JudikaturOGH

11Os5/17w – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. März 2017

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. März 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Melounek als Schriftführerin in der Strafsache gegen N***** M***** wegen des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3 Z 1 erster Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 19. August 2016, GZ 55 Hv 35/16t 33, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Der Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde die Angeklagte N***** M***** „des“ Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3 Z 1 erster Fall StGB schuldig erkannt.

Danach hat sie zwischen Jänner und Juni 2014 in W***** und andernorts gegen ihren am ***** geborenen Sohn A***** Ma***** und ihre am ***** geborene Tochter N***** M*****, demnach unmündige Personen, durch fortlaufende körperliche Misshandlungen längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt, indem sie beide regelmäßig, durchschnittlich mindestens einmal pro Woche mit einem Ledergürtel auf das nackte Gesäß schlug, ihnen Ohrfeigen versetzte und A***** mehrfach unter die kalte Dusche zerrte.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4 und 5 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten.

Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurde durch die Abweisung des in der Hauptverhandlung am 19. August 2016 „wiederholten“ (ON 24, ON 32 S 16; ON 26 S 70 f; RIS Justiz RS0099099, RS0099049) Antrags auf zeugenschaftliche Vernehmung von vierzehn namentlich genannten Personen, „welche die beiden … minderjährigen Kinder der Angeklagten im Tatzeitraum betreut und gesehen haben“, „naturgemäß auch nackt bzw lediglich in Unterwäsche oder Turnkleidung“ und die „ausführen“ würden, „keinerlei Verletzungen auch nur in irgendeiner Art und Weise bei den Minderjährigen gesehen zu haben“ sowie „bestätigen“ könnten, „dass die Kinder sich nie an die Pädagogen gewandt haben, obwohl zu den Pädagogen hervorragendes Verhältnis bestanden hat bzw nach wie vor besteht“, Verteidigungsrechte nicht verletzt.

Der Beweisantrag zielte erkennbar primär darauf, die Verlässlichkeit und (mittelbar) die Glaubwürdigkeit der unmittelbaren Belastungszeugen zu erschüttern (vgl dazu RIS Justiz RS0028345, RS0098429).

Berechtigt sind solche – an sich zulässigen – Anträge aber nur dann, wenn sich aus deren Vorbringen konkrete Anhaltspunkte für die Annahme ergeben, die betreffenden Zeugen hätten in Bezug auf eine entscheidende Tatsache die Unwahrheit gesagt (RIS Justiz RS0120109).

Der in diesem Zusammenhang (ON 24 S 3 ff) vorgebrachten Behauptung, die psychologische Sachverständige führe selbst aus, dass insbesondere die Angaben des A***** Ma***** „als angelernt anmuten“ – was eine Instrumentalisierung der Kinder durch ihren in einem strittigen Scheidungsverfahren mit der Angeklagten verfangenen Vater indiziere – steht bereits der tatsächliche Wortlaut des Gutachtens (ON 12) entgegen: „Die Aussagen des minderjährigen A***** wirken durchaus stereotyp und können den Eindruck erwecken suggeriert worden zu sein. Dem ist entgegen zu halten, dass der mj A***** auch außerhalb seiner Schilderungen über die Vorfälle einen derartigen sprachlichen Ausdrucksstil, geprägt von einem altersuntypischen Fachjargon pflegt“ (ON 12 S 139) bzw „Aus fachpsychologischer Sicht handelt es sich bei den als 'angelernt' anmutenden Angaben des mj A*****s somit eher um eine entwickelte Abwehrstrategie als um das Ergebnis suggestiver Einflüsse“ (ON 12 S 183).

Aktenfremd ist die Darstellung, die Sachverständige halte es lediglich für „wahrscheinlich“, dass es sich bei den Angaben der Kinder nicht um Pseudoerinnerungen handle, zumal diese in ihrem Gutachten zum Schluss kommt, diese These könne „mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen“ werden (ON 12 S 181). Aber auch die – rein spekulativen – Erwägungen zur derzeitigen Wohnsituation der drei Kinder der Angeklagten bieten keinen konkreten Anhaltspunkt dafür, dass diese über entscheidende Tatsachen die Unwahrheit gesagt hätten (RIS Justiz RS0120109 [T3]). Sie machen ebensowenig deutlich, wie angesichts des damals bereits vorliegenden Sachverständigengutachtens, demzufolge „die Suggestions-hypothese nicht bestätigt werden“ könne und sich „keine Hinweise auf konfabulierte Angaben“ der Opfer ergäben (ON 12 S 181 f), ein von den beantragten Zeugen allenfalls bestätigtes Fehlen von (mittelbaren) Wahrnehmungen zu einer anderen Beurteilung hätte führen können. Der begehrte Verfahrensschritt war insofern auf eine unzulässige Erkundungsbeweisführung gerichtet (RIS Justiz RS0107040). Von sichtbaren Verletzungen der Kinder durch die Misshandlungen der Angeklagten gingen die Tatrichter im Übrigen nicht aus, sodass im Urteil auch keine dem Beweisthema widersprechenden Sachverhaltsannahmen getroffen wurden (US 5; RIS-Justiz RS0099135; Ratz , WK StPO § 281 Rz 342).

Das die Anträge ergänzende Beschwerdevorbringen hat mit Blick auf das aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes resultierende Neuerungsverbot auf sich zu beruhen (RIS Justiz RS0099618).

Auch die Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall, nominell auch vierter Fall) wendet sich gegen die zum Ausspruch der Täterschaft der Beschwerdeführerin führende Überzeugung der Tatrichter von der Verlässlichkeit der Angaben der Opfer (US 11 f). Sie übersieht,

dass diese Überzeugung von der Glaubwürdigkeit einer Person mit Nichtigkeitsbeschwerde in der Regel (zur Ausnahme RIS Justiz RS0106588 [T15]) nicht releviert werden kann (RIS Justiz RS0099649). Indem die Nichtigkeitswerberin – unter dem Aspekt einer unvollständigen inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Gutachten – unter eigenständiger Interpretation der Wortwahl der Sachverständigen andere, für sie günstigere Schlüsse zieht als es die Tatrichter aus dessen Gesamtheit ohne Verstoß gegen die Kriterien logischen Denkens getan haben, zeigt sie kein Begründungsdefizit auf (RIS Justiz RS0098362). Der Rüge zuwider fand der „mit aller Härte geführte festgefahrene Trennungskonflikt“ der Eltern nicht nur – wie auch die Idealisierung des Stiefvaters durch A***** – Eingang in die erstgerichtliche Beweiswürdigung, sondern veranlasste dieses sogar, „bei der Würdigung der Aussagen“ der Kinder „stets einen äußerst kritischen Maßstab anzulegen“ (US 11). Bei den im Beschwerdevorbringen zitierten „erheblichen Teilen“ eines Privatgutachtens (ON 17) zur generellen „Gewaltlosigkeit“ der Angeklagten sowie einer Manipulation und (von diesen) „negierten“ Misshandlung der Kinder durch ihren Vater handelt es sich gerade nicht um die zeugenschaftliche Wiedergabe sinnlicher Wahrnehmungen, sondern ausnahmslos um Schlussfolgerungen, Vermutungen und Meinungen des Privatgutachters, die im Strafverfahren nicht zu erörtern sind (RIS Justiz RS0097292 [T21], RS0097545, RS0118421; Ratz , WK StPO § 281 Rz 351, 435).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rückverweise