11Os92/16p – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 13. September 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Rathgeb als Schriftführerin in der Strafsache gegen Thomas G***** wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 19. April 2016, GZ 22 Hv 20/15d 49, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Thomas G***** des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB schuldig erkannt.
Danach hat er am 22. November 2014 in B***** eine wehrlose Person, nämlich die „aufgrund ihrer Alkoholbeeinträchtigung“ in Schlaf befindliche N***** unter Ausnützung dieses Zustands dadurch missbraucht, dass er mit ihr den Beischlaf vornahm.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen wendet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
Bezugspunkt sowohl der Mängel- (Z 5) als auch der Tatsachenrüge (Z 5a) ist der Ausspruch des Gerichts über entscheidende Tatsachen ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 391) – das sind solche, die für die Unterstellung der Tat unter das Gesetz oder auf die Wahl des anzuwendenden Strafsatzes Einfluss üben (RIS Justiz RS0106268; Ratz , WK StPO § 281 Rz 399).
Kein Teil dieses Ausspruchs sind folgende mit Mängelrüge (Z 5) – jeweils isoliert – bekämpfte Urteilsinhalte:
- die Feststellung, der Angeklagte habe am der Tat vorangegangenen Abend während des Essens in einem Restaurant in Gegenwart mehrerer weiterer Personen mit seiner Hand die Brust der N***** berührt (US 3),
- die im Rahmen der Beweiswürdigung angestellte Erwägung, der Angeklagte habe „im Wesentlichen den gesamten Abend in der Nähe von N*****“ verbracht und „somit ihre schwere Alkoholbeeinträchtigung schon zuvor wahrnehmen“ können (US 9), sowie
- die im Rahmen der Beweiswürdigung angestellte Erwägung, auf das „vorhandene Unrechtsbewusstsein“ des Angeklagten weise auch seine „Rechtfertigung dahingehend, dass sie den Geschlechtsverkehr ja wollte“, gegenüber dem soeben erwachenden Opfer hin, welches ihn eigenen Angaben zufolge (zuerst) „an dessen Stimme erkannt“ habe (US 10).
Das darauf bezogene Rechtsmittelvorbringen geht schon deshalb ins Leere, weil die genannten Tatumstände weder entscheidend sind noch die Tatrichter darin erkennbar eine notwendige Bedingung für ihre Feststellungen zu einer entscheidenden Tatsache erblickten ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 410; vgl die Urteilserwägungen zum subjektiven Handlungselement in US 9 und 14).
Die Feststellung, wonach sich N***** in einem tiefen Schlaf befand, als der Angeklagte mit seinem Penis in ihre Scheide eindrang (US 4), erschloss das Erstgericht – entgegen dem Vorwurf offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) – willkürfrei aus den von ihm als glaubhaft erachteten Angaben des Opfers, erst erwacht zu sein, als der Angeklagte bereits „vaginal in sie eingedrungen war“, im Zusammenhalt (insbesondere) mit den Aussagen der Zeugen Denis O***** und Marijana J*****, wonach die augenscheinlich schwer alkoholisierte N***** schon im Bett gelegen sei und keine Reaktion gezeigt habe, als der Angeklagte ihr Hotelzimmer betreten habe (US 8 f).
Ob der Alkoholisierungs grad der N***** zur Tatzeit es dieser noch erlaubt hätte, „zielgerichtete Handlungen und zielgerichtete Körperbewegungen durchzuführen“, ist – mit Blick auf ihren ohnedies festgestellten Schlaf zustand (vgl Philipp in WK 2 StGB § 205 Rz 7) – weder entscheidend noch erheblich (zu den Begriffen Ratz , WK StPO § 281 Rz 399 und 409). Dafür sprechende Beweisergebnisse bedurften daher – dem Einwand der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zuwider – keiner Erörterung in den Urteilsgründen.
Entgegen dem weiteren Beschwerdevorbringen (der Sache nach Z 5 dritter Fall) ist die Urteilsprämisse, N***** sei zur Tatzeit „schwerst alkoholisiert“ gewesen (US 4 f), mit der tatrichterlichen Überzeugung von der Glaubhaftigkeit ihrer Schilderung des in diesem Zustand Erlebten (insbesondere US 9 bis 11) nach den Denkgesetzen keineswegs unvereinbar (vgl Ratz , WK-StPO § 281 Rz 439).
Wesen und Ziel der Tatsachenrüge (Z 5a) ist es, anhand aktenkundiger Umstände unter Beachtung sämtlicher Verfahrensergebnisse erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen aufzuzeigen (RIS-Justiz RS0117961 [T7]).
Soweit der Beschwerdeführer unter diesem Nichtigkeitsgrund auf seine Ausführungen zur Mängelrüge verweist („um Wiederholungen zu vermeiden“), verkennt er die Verschiedenheit der Anfechtungskalküle (RIS-Justiz RS0115902).
Sein weiteres Vorbringen beschränkt sich darauf, unter Wiedergabe bestimmter – ihm als „absolut unglaubwürdig“, „völlig unmöglich“ oder „widerlegt“ erscheinender – Depositionen der tatbetroffenen Zeugin zu verschiedenen, ausnahmslos keinen entscheidenden Aspekt betreffenden Umständen (etwa dazu, ob sie bei anderen Gelegenheiten „intimere Kontakte zu männlichen Personen“ geknüpft habe, zur „sexuellen Annäherung im Restaurant“ sowie dazu, ob sie den Angeklagten „an dessen Stimme erkannt“ und ob dieser „ein Kondom benutzt“ habe) die vom Erstgericht bejahte Überzeugungskraft der Aussage des Opfers zu bezweifeln. Damit macht er Bedenken im dargestellten Sinne gar nicht geltend, sondern bekämpft bloß die tatrichterliche Beweiswürdigung nach Art einer – im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen – Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld (RIS Justiz RS0099649 [insbesondere T10, T11]; RS0106588 [insbesondere T9]).
Gleiches gilt, soweit der Beschwerdeführer das im Lauf des Hauptverfahrens abgeänderte Kalkül des zur Frage des Vorliegens und des Ausmaßes krankheitswertiger psychischer Tatfolgen beigezogenen medizinischen Sachverständigen referiert und dessen – rechtlich korrekter (§ 258 Abs 2 StPO) – Formulierung, die „Angaben der Betroffenen“ seien „vom hohen Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung zu bewerten“ (ON 41 S 23), einen darüber hinausgehenden Bedeutungsinhalt unterlegt wissen will („deutet […] eindeutig darauf hin, dass auch der Sachverständige selbst […] stark an der Glaubwürdigkeit der Aussagen der N***** zweifelt“).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufungen folgt (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.