4Ob142/16k – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Musger, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Rassi als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** AG, *****, vertreten durch Huber Swoboda Oswald Aixberger Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. G***** F***** KG, *****, 2. J***** W*****, vertreten durch Prof. Dr. Fritz Wennig, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert 34.900 EUR) und Urteilsveröffentlichung (Streitwert 100 EUR), über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 31. März 2016, GZ 1 R 185/15f 30, womit das Urteil des Landesgerichts Wr. Neustadt vom 15. September 2015, GZ 56 Cg 43/14w 25, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:
Spruch
A. Das mit Beschluss vom 12. 7. 2016 unterbrochene Verfahren wird von Amts wegen fortgesetzt.
B. Dem Rekurs der klagenden Partei wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst dahin zu Recht erkannt, dass das Urteil des Erstgerichts in Ansehung des Unterlassungsbegehrens und im Kostenpunkt zur Gänze wiederhergestellt wird und der Ausspruch über das Veröffentlichungsbegehren wie folgt lautet:
„Die klagende Partei wird ermächtigt, den Ausspruch über das Unterlassungs- und das Veröffentlichungsbegehren binnen sechs Monaten ab Rechtskraft einmal in einer Ausgabe der 'Niederösterreichischen Nachrichten (NÖN)', Lokalausgabe für Ternitz, auf Kosten der beklagten Parteien mit gesperrt geschriebenen Prozessparteien und in Fettdruckumrandung in Normallettern, somit in gleichgroßer Schrift wie der Fließtext redaktioneller Artikel, zu veröffentlichen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.“
Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 6.911,77 EUR bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin 902,26 EUR USt und 1.498,20 EUR Pauschalgebühr) zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die klagende Partei verfügt über eine Bewilligung der Niederösterreichischen Landesregierung zur Durchführung von Glücksspielen in Form der Landesausspielung mit Automaten. Sie betreibt solche Geräte an mehreren Standorten in Niederösterreich.
Die erstbeklagte Partei ermöglichte in ihrem Lokal die Aufstellung und Betreibung von zwei Glücksspielautomaten, bei denen die Entscheidung über Gewinn oder Verlust nicht von der Geschicklichkeit der Spieler abhängt. Die Automaten waren frei zugänglich, eine technische Zugangs- oder Identifikationskontrolle lag nicht vor. Der Zweitbeklagte ist persönlich haftender Gesellschafter und Geschäftsführer der erstbeklagten Partei. Formelle Veranstalterin ist eine tschechische Gesellschaft. Weder diese Gesellschaft noch die beklagten Parteien verfügen über eine Konzession oder Bewilligung für den Betrieb von Glücksspielautomaten in Niederösterreich.
Die klagende Partei begehrte den beklagten Parteien zu verbieten, im geschäftlichen Verkehr Geräte für die Durchführung von Glücksspielen in Form der Ausspielung zu betreiben oder einem Dritten den Betrieb von Geräten für die Durchführung von Glücksspielen in Form der Ausspielung zu ermöglichen, insbesondere durch Aufstellung und/oder Zugänglichmachung solcher Geräte, insbesondere in ihrem Lokal, solange sie oder der Dritte nicht über die dafür erforderliche behördliche Bewilligung verfügen und/oder nicht die Bestimmungen über den Spielerschutz nach den glücksspielrechtlichen Vorschriften einhalten, insbesondere kein Identifikationssystem/Zutrittssystem besteht. Weiters stellte die klagende Partei ein Urteilsveröffentlichungsbegehren. Eine Ausspielung mit Glücksspielautomaten dürfe nur mit behördlicher Bewilligung erfolgen. Da die beklagten Parteien über keine solche Bewilligung verfügten, betrieben sie in Verletzung von § 52 Abs 1 Z 1 GSpG iVm § 2 Abs 4 GSpG ein illegales Glücksspiel und verstießen dadurch gegen § 1 Abs 1 Z 1 UWG (Wettbewerbsvorsprung durch Rechtsbruch). Weiters lägen Verstöße gegen bestimmte Spielerschutzbestimmungen des GSpG vor, weil es kein Identifikations- oder Zutrittssystem gebe.
