JudikaturOGH

11Os82/16t – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. September 2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. September 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Rathgeb als Schriftführerin in der Strafsache gegen Rasid L***** wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall aF StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 25. April 2016, GZ 163 Hv 6/16x 362, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte Rasid L***** vom Anklagevorwurf gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen, er habe als Mitglied einer kriminellen Vereinigung unter Mitwirkung (§ 12 StGB) anderer Mitglieder dieser Vereinigung im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Artjom Z*****, Roman G***** und Artur P***** am 6. März 2009 in W***** unter Verwendung einer Waffe durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) Gewahrsamsträgern der S***** Group (Uhren und Juwelen) fremde bewegliche Sachen, und zwar 56 Uhren, einen Ring und ein Ohrgehänge im Gesamtwert von 1.786.935 Euro mit dem Vorsatz weggenommen, durch deren Zueignung sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, indem sie die Angestellten Iris S***** und Christian K***** mit einer Gaspistole Marke Firad Kompakt, Kaliber 9 mm, P.A., und einer weiteren nicht näher feststellbaren Waffe bedrohten, Christian K***** zum Öffnen der Vitrine aufforderten, und die Wertgegenstände entnahmen.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft.

Die Beschwerdeführerin reklamiert Unvollständigkeit der Begründung (Z 5 zweiter Fall). Das Gericht habe unerwähnt gelassen, dass der Reisepass des Angeklagten erst am 22. November 20 10 als – am selben Tag – gestohlen gemeldet im EKIS/Sachenfahndung aufscheine, der Angeklagte den Verlust des Reisepasses bis zu diesem Zeitpunkt nicht behauptet und der als Zeuge vernommene ermittelnde Polizeibeamte gestützt auf seine polizeiliche Erfahrung ausgeführt habe, dass bei der Überprüfung der Insassen eines wertvollen Autos, in dem sich eine im Polizeisystem wegen einer verdeckten Ermittlung aufscheinende Person befinde, deren Personaldokumente besonders genau kontrolliert werden.

Weiters habe das Gericht die Expertise des Sachverständigen für Vermessungswesen nicht gewürdigt, wonach eine Person im Tagesverlauf um bis zu 2 cm kleiner werde und die Messung des Angeklagten im Rahmen der Befundaufnahme vormittags stattgefunden habe, sodass es „denkbar und sogar wahrscheinlich“ sei, dass der Angeklagte zur abendlichen Tatzeit um bis zu 2 cm kleiner gewesen sei und demzufolge als Täter in Frage komme.

Bei Berücksichtigung der angeführten Beweisergebnisse und bei „rechtsrichtiger Würdigung“ der Aussagen der bereits verurteilten Mitangeklagten, die die Täterschaft des Angeklagten nicht sicher ausgeschlossen hätten, wäre ein Schuldspruch des Angeklagten indiziert.

Unvollständig im Sinn des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes ist ein Urteil, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse unberücksichtigt gelassen hat. Dabei ist es dem Gebot zu gedrängter Darstellung in den Entscheidungsgründen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) folgend nicht verpflichtet, den vollständigen Inhalt sämtlicher Aussagen und sämtlicher Verfahrensergebnisse im Einzelnen darauf zu untersuchen, wie weit sie für oder gegen diese oder jene Geschehensvariante sprechen (RIS Justiz RS0106642; Ratz , WK StPO § 281 Rz 421, 428). Den Feststellungen nicht entgegenstehende Beweisergebnisse sind nicht erörterungsbedürftig.

Zur Frage des bei einer Polizeikontrolle in Deutschland verwendeten Reisepasses führte das Gericht aus, dass die sich als Rasid L***** ausgebende Person einen gefälschten oder den echten Reisepass des Angeklagten gebraucht haben könne (US 5). Dem steht der behauptete Verlust des Reisepasses am 22. November 2010 nicht entgegen. Dass eine allfällige Fälschung bei der Kontrolle zwingend entdeckt werden musste, folgt aus der Aussage des vernommenen Polizeibeamten nicht. Im Übrigen sind nur sinnliche Wahrnehmungen, nicht aber Schlussfolgerungen oder Meinungen – wie die „polizeiliche Erfahrung“ – Thema des Zeugenbeweises (RIS Justiz RS0097540, RS0097545; Ratz , WK StPO § 281 Rz 352). Der am 22. November 2010 angezeigte Verlust des Reisepasses war daher ebenso wenig erörterungsbedürftig wie die spekulativen Erwägungen des in Österreich ermittelnden Zeugen über die Durchführung der Personenkontrolle in Deutschland.

Mit der Expertise des Sachverständigen für Vermessungswesen hat sich das Gericht beweiswürdigend umfänglich auseinandergesetzt (US 9 f) und seine Schlüsse gezogen. Dass es dabei nicht konkret auf mögliche, ohnedies bloß spekulativ anzunehmende Größenveränderungen im Tagesverlauf eingegangen ist, führt nicht zur Urteilsnichtigkeit, zumal im Übrigen – wie der Sachverständige ausführte (ON 360 S 15 f) – eine solche Veränderung die erhobene Größenrelation zur Zeugin S***** nicht berührt, abhängig von den – jedoch nicht bekannten – Tagesaktivitäten ist und nur eine „Daumenregel“ darstelle, darüber aber keine medizinische Aussage möglich sei.

Dass dem Gericht die leugnende Verantwortung des Angeklagten durch die Aussagen der Mitangeklagten nicht widerlegbar erschien (US 5), ist als beweiswürdigende Schlussfolgerung aus den angesprochenen Beweismitteln im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht bekämpfbar.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

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