JudikaturOGH

5Nc12/16h – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. Oktober 2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Höllwerth, die Hofrätin Dr. Grohmann die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen G***** S*****, geboren am *****, aufgrund der Vorlage des Aktes AZ 59 Pg 115/15b durch das Bezirksgericht Innere Stadt Wien in nichtöffentlicher Sitzung, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Zur Fortführung der Pflegschaftssache ist das Bezirksgericht Völkermarkt zuständig.

Der Beschluss des Bezirksgerichts Völkermarkt vom 22. 12. 2015, GZ 1 Pg 166/15m 23, wird aufgehoben.

Text

Begründung:

Der Minderjährige wohnt bei seiner Mutter in 117525 Moskau/Russland. Er verfügt über keinen Aufenthalt im Inland. Sein Vater verstarb am 13. 5. 2013. Das Verlassenschaftsverfahren ist zu AZ 3 A 206/13t des Bezirksgerichts Klagenfurt anhängig. Mit Beschluss vom 14. 2. 2014 bestellte das Verlassenschaftsgericht für den Minderjährigen einen Kollisionskurator, der seine Tätigkeit als Notariatskandidat im Sprengel des Bezirksgerichts Völkermarkt ausübt. Der Wirkungskreis des Kollisionskurators ist auf das Verlassenschaftsverfahren und mit dessen Dauer beschränkt.

Mit Beschluss vom 21. 10. 2015 legte das Bezirksgericht Klagenfurt das im Verlassenschaftsverfahren am 9. 10. 2015 abgeschlossene Übereinkommen dem Bezirksgericht Innere Stadt Wien mit dem Ersuchen um pflegschaftsbehördliche Genehmigung vor.

Das Bezirksgericht Innere Stadt Wien sprach mit Beschluss vom 10. 12. 2015 aus, dass es zur weiteren Führung des Verfahrens nicht zuständig sei und überwies das Verfahren an das Bezirksgericht Völkermarkt. Fehle ein gewöhnlicher Aufenthalt des Minderjährigen im Inland, sei zur Führung des Pflegschaftsverfahrens gemäß § 109 Abs 2 JN jenes Gericht zuständig, in dessen Sprengel der gesetzliche Vertreter des Minderjährigen seinen gewöhnlichen Aufenthalt habe. Der für den Minderjährigen bestellte Kollisionskurator habe seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sprengel des Bezirksgerichts Völkermarkt. Die sachliche und örtliche Unzuständigkeit sei gemäß § 44 JN in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen und die Sache an das örtlich oder sachlich zuständige Gericht zu überweisen.

Das Bezirksgericht Völkermarkt verweigerte mit Beschluss vom 22. 12. 2015 „die Übernahme der Zuständigkeit gemäß § 111 JN“. Inhaltlich verneinte es seine örtliche Zuständigkeit.

Das Bezirksgericht Innere Stadt Wien legte den Akt dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung nach § 111 Abs 2 JN vor.

Bereits mit dem in dieser Sache ergangenen Beschluss vom 11. 7. 2016 hat der Oberste Gerichtshof klargestellt, dass das Bezirksgericht Innere Stadt Wien mit seiner Entscheidung die Unzuständigkeit unter gleichzeitiger Überweisung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Völkermarkt ausgesprochen hat, sodass ein Überweisungsbeschluss gemäß § 44 JN und nicht ein Übertragungsbeschluss nach § 111 JN vorliegt. Zugleich wurde dem vorlegenden Gericht die Zustellung des ebenfalls die Unzuständigkeit in der vorliegenden Pflegschaftssache aussprechenden Beschlusses des Bezirksgerichts Völkermarkt aufgetragen.

Rechtliche Beurteilung

1.

Die Anrufung des gemeinsam übergeordneten Gerichtshofs in einem negativen Kompetenzkonflikt nach § 47 JN setzt voraus, dass die beiden konkurrierenden Gerichte rechtskräftig über ihre (Un )Zuständigkeit zur Entscheidung über die (gleiche) Rechtssache abgesprochen und diese verneint haben (RIS Justiz RS0118692; RS0046299 [T1]; Schneider in Fasching/Konecny I Einl § 47 JN Rz 16). Diese Voraussetzung liegt hier nunmehr vor.

2. Bei der Entscheidung über negative Kompetenzkonflikte ist auf eine allfällige Bindungswirkung des ersten Beschlusses Bedacht zu nehmen. Um Kompetenzkonflikte nach Möglichkeit von vornherein auszuschließen, nimmt der Gesetzgeber in Kauf, dass allenfalls auch ein an sich unzuständiges Gericht durch eine unrichtige Entscheidung gebunden wird (vgl RIS Justiz RS0046391).

3. Im hier zu beurteilenden Zuständigkeitsstreit haben zwei Gerichte rechtskräftig ihre örtliche Zuständigkeit verneint. Die (jüngere) Entscheidung des Bezirksgerichts Völkermarkt missachtete aber, dass der Überweisungsbeschluss unabhängig von seiner Zustellung an die Parteien (vgl RIS Justiz RS0046363) für das Adressatgericht solange maßgebend bleibt, als er nicht in höherer Instanz rechtskräftig abgeändert wird (RIS Justiz RS0081664), sodass das Adressatgericht seine Unzuständigkeit nicht mit der Begründung aussprechen kann, das überweisende Gericht sei zuständig (RIS Justiz RS0046315 [T3]; RS0002439).

4. Der Beschluss des Bezirksgerichts Völkermarkt vom 22. 12. 2015, GZ 1 Pg 166/15m 23, verletzte die Bindungswirkung des vorausgehenden Überweisungsbeschlusses des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien und ist daher – ohne auf die Frage nach der Richtigkeit der jeweils vertretenen Rechtsansichten einzugehen (RIS Justiz RS0002439 [T2; T9]; RS0046391 [T10]) – aufzuheben.

Rückverweise