4Ob217/16i – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Musger, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Rassi als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** AG, *****, vertreten durch Huber Swoboda Oswald Aixberger Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei H***** E*****, vertreten durch Dr. Patrick Ruth, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Unterlassung (Streitwert 34.900 EUR) und Urteilsveröffentlichung (Streitwert 100 EUR), über die Rekurse beider Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 31. August 2016, GZ 2 R 95/16d-22, womit das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Handelsgericht vom 22. April 2016, GZ 3 Cg 66/15w-18, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:
Spruch
Das mit Beschluss vom 25. Oktober 2016 unterbrochene Verfahren wird von Amts wegen fortgesetzt.
Der Rekurs der beklagten Partei wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.197,80 EUR bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung (darin 366,30 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Dem Rekurs der klagenden Partei wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst dahin zu Recht erkannt, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 6.610,92 EUR bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin 874,82 EUR USt und 1.362 EUR Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin ist Inhaberin einer Bewilligung zur Durchführung von Glücksspiel in Form der Ausspielung mittels Automaten im Burgenland nach dem Burgenländischen Veranstaltungsgesetz. Sie betreibt an mehreren Standorten im Burgenland Glücksspielautomaten.
Der Beklagte betreibt in einer burgenländischen Gemeinde ein Gasthaus, für das er über eine Gewerbeberechtigung für das Gastgewerbe, hingegen über keine Bewilligung zur Durchführung von Glücksspielen in Form der Ausspielung verfügt. Im Lokal des Beklagten befindet sich ein Automat, auf dem gespielt werden kann. Es gibt keine Zugangskontrolle. Auf dem Automaten kann zumindest ein Spiel gespielt werden, bei dem die Entscheidung über das Spielergebnis ausschließlich oder überwiegend vom Zufall abhängt. Der Mindesteinsatz pro Spiel beträgt 0,50 EUR, der Höchsteinsatz 15 EUR. Veranstalterin (Betreiberin) des Automaten ist eine slowakische Gesellschaft. Weder diese Gesellschaft noch der Beklagte verfügen über eine Konzession oder Bewilligung für den Betrieb von Glücksspielautomaten in Österreich oder im Ausland zur Veranstaltung von Glücksspielen. Die slowakische Gesellschaft verfügt in Österreich über keine Zweigniederlassung.
Die Klägerin begehrte, dem Beklagten zu verbieten, im geschäftlichen Verkehr Geräte für die Durchführung von Glücksspielen in Form der Ausspielung zu betreiben oder einem Dritten den Betrieb von Geräten für die Durchführung von Glücksspielen in Form der Ausspielung zu ermöglichen, insbesondere durch Aufstellung und/oder Zugänglichmachung solcher Geräte, insbesondere in seinem Lokal, solange er oder der Dritte nicht über die dafür erforderliche behördliche Bewilligung verfügt und/oder nicht die Bestimmungen über den Spielerschutz nach den glücksspielrechtlichen Vorschriften einhält, insbesondere kein Identifikationssystem/Zutrittssystem besteht. Die Klägerin erhob auch ein Urteilsveröffentlichungsbegehren. Der Beklagte betreibe mangels Bewilligung oder mangels Konzession illegales Glücksspiel und verstoße daher gegen § 1 Abs 1 Z 1 UWG (Wettbewerbsvorsprung durch Rechtsbruch).
Der Beklagte wendete ein, er sei nicht Veranstalter des Glücksspiels. Vielmehr vermiete er der Veranstalterin lediglich eine Fläche für das Aufstellen ihres Automaten, dessen Betrieb nicht auf sein wirtschaftliches Risiko erfolge. Ein solcher Betrieb sei zulässig, weil die Monopolbestimmungen des österreichischen Glücksspielgesetzes aufgrund deren Unionsrechtswidrigkeit (Verstoß gegen die unmittelbar anwendbare Dienstleistungs und Niederlassungsfreiheit) unanwendbar seien. Zumindest liege – falls sich der Beklagte nicht unmittelbar auf die Grundfreiheiten berufen könne – eine unzulässige Inländerdiskriminierung vor. Jedenfalls habe der Beklagte von der europarechtlichen Zulässigkeit der Ausspielungen ausgehen dürfen.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt. Der Beklagte könne sich im Hinblick auf die fehlende Berechtigung des Unternehmens in der Slowakei nicht auf eine allfällige Unionsrechtswidrigkeit des Glücksspielgesetzes berufen. Aufgrund der getroffenen Feststellungen könne von keiner Unionsrechtswidrigkeit des österreichischen Glücksspielgesetzes ausgegangen werden.
Das Berufungsgericht hob über Berufung des Beklagten das Ersturteil auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Es fehlten Feststellungen zu den Werbeaufträgen der Konzessionäre, welche einer rechtlichen Würdigung unterzogen werden könnten, um die Unionsrechtswidrigkeit als Vorfrage für eine allfällige verfassungsrechtlich relevante Inländerdiskriminierung abzuklären.