Die beklagten Parteien wandten ein, dass das GSpG in seiner derzeitigen Ausgestaltung unionsrechtswidrig sei und deshalb nicht zur Anwendung gelange, insbesondere weil die geforderte Kriminalitätsbekämpfung und der geforderte Spielerschutz nicht im notwendigen Ausmaß gegeben seien. Es liege ein Verstoß gegen die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit vor. Sie beriefen sich darauf, dass die tschechische Gesellschaft die Betreiberin der Ausspielungen sei, wobei deren Tätigkeit wegen der Unionsrechtswidrigkeit des GSpG zulässig sei, worauf sich auch die beklagten Parteien unmittelbar – hilfsweise über den Einwand der verfassungsrechtlich unzulässigen Inländerdiskriminierung – berufen könnten.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt. Ausgehend von den eingangs zusammengefassten Feststellungen vertrat es in rechtlicher Hinsicht, dass sich die beklagten Parteien im Hinblick auf die fehlende Berechtigung des tschechischen Unternehmens in Tschechien nicht auf eine allfällige Unionsrechtswidrigkeit des GSpG berufen könnten, weshalb es diesbezüglich keiner weiteren Prüfung bedürfe.
Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung der beklagten Parteien Folge, hob das Urteil des Erstgerichts auf und trug diesem die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Es vertrat, dass das Erstgericht im fortgesetzten Verfahren Feststellungen zur Frage der tatsächlichen Auswirkungen der Regelungen des Glücksspielrechts zu treffen habe, um die Unionsrechtswidrigkeit des GSpG als Vorfrage für eine allfällige verfassungsrechtlich relevante Inländer-diskriminierung abzuklären.
Der Senat hat zu 4 Ob 31/16m ua mit Beschluss vom 30. 3. 2016 in sechs verbundenen Verfahren, denen Sachverhalte zugrunde lagen, die mit jenem des gegenständlichen Verfahrens vergleichbar sind, die dort näher bezeichneten einzelnen Bestimmungen des GSpG und des NÖ Spielautomatengesetzes 2011 (hilfsweise die genannten Gesetze zur Gänze) beim Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig angefochten. Demnach fehlt dem Glücksspielmonopol die unionsrechtlich erforderliche Rechtfertigung, weil die Werbung für Glücksspiele durch die Konzessionäre im Ergebnis nicht ausschließlich dazu dient, Verbraucher zu den kontrollierten Spielernetzwerken zu lenken, sondern den Zweck verfolgt, insbesondere jene Personen zur aktiven Teilnahme am Spiel anzuregen, die bis dato nicht ohne weiteres zu spielen bereit sind. Aus der vom Senat angenommenen Unionsrechtswidrigkeit des Glücksspielmonopols folgt daher, dass die in Fallgestaltungen, die nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen, weiter anzuwendenden Bestimmungen des Glücksspielrechts eine gegen Art 7 B-VG verstoßende Inländerdiskriminierung begründen.
Mit Beschluss vom 15. 10. 2016 zu G 103 104/2016-49 ua wies der Verfassungsgerichtshof die Anträge des Obersten Gerichtshofs und anderer Gerichte als unzulässig zurück. In der Entscheidung wurde zum einen darauf verwiesen, dass der Anfechtungsumfang zu eng gewählt worden sei. Zum anderen erweise sich aber auch die Anfechtung des gesamten GSpG als unzulässig, weil verfassungsrechtliche Bedenken nicht gegen sämtliche Bestimmungen dargelegt worden seien.
Rechtliche Beurteilung
Aufgrund der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs war das Rekursverfahren von Amts wegen fortzusetzen.
Der von der klagenden Partei gegen den Aufhebungsbeschluss erhobene Rekurs ist wegen der zwischenzeitlich ergangenen Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs vom 15. 10. 2016 zulässig und auch berechtigt.
1. Mit Erkenntnis vom 15. 10. 2016 zu E 945/2016-24 ua wies der Verfassungsgerichtshof mehrere Beschwerden ab, die gegen die gesetzliche Beschränkung des Glücksspiels gerichtet waren. Den Beschwerden lagen Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich zugrunde, in denen die Beschlagnahme und Einziehung von Glücksspielautomaten verfügt bzw Verwaltungsstrafen wegen unerlaubten Glücksspiels mit solchen Automaten verhängt worden waren. Die Beschwerdeführer, die sich den oben referierten Bedenken des Obersten Gerichtshofs anschlossen, erachteten die gesetzliche Beschränkung der Zahl der Konzessionen zum Betrieb von Glücksspielautomaten als Verstoß gegen Unionsrecht. Diese Unionsrechtswidrigkeit führe wiederum zu einer gleichheits- und damit verfassungswidrigen „Inländerdiskriminierung“.
