096). Mehrere in einer Klage geltend gemachte Ansprüche sind zusammenzurechnen, wenn sie in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen. Ein rechtlicher Zusammenhang liegt vor, wenn die Ansprüche aus demselben Vertrag oder derselben Rechtsnorm abgeleitet werden und miteinander in einem unmittelbar wirtschaftlichen Zusammenhang stehen (RIS Justiz RS0037648). Er ist aber dann nicht anzunehmen, wenn jeder der mehreren Ansprüche ein verschiedenes und tatsächliches Schicksal haben kann; in einem solchen Fall ist jeder Anspruch gesondert zu beurteilen, ohne dass eine Zusammenrechnung stattfindet (RIS Justiz RS0037648 [T18]; RS0037899). Bei Beurteilung dieser Frage ist vom Vorbringen der Kläger auszugehen (RIS Justiz RS0042741). Mehrere Ansprüche aus einer Eigentumsfreiheitsklage nach § 523 ABGB, die sich auf verschiedene Eingriffshandlungen des Beklagten stützen, stehen nicht in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang iSd § 55 Abs 1 Z 1 JN (RIS Justiz RS0110012).
2. Hier macht der Kläger drei Unterlassungs und zwei Entfernungsbegehren geltend und stützt sich auf jeweils unterschiedliche Eingriffe. Die Inanspruchnahme der Außenwand des Hauses für Streben zur Abstützung des errichteten Balkons steht mit der Inanspruchnahme der Außenwand – an anderer Stelle – für das Klimaaußengerät im Lichthof in keinerlei Zusammenhang. Der Unterlassungsanspruch in Bezug auf die Regenfallrohre wird vom Kläger gar nicht auf eine fehlende Zustimmung zur Errichtung dieser Rohre, sondern auf die Unzulässigkeit der dadurch bewirkten Immission gestützt. Mangels eines tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhangs iSd § 55 Abs 1 JN liegen die Voraussetzungen für eine Zusammenrechnung nicht vor, sodass die Revisionszulässigkeit für jeden einzelnen Entscheidungsgegenstand gemäß § 55 Abs 4 JN gesondert zu beurteilen ist (RIS Justiz RS0042741 [T18]).
3. Das Berufungsgericht hat allerdings die nach obigen Ausführungen gebotene Differenzierung bei seiner an der Pauschalbewertung des Klägers orientierten Gesamtbewertung des Entscheidungsgegenstands unterlassen, was zu berichtigen sein wird. Das Berufungsgericht wird im Sinn vorstehender Ausführungen eine Bewertung jedes einzelnen Entscheidungsgegenstands vorzunehmen haben.
4. Sollte sich dabei ergeben, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands bei getrennter Betrachtung jeweils zwar 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigt, käme eine Zuständigkeit des Obersten Gerichtshofs zur Entscheidung nur dann in Betracht, wenn das Gericht zweiter Instanz gemäß § 508 Abs 3 ZPO ausspricht, dass ein ordentliches Rechtsmittel doch zulässig sei. Ob der Schriftsatz des Klägers diesfalls den Erfordernissen des § 508 Abs 1 ZPO entspricht oder allenfalls einer Verbesserung bedarf, obliegt der Beurteilung der Vorinstanzen.