JudikaturOGH

10ObS123/16k – OGH Entscheidung

Entscheidung
11. Oktober 2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat Univ. Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schramm und Mag. Ziegelbauer (Senat gemäß § 11a Abs 3 Z 1 ASGG) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A*****, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm, Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Pflegegeld, infolge der Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 21. Juni 2016, GZ 7 Rs 29/16k 25, womit das Urteil des Arbeits und Sozialgerichts Wien vom 4. November 2015, GZ 17 Cgs 55/15z 22, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Akten werden dem Erstgericht mit dem Auftrag

zurückgestellt, die Wirksamkeit der an den Vertreter der Klägerin bereits erfolgten Zustellung der Revision zu prüfen und im Fall ihrer Bejahung wieder vorzulegen.

Sollte dies nicht möglich sein, wird dem Erstgericht aufgetragen, neuerlich eine Gleichschrift der Revision der beklagten Partei der Klägerin nachweislich zur allfälligen Erstattung einer Revisionsbeantwortung binnen 4 Wochen zuzustellen und die Akten nach Erstattung einer Revisionsbeantwortung oder fruchtlosem Verstreichen der Frist erneut dem Obersten Gerichtshof vorzulegen.

Text

Begründung:

Das Erstgericht verpflichtete die beklagte Pensionsversicherungsanstalt, der Klägerin ab 1. 2. 2015 Pflegegeld gemäß § 4 Abs 2 Stufe 3 BPGG zu gewähren. Für die Klägerin trat im Verfahren erster Instanz ihr Schwiegersohn auf, der Vollmacht legte und – ungerügt – für die Klägerin verhandelte, sodass er ungeachtet des Fehlens eines erforderlichen Beschlusses gemäß § 40 Abs 2 Z 4 ASGG als Vertreter der Klägerin im Verfahren erster Instanz nach dieser Bestimmung anzusehen ist (8 ObA 54/09p).

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge und sprach aus, dass die Revision gegen seine Entscheidung zulässig sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten, mit der sie die Abweisung des Klagebegehrens anstrebt.

Das Erstgericht verfügte am 29. 7. 2016 die Zustellung der Revision der Beklagten an die Klägerin zur allfälligen Erstattung einer Revisionsbeantwortung. Die Revision wurde an den Vertreter der Klägerin durch Hinterlegung zur Abholung ab 3. 8. 2016 zugestellt und am 23. 8. 2016 unbehoben an das Erstgericht retourniert. Der Vertreter der Klägerin teilte dem Erstgericht am 30. 8. 2016 telefonisch mit, dass er vom 31. 7. 2016 bis 26. 8. 2016 nicht in Österreich war.

In einem Telefonat vom 2. 9. 2016 teilte die Vorsitzende dem Vertreter „die Sachlage mit“. Der Vertreter gab der Vorsitzenden gegenüber an, „ohnehin keine Stellungnahme zur Revision der Beklagten abgeben zu wollen“. Die Vorsitzende teilte dem Vertreter der Klägerin mit, dass sie ihm die Revision noch einmal „einfach“ zustellen werde, dass sie den Akt aber „aufgrund der abgelaufenen Frist zur Erstattung der Revisionsbeantwortung“ dem Obersten Gerichtshof sofort vorlegen werde. Mit dieser Vorgangsweise war der Vertreter der Klägerin einverstanden.

Das Erstgericht verfügte am 2. 9. 2016 die neuerliche Zustellung der Revision an den Vertreter der Klägerin mit „Fensterkuvert“ und legte die Revision der Beklagten im Wege des Berufungsgerichts dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung vor.

Rechtliche Beurteilung

Die Aktenvorlage ist verfrüht.

1. Gemäß § 507a Abs 1 ZPO steht es dem Revisionsgegner frei, binnen der Notfrist von vier Wochen ab der – hier gemäß § 507a Abs 2 Z 1 ZPO durch das Prozessgericht vorzunehmenden – Zustellung der Revisionsschrift, eine Revisionsbeantwortung mittels Schriftsatzes zu überreichen. Durch das Recht, die Revision zu beantworten, soll das rechtliche Gehör des Revisionsgegners gewahrt werden. Die Anhörung des Rechtsmittelgegners vor der Entscheidung in letzter Instanz ist von besonderer Bedeutung, ist doch deren Rechtsmittelentscheidung endgültig (1 Ob 186/07w; Zechner in Fasching/Konecny ² IV/1 § 507a Rz 1).

2.1 Ein Nachweis über die Zustellung der Revision an den Vertreter der Klägerin (§ 93 ZPO) liegt jedoch im vorliegenden Fall nicht mit Sicherheit vor, weil der Vertreter der Klägerin angegeben hat, zum Zeitpunkt der Zustellung im Ausland gewesen zu sein und erst nach Ablauf der Abholfrist an die Abgabestelle zurückgekommen zu sein (§ 17 Abs 3 ZustG; vgl nur Gitschthaler in Rechberger , ZPO 4 § 87 [§ 17 ZustG] Rz 8, 9 mwH). Aus dem Akteninhalt ergibt sich kein Hinweis, ob oder wann dem Vertreter der Klägerin die Revision tatsächlich zugekommen ist.

2.2 Zweifelhafte Prozesserklärungen sind zugunsten der Wahrung des Grundsatzes des Parteiengehörs auszulegen (2 Ob 25/07a; RIS-Justiz RS0042208 [T4, T6]). Schon vor diesem Hintergrund kann aus der – überdies bloß fernmündlichen – Angabe des Vertreters der Klägerin, er wolle „ohnehin keine Stellungnahme“ zur Revision abgeben, kein Verzicht auf die Erstattung einer Revisionsbeantwortung abgeleitet werden. Eine solche „Stellungnahme“ des Vertreters der Klägerin wäre überdies wegen der im Revisionsverfahren vor dem Obersten Gerichtshof herrschenden absoluten Anwaltspflicht (§§ 507 Abs 4 iVm 506 Abs 1 Z 4 ZPO) unbeachtlich.

3. Das Erstgericht wird daher einen Nachweis über eine bereits erfolgte Zustellung der Revision der Beklagten an die Klägerin vorzulegen haben. Sollte dies nicht möglich sein, wird das Erstgericht eine Gleichschrift der Revision der Beklagten der klagenden Partei (nachweislich) zuzustellen haben. In diesem Fall ist der Akt erst nach Einlangen einer Revisionsbeantwortung oder nach fruchtlosem Ablauf der Revisionsbeantwortungsfrist wieder vorzulegen.

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