11Os156/16z – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 21. März 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Melounek als Schriftführerin in der Strafsache gegen Blerta B***** wegen des Vergehens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, 130 Abs 1 erster Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom 11. Juli 2016, GZ 36 Hv 172/15y 43, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Der Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Blerta B***** des Vergehens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, 130 Abs 1 erster Fall StGB schuldig erkannt.
Danach hat sie in P***** zeitlich ab der dritten Tathandlung gewerbsmäßig Gewahrsamsträgern der S***** fremde bewegliche Sachen mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz weggenommen, und zwar
I./ im Jahr 2013 in 168 Angriffen 27.354,72 Euro;
II./ im Jahr 2014 in 261 Angriffen 78.083,88 Euro;
III./ zwischen 1. Jänner und 26. Februar 2015 in 17 Angriffen 4.884,18 Euro.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich – bloß in Ansehung einzelner Taten und der Schadenshöhe – die Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten, die sich auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a und 11 StPO stützt.
Vor Eingehen auf die Mängelrüge (Z 5) ist zu betonen, dass mit diesem Nichtigkeitsgrund grundsätzlich nur formelle Begründungsmängel hinsichtlich entscheidender Tatsachen geltend gemacht werden können. Tatsachen sind in diesem Sinn entscheidend, wenn die Feststellung ihres Vorliegens oder Nichtvorliegens entweder die rechtliche Entscheidung über Schuld oder Freispruch oder – im Fall gerichtlicher Strafbarkeit – darüber beeinflusst, welche strafbaren Handlungen begründet werden (RIS Justiz RS0117264). Überdies hat der Rechtsmittelwerber stets die Gesamtheit der Entscheidungsgründe zu berücksichtigen.
Bei gleichartiger Realkonkurrenz wert- oder schadensqualifizierter Delikte, zu denen mit Blick auf den vorliegenden Fall auch § 127 StGB gehört, führt § 29 StGB zu einer nach Maßgabe des Zusammenrechnungsgrundsatzes zu bildenden Subsumtionseinheit sui generis; sie besteht aus der höchsten Wert- oder Schadensqualifikation und weiteren, in echter Konkurrenz dazu stehenden Begehungsformen und unselbständigen Abwandlungen des Grunddelikts (RIS Justiz RS0112520, RS0114927; Ratz in WK² StGB § 29 Rz 5). Die einzelnen Straftaten bleiben rechtlich selbständig, weswegen die Strafbarkeitsvoraussetzungen oder die Rechtskraftwirkung für jede gesondert zu prüfen ( Ratz in WK² StGB § 29 Rz 7) und auch Faktenfreisprüche möglich sind. Eine prozessordnungsgemäß ausgeführte Mängelrüge setzt hier voraus, dass sich die behaupteten Begründungsmängel entweder auf die Strafbarkeit der Einzeltat oder die rechtliche Beurteilung der Subsumtionseinheit auswirken (14 Os 41/14g). Keine entscheidende Tatsache wird jedoch angesprochen, wenn das Erstgericht eine gleichartige Verbrechensmenge nur pauschal individualisiert hat und der Beschwerdeführer die Täterschaft hinsichtlich einzelner Taten in Frage stellt (RIS Justiz RS0116736).
Fallbezogen hat das Erstgericht die vom Schuldspruch erfassten Taten – abgesehen von ihrer in jedem der Kalenderjahre 2013 bis 26. Februar 2015 begangenen Anzahl und des dabei verursachten Gesamtschadens – nicht, insbesondere auch nicht hinsichtlich der (hier wie auch grundsätzlich keine entscheidenden Tatsachen bildenden – RIS Justiz RS0098557) Tatzeiten näher individualisiert. Von den dargestellten Grundsätzen sowie der vom Erstgericht angenommenen gleichartigen Verbrechensmenge (US 1, 4; RIS Justiz RS0119552) ausgehend erweist sich die Mängelrüge daher mit ihren Einwänden zu einer Tat, die nach Auffassung der Beschwerde nicht am 14. Juni 2014 begangen worden sein könne, sowie „einer ganzen Reihe von [in der Nichtigkeitsbeschwerde aufgezählten] Angriffen“ (ON 56 S 2) als nicht prozessordnungsgemäß ausgeführt, weil sie bloß die Tatbegehung an einem freien Tag, „in den Pausen“ oder der „ersten oder letzten Minute“ der Arbeitszeit der Angeklagten als „ausgesprochen unwahrscheinlich“ bezeichnet und damit lediglich die Beweiswürdigung des Schöffengerichts nach Art einer Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld bekämpft. Soweit sie die Schadensberechnung kritisiert, die „im Zweifel zu Gunsten der Angeklagten“ (siehe dazu RIS Justiz RS0102162, RS0117561) zu korrigieren wäre, hält die Rüge zum einen nicht an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe (US 4 bis 11) fest und verkennt zum anderen, dass die rechtliche Unterstellung mit Blick auf das (auch beim in der Beschwerde angestrebten Schadensbetrag von 46.000 Euro mehrfach gegebenen) Überschreiten der hier aktuellen Wertgrenze des § 128 Abs 1 Z 5 StGB (§ 29 StGB) nicht berührt würde.
Die gleichermaßen ausgerichtete Tatsachenrüge (Z 5a) entzieht sich mangels Bezugnahme auf entscheidende Tatsachen (s oben) meritorischer Erwiderung.
Die Sanktionsrüge macht mit dem Vorbringen, angesichts des Geständnisses und der Unbescholtenheit wäre eine niedrigere, zur Gänze bedingt nachzusehende Freiheitsstrafe angemessen, bloß Berufungsgründe geltend.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).