JudikaturOGH

15Os88/16d – OGH Entscheidung

Entscheidung
12. Oktober 2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. Oktober 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Beran als Schriftführer in der Strafsache gegen Ralph E***** wegen Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 22. Juni 2016, GZ 84 Hv 20/16z 40, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Ralph E***** der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (I./) und der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (II./) schuldig erkannt.

Danach hat er zwischen Anfang Oktober 2015 und 15. Februar 2016 in W***** in zumindest 15 Angriffen

I./ mit der am 27. Oktober 2005 geborenen, mithin unmündigen Hannah T***** dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen, indem er sie an der Scheide streichelte und mit den Fingern vaginal penetrierte;

II./ durch die zu I./ beschriebenen Tathandlungen mit Hannah T***** geschlechtliche Handlungen unter Ausnützung seiner Stellung als Aufsichtsperson vorgenommen.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten; sie verfehlt ihr Ziel.

In der Hauptverhandlung am 22. Juni 2016 wurde gemäß § 252 Abs 2a StPO „einverständlich zusammengefasst vorgetragen ... der wesentliche Akteninhalt, wobei auf weitere wörtliche Verlesungen allseits ausdrücklich verzichtet wird“. (ON 39 S 32).

Bezugnehmend auf diese Formulierung („der wesentliche Akteninhalt“) im Hauptverhandlungsprotokoll bringt die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) vor, „sohin sind sämtliche Aktenteile, welche im Zuge besagter Verlesung ergangen sind, in der Hauptverhandlung nicht vorgekommen“. Das betreffe auch die Angaben der Zeugin Hannah T***** bei ihrer polizeilichen Befragung (ON 3 S 25 ff), auf deren Übereinstimmung mit den gerichtlichen Aussagen sich die Tatrichter beweiswürdigend wesentlich stützten (US 6). Daher gründe sich „die subjektive Gewissheit des Erstgerichts“ vom Vorliegen entscheidender Tatsachen auf nicht in der Hauptverhandlung vorgekommene Beweismittel.

Die Zustimmung des Anklägers oder des Angeklagten zu einem Vortrag gemäß § 252 Abs 2a StPO beinhaltet deren Einverständnis (§ 252 Abs 1 Z 4 StPO), dass die vom Vortrag umfassten Aktenstücke in der Hauptverhandlung vorkommen (§ 258 Abs 1 StPO), weil der Vortrag die Verlesung oder Vorführung nach § 252 Abs 1 oder Abs 2 StPO substituiert, demnach eine Zustimmung zum Vortrag eine umfassende Willenserklärung zum Vorkommendürfen darstellt. Ein Referat nach § 252 Abs 2a StPO kann angesichts der Zustimmung von Ankläger und Angeklagtem unter diesem Gesichtspunkt daher keine Nichtigkeit bewirken (RIS Justiz RS0127712). Sind jedoch in der Beschwerde genannte Beweismittel auf gar keine Art vorgekommen, kann Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 5 vierter Fall StPO vorliegen (RIS Justiz RS0111533 [T7]).

Dass die Angaben der Zeugin vor der Polizei tatsächlich nicht vorgetragen wurden, behauptet die Beschwerde nicht. Dass sie nicht verlesen wurden, entspricht Wortlaut und Zweck der Bestimmung des § 252 Abs 2a StPO. Auf wörtliche Verlesungen hat der Antragsteller im Übrigen ausdrücklich verzichtet (ON 39 S 32).

Die Beschwerdeprämisse, aufgrund der undeutlichen Protokollierung („der wesentliche Akteninhalt“; vgl Ratz , WK StPO § 281 Rz 462) seien „sämtliche Aktenteile“ in der Hauptverhandlung nicht vorgekommen, lässt sich weder aus dem Gesetz noch aus der von der Beschwerde zitierten Judikatur (RIS Justiz RS0110681 betrifft die Verletzung von Protokollierungsvorschriften, trifft aber keine darauf gegründete generelle Aussage zum Vorkommen oder Nichtvorkommen von Aktenstücken; zu AZ 11 Os 108/11h wurde ein bei der Beweiswürdigung verwertetes Vernehmungsprotokoll weder verlesen noch vorgetragen) ableiten. Die von der Beschwerde behauptete offenbar unzureichende Begründung liegt somit nicht vor.

Der Nichtigkeitsgrund nach Z 5a greift seinem Wesen nach erst dann, wenn Beweismittel, die in der Hauptverhandlung vorkamen oder vorkommen hätten können und dürfen, nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen aufkommen lassen, mit anderen Worten intersubjektiv gemessen an Erfahrungs und Vernunftsätzen eine unerträgliche Fehlentscheidung qualifiziert nahelegen. Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen – wie sie die Berufung wegen Schuld des Einzelrichterverfahrens einräumt – wird dadurch nicht ermöglicht (RIS Justiz RS0119583).

Mit Hinweisen auf eine Passage der Aussage der Sylvia T*****, aus der der Beschwerdeführer schließt, Hannah T***** habe ihrer Mutter erst nach den Gesprächen mit dem Jugendamt von der digitalen Penetration erzählt, und auf die Verantwortung des Angeklagten, erst die Gespräche beim Jugendamt hätten die Vorwürfe „intensiviert“, gelingt es der Tatsachenrüge nicht, erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Schuldspruch zugrunde liegenden Feststellungen zu erwecken.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus sich die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen ergibt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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