Der Verfassungsgerichtshof ging inhaltlich davon aus, dass die Bestimmungen des GSpG allen vom EuGH aufgezeigten Vorgaben des Unionsrechts entsprechen. Insbesondere enthalte das GSpG Regelungen, die sicherstellen sollten, dass Werbemaßnahmen der Inhaber von Glücksspielkonzessionen nicht mit den Zielen dieses Gesetzes (die auch in der Vorbeugung der Spielsucht bestehen) in Konflikt geraten. Die österreichischen Bestimmungen liefen auch auf Grund ihrer tatsächlichen Auswirkungen nicht dem Unionsrecht zuwider. Das österreichische System der Glücksspielkonzessionen verstoße daher nicht gegen Unionsrecht. Für eine „Inländerdiskriminierung“, die dieses System als verfassungswidrig erscheinen ließe, bestehe somit kein Anhaltspunkt .
2. Zeitlich zwischen dem Anfechtungsbeschluss des Senats und der Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs wurde die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vom 16. 3. 2016 zu Ro 2015/17/0022 veröffentlicht, in der sich der Verwaltungsgerichtshof eingehend mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und der unionsrechtlichen Zulässigkeit von Beschränkungen der Glücksspieltätigkeiten durch das GSpG auseinandersetzte. Der Verwaltungsgerichtshof verneinte eine Unionsrechtswidrigkeit der einschlägigen Bestimmungen des GSpG. Es sei belegt, dass das vom österreichischen Gesetzgeber seit langer Zeit gewählte System zur Beschränkung der Möglichkeiten, in Österreich an Glücksspielen teilzunehmen, die vom Gesetzgeber angestrebten Ziele des Spielerschutzes sowie der Bekämpfung von Spielsucht und Kriminalität im Zusammenhang mit Glücksspielen erreiche. Die im GSpG vorgesehenen Bestimmungen eines – sich in der Realität des Glücksspielmarktes nicht auswirkenden – Glücksspiel-monopols des Bundes, kombiniert mit einem Konzessionssystem unter Beschränkung der Anzahl der zu vergebenden Konzessionen betreffend Lotterien und Spielbanken sowie eines (reinen) Bewilligungssystems unter Beschränkung der Anzahl der zu vergebenden Bewilligungen betreffend Landesausspielungen mit Glücksspielautomaten sowie der Bestimmungen zur Hintanhaltung von illegalem Glücksspiel (§ 52f GSpG), verfolgten in kohärenter und systematischer Weise die angestrebten Ziele des Spielerschutzes, der Spielsuchtbekämpfung, der Verringerung der Beschaffungskriminalität sowie der Verhinderung von kriminellen Handlungen gegenüber Spielern.
3. Auch in der Zusammenschau mit der zitierten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs erachtet der Senat durch die inhaltliche Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs die unions- und verfassungsrechtlichen Fragen als hinreichend geklärt. Ungeachtet der Zurückweisung der Anträge des Senats aus formalen Gründen ging der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis über die Bescheidbeschwerden umfassend auf die Vorgaben des EuGH zur Unionsrechtskonformität von Glücksspielrechtsnormen und auch auf die vom Senat gegen die österreichische Rechtslage geäußerten Bedenken ein. Dabei wurde auch die Frage eines maßvollen Werbeauftritts der Konzessionäre behandelt, insgesamt aber eine gesamthafte Würdigung aller Auswirkungen auf dem Glücksspielmarkt im Sinne der Rechtsprechung des EuGH vorgenommen.
4. Den entsprechenden Einwänden der beklagten Parteien kommt daher keine Berechtigung zu. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts erübrigt sich daher eine Ergänzung des Beweisverfahrens zu den Auswirkungen des Glücksspielmonopols, sodass das Klagebegehren im Sinne einer Klagestattgebung spruchreif ist. In Ansehung des Unterlassungsbegehrens war das stattgebende Ersturteil wiederherzustellen. Die klagende Partei war auch zur Urteilsveröffentlichung zu ermächtigen. Entgegen ihrem Antrag hat die Veröffentlichung aber entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl zuletzt etwa 4 Ob 164/12i und 4 Ob 61/16y) in Normallettern zu erfolgen.
5. Aufgrund der Fällung einer Sachentscheidung war auch über die Kosten des Berufungs- und Rekursverfahrens abzusprechen. Diese Entscheidung beruht auf § 50 Abs 1 iVm § 43 Abs 2 ZPO. Die geringfügige Teilabweisung in Bezug auf das Veröffentlichungsbegehren fällt kostenmäßig nicht ins Gewicht. Kosten für den Fortsetzungsantrag waren nicht zuzusprechen, weil dieser nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war. Im Spruch des Unterbrechungsbeschlusses wurde ausdrücklich darauf verwiesen, dass die Fortsetzung von Amts wegen erfolgt.