12Os13/17d – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 2. März 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Adamowitsch als Schriftführerin in der Strafsache gegen Harry E***** und weitere Angeklagte wegen der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Harry E***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Jugendschöffengericht vom 10. November 2016, GZ 4 Hv 56/16v 115, sowie über die Beschwerde des Genannten gegen den zugleich ergangenen Beschluss auf Anordnung von Bewährungshilfe nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Dem Angeklagten Harry E***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Soweit für die Behandlung der Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung wurde Harry E***** mit dem – auch in Ansehung des Genannten einen zu Unrecht nicht gesondert ausgefertigten (RIS Justiz RS0101841, RS0120887 [T2, T3]; Schroll in WK 2 StGB § 50 Rz 16; Danek , WK StPO § 270 Rz 50) Beschluss auf Anordnung von Bewährungshilfe enthaltenden – angefochtenen Urteil der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (A./2./ und 3./), des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB (A./1./), des Vergehens der Nötigung nach §§ 15 Abs 1, 105 Abs 1 StGB (B./) und des Vergehens des Diebstahls nach §§ 127, 15 Abs 1 StGB (D./) schuldig erkannt.
Danach haben
A./ in G***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken jeweils Lejla D***** mit Gewalt zur Duldung nachstehender – zu 2./ und 3./ dem Beischlaf gleichzusetzender – geschlechtlicher Handlungen genötigt,
1./ am 6. Mai 2015 Harry E***** und der abgesondert verfolgte Desmond K***** zur Duldung intensiver Berührungen an der Brust und im Genitalbereich jeweils über der Kleidung, indem sie Lejla D***** in die 4b Klasse der Neuen Mittelschule F***** zerrten, sie dort durch einen Stoß zu Boden brachten und an Armen und Beinen festhielten, um körperliche Gegenwehr zu verhindern;
2./ am 6. Mai 2015 Harry E***** und der abgesondert verfolgte Desmond K***** zur Duldung der digitalen Vaginalpenetration durch Harry E*****, indem sie Lejla D***** in die 4c Klasse der Neuen Mittelschule F***** zerrten, ihr – nachdem Harry E***** sie zu Boden gebracht hatte – unter Überwindung ihrer körperlichen Gegenwehr Hose und Unterhose bis zu den Knien herunterzogen und sie an Armen und Beinen festhielten, wobei Sellim M***** , dessen Vorsatz sich jedoch nur auf die Duldung intensiver Berührungen an der Brust und im Genitalbereich der Lejla D***** durch Harry E***** und den abgesondert verfolgten Desmond K***** erstreckte, die beiden durch das Zuhalten der Klassenzimmertür von innen unterstützte;
3./ am 7. oder 8. Mai 2015 Harry E*****, Sellim M*****, Abdelrahman A*****, Hussein Al O***** und der abgesondert verfolgte Desmond K***** zur Duldung intensiver Berührungen zunächst über der Kleidung an der Brust und im Genitalbereich durch Hussein Al O***** und Desmond K***** sowie an der Brust durch Sellim M***** und schließlich zur Duldung digitaler Vagnialpenetration je mit zwei Fingern durch Harry E***** und in der Folge durch Abdelrahman A*****, wobei Letztgenannter gleichzeitig die nackte Brust des Opfers intensiv betastete, indem sie unter gegenseitiger Anfeuerung und in Anwesenheit weiterer Personen Lejla D***** auf einer Liege im Schularztzimmer der Neuen Mittelschule F***** liegend umzingelten, sie in dieser Position fixierten und ihr schließlich unter Überwindung ihrer körperlichen Gegenwehr die Hose bis zu den Knien hinunterzogen, wobei sich der Vorsatz des Sellim M***** und des Hussein Al O***** nur auf Duldung intensiver Berührungen an der Brust und im Genitalbereich der Lejla D***** erstreckte;
B./ Harry E***** am 7. Mai 2015 in G***** Lejla D***** durch gefährliche Drohung mit einer Verletzung am Körper zur Unterlassung belastender Angaben gegenüber der bereits von der Schulleitung der Neuen Mitteilschule F***** informierten Kriminalpolizei zu nötigen versucht, indem er sinngemäß ankündigte, er und seine Freunde würden sie schlagen, wenn sie vor der Polizei gegen sie aussage;
D./ Harry E***** Nachgenannten fremde bewegliche Sachen mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz
1./ am 28. Oktober 2015 in S***** weggenommen, nämlich Gewahrsamsträgern des Unternehmens P***** drei Armbanduhren, zwei Hosen und drei T-Shirts im Wert von 71 Euro,
2./ am 4. Februar 2016 in G***** wegzunehmen versucht, nämlich Gewahrsamsträgern des Unternehmens Z***** ein T-Shirt im Wert von 19,95 Euro.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Harry E*****.
