JudikaturOGH

6Ob158/16b – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. September 2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ. Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei U* AG, *, vertreten durch Brandstetter, Baurecht, Pritz Partner Rechtsanwälte KG in Wien, gegen die beklagte Partei E* K*, vertreten durch Dr. Wolfgang Gerhard Zorn, Rechtsanwalt in Wien als bestellter Verfahrenshelfer, dieser vertreten durch die Zorn Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Wien, wegen 70.923,47 EUR sA, über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 11. Juli 2016, GZ 11 R 113/16t, 11 R 114/16i 313, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Mit Endurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 24. März 2016 wurde dem restlichen Klagebegehren von 70.923,47 EUR sA stattgegeben. Dieses Urteil wurde dem Verfahrenshelfer der Beklagten am 25. März 2016 zugestellt. Am 21. April 2016 (Postaufgabe) brachte die Beklagte ein lediglich von ihr selbst unterfertigtes Schreiben ein, in welchem sie ausführte, gegen das Urteil vom 24. März 2016 innerhalb offener Frist „Berufung Rekurs“ zu erheben; gleichzeitig stellte sie den „Antrag auf Verbesserung durch ihren Verfahrenshelfer“. Mit Beschluss des Erstgerichts vom 25. April 2016 wurde dieses Schreiben zur Verbesserung durch anwaltliche Fertigung binnen 14 Tagen zurückgestellt. Der Verbesserungsbeschluss wurde dem Verfahrenshelfer der Beklagten am 27. April 2016 zugestellt. Am 10. Mai 2016 brachte die Substitutin des Verfahrenshelfers eine formgerechte Berufung ein.

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Berufungsgericht die Berufung vom 24. März 2016 als verspätet zurück. Das Wissen des Verfahrenshelfers und die absolute Anwaltspflicht im vorliegenden Verfahren sei der Beklagten zuzurechnen. Dieser sei diese Rechtslage auch selbst bewusst gewesen, weil sie in dem von ihr verfassten Schreiben einen „Antrag auf Verbesserung durch ihren Verfahrenshelfer“ gestellt habe. Der Schriftsatz der Beklagten habe daher offenkundig nur der Verfahrensverzögerung gedient und hätte wegen seiner Rechtsmissbräuchlichkeit unverzüglich zurückgewiesen werden müssen. Da der dennoch erteilte Verbesserungsauftrag keine Fristverlängerung bewirkt habe, sei die Berufung verspätet.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der – als „außerordentlicher Revisionsrekurs“ bezeichnete – Rekurs der Beklagten.

Rechtliche Beurteilung

Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

1.1. Gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO ist der Rekurs gegen einen im Berufungsverfahren ergehenden Beschluss des Berufungsgerichts zulässig, soweit das Berufungsgericht die Berufung ohne Sachentscheidung aus formellen Gründen zurückgewiesen hat. In diesem Fall ist der sogenannte „Vollrekurs“ an den Obersten Gerichtshof ohne Rücksicht auf das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage und ohne Rücksicht auf die Höhe des Streitwerts zulässig ( Zechner in Fasching/Konecny ² § 519 ZPO Rz 12; E. Kodek in Rechberger , ZPO 4 § 519 ZPO Rz 13).