Der Oberste Gerichtshof hat zu 4 Ob 31/16m ua mit Beschluss vom 30. März 2016 in sechs verbundenen Verfahren, denen Sachverhalte zugrunde lagen, die mit jenem des gegenständlichen Verfahrens vergleichbar sind, die dort näher bezeichneten einzelnen Bestimmungen des Glücksspielgesetzes und des NÖ Spielautomatengesetzes 2011 (hilfsweise die genannten Gesetze zur Gänze) beim Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig angefochten.
Mit Beschluss vom 15. Oktober 2016 zu G 103–104/2016 49 ua wies der Verfassungsgerichtshof die Anträge des Obersten Gerichtshofs und anderer Gerichte als unzulässig zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aufgrund der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs war das mittlerweile unterbrochene Verfahren über die von beiden Parteien gegen den berufungsgerichtlichen Aufhebungsbeschluss erhobenen Rekurse von Amts wegen fortzusetzen.
A) Zum Rekurs der Klägerin:
1. Der mit dem Ziel der Wiederherstellung der erstgerichtlichen Klagestattgebung erhobene Rekurs der Klägerin ist wegen der zwischenzeitlich ergangenen Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs vom 15. Oktober 2016 zulässig und auch berechtigt.
Mit Erkenntnis vom 15. Oktober 2016 zu E 945/2016 24 ua wies der Verfassungsgerichtshof mehrere Beschwerden ab, die gegen die gesetzliche Beschränkung des Glücksspiels gerichtet waren. Den Beschwerden lagen Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich zugrunde, in denen die Beschlagnahme und Einziehung von Glücksspielautomaten verfügt bzw Verwaltungsstrafen wegen unerlaubten Glücksspiels mit solchen Automaten verhängt worden waren. Die Beschwerdeführer erachteten die gesetzliche Beschränkung der Zahl der Konzessionen zum Betrieb von Glücksspielautomaten als Verstoß gegen Unionsrecht. Diese Unionsrechtswidrigkeit führe wiederum zu einer gleichheits und damit verfassungswidrigen „Inländerdiskriminierung“.
2. Der Verfassungsgerichtshof ging inhaltlich davon aus, dass die Bestimmungen des Glücksspielgesetzes allen vom EuGH aufgezeigten Vorgaben des Unionsrechts entsprechen. Insbesondere enthalte das Glücksspielgesetz Regelungen, die sicherstellen sollten, dass Werbemaßnahmen der Inhaber von Glücksspielkonzessionen nicht mit den Zielen dieses Gesetzes (die auch in der Vorbeugung der Spielsucht bestehen) in Konflikt geraten. Die österreichischen Bestimmungen liefen auch aufgrund ihrer tatsächlichen Auswirkungen nicht dem Unionsrecht zuwider. Das österreichische System der Glücksspielkonzessionen verstoße daher nicht gegen Unionsrecht. Für eine „Inländerdiskriminierung“, die dieses System als verfassungswidrig erscheinen ließe, bestehe somit kein Anhaltspunkt.
3. Zwischen dem Anfechtungsbeschluss des Obersten Gerichtshofs und den Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs wurde die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vom 16. März 2016 zu Ro 2015/17/0022 veröffentlicht, in der sich der Verwaltungsgerichtshof eingehend mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und der unionsrechtlichen Zulässigkeit von Beschränkungen der Glücksspieltätigkeiten durch das Glücksspielgesetz auseinandersetzte. Der Verwaltungsgerichtshof verneinte eine Unionsrechtswidrigkeit der einschlägigen Bestimmungen des Glücksspielgesetzes. Es sei belegt, dass das vom österreichischen Gesetzgeber seit langer Zeit gewählte System zur Beschränkung der Möglichkeiten, in Österreich an Glücksspielen teilzunehmen, die vom Gesetzgeber angestrebten Ziele des Spielerschutzes, sowie der Bekämpfung von Spielsucht und Kriminalität im Zusammenhang mit Glücksspielen erreiche. Die angestrebten Ziele des Spielerschutzes, der Spielsuchtbekämpfung, der Verringerung der Beschaffungskriminalität sowie der Verhinderung von kriminellen Handlungen gegenüber Spielern würde durch die im Glücksspielgesetz vorgesehenen Bestimmungen eines – sich in der Realität des Glücksspielmarktes nicht auswirkenden – Glücksspielmonopols des Bundes, kombiniert mit einem Konzessionssystem unter Beschränkung der Anzahl der zu vergebenden Konzessionen betreffend Lotterien und Spielbanken, sowie eines (reinen) Bewilligungssystems unter Beschränkung der Anzahl der zu vergebenden Bewilligungen betreffend Landesausspielungen mit Glücksspielautomaten sowie durch die Bestimmungen zur Hintanhaltung von illegalem Glücksspiel (§ 52f GSpG), in kohärenter und systematischer Weise verfolgt.