Der Beschwerdeführer behauptet eine Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) der tatrichterlichen Feststellungen zum Schuldspruch A./2./ in Ansehung der Aussage des Zeugen Camil H***** in der Hauptverhandlung am 7. Oktober 2016, wonach dieser aufgrund der Tatsache, dass Harry E***** zwischen ihm und Lejla D***** gelegen sei, nicht sagen könne, ob dieser tatsächlich einen Finger in die Vagina der Lejla D***** eingeführt habe (ON 103 S 39). Dem Einwand zuwider steht diese Deposition aber zu den kritisierten Konstatierungen nicht in erörterungsbedürftigem Widerspruch (US 9 f). Inwieweit sie „im Widerspruch“ zur Aussage des Zeugen Emir J***** (ON 103 S 45 ff) stehen sollte, erklärt die Beschwerde nicht.
Die Mängelrüge zum Schuldspruch A./3./ (Z 5 zweiter Fall) behauptet, das Erstgericht habe zu Unrecht die Angaben des Angeklagten Abdelrahman A***** unerörtert gelassen, wonach nur Desmond K***** und er selbst Lejla D***** an ihrer Vagina angefasst hätten, alle anderen jedoch nur am Gesäß und an der Brust (ON 102 S 59 f). Damit orientiert sie sich prozessordnungswidrig nicht an der Gesamtheit der Aussage des Genannten (vgl RIS Justiz RS0098471 [T2, T5]), der in der Folge weiter ausführte, auch der Nichtigkeitswerber habe sie angefasst, er wisse aber nicht wie (ON 102 S 61).
Zum Schuldspruch B./ zeigt der Beschwerdeführer mit dem Hinweis auf die – vom erkennenden Gericht neben der als glaubhaft und nachvollziehbar beurteilten Aussage der Lejla D***** nur unterstützend angeführte (US 23) – Urteilserwägung, dass Harry E***** von seinen Lehrern als großgewachsen und beeindruckende Persönlichkeit beschrieben worden sei, weshalb aggressives Verhalten ihm durchaus wesensimmanent sei, keine offenbar unzureichende oder willkürliche Entscheidungsbegründung (Z 5 vierter Fall) auf. Eine solche läge nur vor, wenn unter Einbeziehung aller – und nicht bloß einzelner – beweiswürdigender Erwägungen zu einer Urteilsannahme ein Widerspruch mit den Gesetzen folgerichtigen Denkens oder grundlegenden Erfahrungssätzen aufgezeigt würde (vgl Ratz , WK StPO § 581 Rz 455; RIS Justiz RS0118317 [T2]).
Soweit sich die Beschwerde mangels ausdrücklicher Einschränkung der Anfechtungserklärung auch gegen die Schuldsprüche A./1./ und D./ wendet, diese jedoch inhaltlich unbekämpft lässt, mangelt es schon an deutlicher und bestimmter Bezeichnung eines Nichtigkeitsgrundes (§§ 285 Abs 1 zweiter Satz, 285 Z 2 StPO), sodass insoweit auf sie keine Rücksicht zu nehmen war.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits in nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung und die (implizite) Beschwerde gegen den Beschluss über die Anordnung von Bewährungshilfe (§§ 285i, 498 Abs 3 dritter und vierter Satz StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.