1.2. Die unrichtige Benennung des Rechtsmittels hindert dessen Behandlung nicht (RIS Justiz RS0036258).

2.1. Erlaubt die Diktion eines Rechtsmittels den zwingenden Schluss, dass in die Revisionsschrift absichtlich ein Formfehler eingebaut wurde, um durch ein allfälliges Verbesserungsverfahren nochmals eine für die beklagte Partei wünschenswerte Verzögerung des Eintritts der Rechtskraft und der Vollstreckbarkeit zu erzielen, ist die Behebung solcher Mängel nicht Zweck der mit der Zivilverfahrensnovelle 1983 geschaffenen erweiterten Verbesserungsmöglichkeit. Bei einem solchen Missbrauch des Instituts der Verbesserung ist vielmehr die Verbesserung zu verweigern (RIS Justiz RS0036447). Nach der Intention des Gesetzgebers sollen nur jene Personen vor prozessualen Nachteilen geschützt werden, die versehentlich oder in Unkenntnis der gesetzlichen Vorschriften Fehler begehen; ein derartiger Rechtsmissbrauch darf jedoch nur angenommen werden, wenn er notorisch ist oder sich zwingend aus aktenkundigen Umständen ergibt (RIS Justiz RS0036447 [T1]). Auch wenn einer Partei regelmäßig gemäß §§ 84, 85 ZPO die Möglichkeit einzuräumen ist, Formmängel einer Prozesshandlung innerhalb einer vom Gericht zu setzenden Frist zu beheben, gilt dies in jenen Fällen nicht, wo die Partei ihre Eingabe im Bewusstsein ihrer Fehlerhaftigkeit eingebracht hat (RIS Justiz RS0036447 [T7]; RS0036385 [T11]; 1 Ob 94/09v; Kodek in Fasching/Konecny 2 §§ 84, 85 ZPO Rz 45 ff).

2.2. Bei rechtsmissbräuchlicher Inanspruchnahme des Instituts der Verbesserung ist nicht nur kein Verbesserungsauftrag zu erteilen; selbst wenn ein solcher – unzulässigerweise – erteilt wurde, führt dies zu keiner Fristverlängerung (7 Ob 623/92; RIS Justiz RS0110935; Kodek aaO Rz 47).

2.3. Nach ständiger Rechtsprechung bewirkt ein neuerlicher Verfahrenshilfeantrag einer Partei, der bereits die Verfahrenshilfe bewilligt wurde, keine Fristverlängerung (vgl 1 Ob 9/16d). Dieser Rechtsprechung liegt die Erwägung zugrunde, dass mit dem ersten Beschluss über den Verfahrenshilfeantrag bereits über die Gewährung der Verfahrenshilfe entschieden ist; im Fall der Bewilligung der Verfahrenshilfe (auch) durch Beigebung eines Rechtsanwalts ist damit für die Vertretung der betreffenden Partei gesorgt. Bei dieser Sachlage besteht aber für einen neuen Antrag mit neuerlicher Fristunterbrechungswirkung kein Raum.

2.4. Im vorliegenden Fall hat die Erstbeklagte zwar keinen neuerlichen Verfahrenshilfeantrag gestellt, sondern ausdrücklich die „Verbesserung“ ihres Rechtsmittels durch ihren Verfahrenshelfer begehrt. Daraus ergibt sich in einer jeden Zweifel ausschließenden Deutlichkeit, dass der Erstbeklagten das Erfordernis einer formgerechten, von einem Rechtsanwalt unterfertigten Berufung bewusst war. Daher wäre es Sache der Beklagten gewesen, die von ihr angestrebte Einbringung einer Berufung mit ihrem Verfahrenshelfer rechtzeitig abzuklären.

2.5. Wenn das Berufungsgericht das stattdessen von der Beklagten erhobene, bewusst mangelhafte Rechtsmittel als rechtsmissbräuchlich einstufte, weil dieses von vornherein nur den Zweck verfolgte, eine Verlängerung der Rechtsmittelfrist herbeizuführen, ist dies nicht zu beanstanden (vgl RIS Justiz RS0036447; Kodek in Fasching/Konecny 2 §§ 84, 85 ZPO Rz 45 mwN). Damit war im vorliegenden Fall aber kein Verbesserungsauftrag geboten; der vom Erstgericht dennoch erteilte Auftrag zur Verbesserung des mangelhaften Rechtsmittels hatte daher keine Fristverlängerung zur Folge (vgl RIS Justiz RS0110935).

3. Zusammenfassend erweist sich der Beschluss des Berufungsgerichts daher als frei von Rechtsirrtum, sodass dem unbegründeten Rekurs ein Erfolg zu versagen war.

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