4. Auch in der Zusammenschau mit der zitierten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs erachtet der Senat durch die inhaltliche Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs die unions und verfassungsrechtlichen Fragen als hinreichend geklärt. Ungeachtet der Zurückweisung der Anträge des Senats aus formalen Gründen ging der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis über die Bescheidbeschwerden umfassend auf die Vorgaben des EuGH zur Unionsrechtskonformität von Glücksspielrechtsnormen und auch auf die vom Senat gegen die österreichische Rechtslage geäußerten Bedenken ein. Dabei wurde auch die Frage eines maßvollen Werbeauftritts der Konzessionäre behandelt, insgesamt aber eine gesamthafte Würdigung aller Auswirkungen auf den Glücksspielmarkt im Sinn der Rechtsprechung des EuGH vorgenommen.
5. Den entsprechenden Einwänden des Beklagten kommt daher keine Berechtigung zu. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts erübrigt sich daher eine Ergänzung des Beweisverfahrens zu den Auswirkungen des Glücksspielmonopols, sodass das Klagebegehren im Sinn einer Klagestattgebung spruchreif ist. Der Aufhebungsbeschluss war somit in Stattgebung des klägerischen Rekurses insoweit abzuändern und das stattgebende Ersturteil wiederherzustellen.
6. Aufgrund der Sachentscheidung war auch über die Kosten des Berufungs und Rekursverfahrens abzusprechen. Diese Entscheidung beruht auf § 50 Abs 1 iVm § 41 Abs 1 ZPO.
B) Zum Rekurs des Beklagten:
1. Der Rekurs des Beklagten, mit dem er die gänzliche Abweisung des Klagebegehrens anstrebt, ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.
2. Die vom Beklagten neuerlich erörterten unions und verfassungsrechtlichen Fragen sind mittlerweile geklärt (vgl 4 Ob 162/16a uva).
3. Auch sonst gelingt es dem Beklagten nicht, eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts steht nicht im Widerspruch zur Entscheidung 3 Ob 184/15b, der zugrunde lag, dass die dort beklagte Partei keinen relevanten Beitrag zur Durchführung von Glücksspielen geleistet hat, während der hier Beklagte an der Durchführung des illegalen Glücksspiels beteiligt war (4 Ob 68/15a ua).
Nach dem GSpG sind die Betreiber eines Glücksspiels verpflichtet, Maßnahmen zum Spielerschutz zu treffen, wozu auch die Vorhaltung eines Identifikations und Zutrittssystems gehört. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass diese (dem zweiten Teil des Unterlassungsbegehrens zugrunde liegenden) Schutzbestimmungen auch für jene Unternehmer gelten, die Glücksspiele ohne Bewilligung oder Konzession betreiben oder daran beteiligt sind, entspricht der Rechtsprechung (vgl 4 Ob 220/15d; 4 Ob 221/15a) und wirft daher keine erhebliche Rechtsfrage auf.
4. Auch die Frage, ob ein Unterlassungsgebot im Einzelfall zu weit oder zu eng gefasst wurde, kann die Zulässigkeit der Revision/des Rekurses nicht begründen (RIS Justiz RS0037671). Die Vorinstanzen haben sich am Wettbewerbsverstoß des Beklagten orientiert. Bei Unterlassungsansprüchen ist eine gewisse allgemeine Fassung des Begehrens in Verbindung mit Einzelverboten meist schon deshalb erforderlich, um nicht die Umgehung des erwähnten Verbots allzu leicht zu machen (RIS Justiz RS0037607).
5. Schließlich begründet auch der Hinweis des Beklagten auf den Umstand, dass der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 24. Juni 2016 der Klägerin die Bewilligung für die Durchführung von Glücksspielen in der Form von Ausspielungen mittels Automaten im Burgenland auf Basis des Burgenländischen Veranstaltungsgesetzes aufgehoben habe, im Zusammenhang mit der von den Vorinstanzen bejahten Aktivlegitimation der Klägerin keine erhebliche Rechtsfrage. Für die Aktivlegitimation nach § 14 UWG kommt es nämlich nicht auf die befugte Ausübung des Gewerbebetriebs an (RIS Justiz RS0079597). Die Frage der gewerberechtlichen Befugnis ist für die Beurteilung der Teilnahme am geschäftlichen Verkehr und für das Vorliegen eines Wettbewerbsverhältnisses ohne Bedeutung. Diese Teilnahme am Verkehr ist allein faktisch zu beurteilen (RIS Justiz RS0077586). Das Klagerecht eines Mitbewerbers nach § 14 UWG wird durch eigene gleichartige Wettbewerbsverstöße nicht beeinträchtigt (RIS Justiz RS0014242, RS0077853). Die Entscheidungen der Vorinstanzen halten sich im Rahmen der aufgezeigten Rechtsprechung (vgl insbesondere 4 Ob 153/16b zu einem vergleichbaren Sachverhalt).
6. Da Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung somit nicht zu lösen sind, ist der Rekurs des Beklagten zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO. Die Rekursbeantwortung der Klägerin wies auf die fehlende Zulässigkeit des gegnerischen Rekurses hin.