15Os55/16a – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 27. Juni 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski und Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Janisch als Schriftführerin im Verfahren zur Unterbringung des Michael C***** in einer Anstalt nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 24. Februar 2016, GZ 37 Hv 139/15y 40, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Michael C***** gemäß § 21 Abs 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen, weil er am 7. November 2015 in S***** unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades beruhte, nämlich einer paranoiden Schizophrenie,
1. die Polizeibeamtin Tanja P***** durch gefährliche Drohung mit zumindest einer Körperverletzung an einer Amtshandlung, nämlich der Identitätsfeststellung gehindert hat, indem er zu ihr sagte „Greif mich nicht an, sonst bringe ich dich um“,
2. die Polizeibeamtin Sandra K***** vorsätzlich am Körper verletzt hat, indem er ihr einen Faustschlag gegen den Oberarm versetzte, wodurch sie ein Hämatom erlitt,
3. den Polizeibeamten Elmar H***** mit Gewalt, nämlich indem er diesem einen Schlag auf den Rücken versetzte, an einer Amtshandlung, nämlich seiner Verbringung in den Streifenwagen, zu hindern versucht hat,
4. den Polizeibeamten Elmar H***** durch Versetzen eines Schlags gegen den Rücken vorsätzlich am Körper zu verletzen versucht hat,
sohin Taten begangen hat, die als Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach § 269 Abs 1 erster Fall StGB (1.) und nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB (3.) sowie als Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB (2.) und nach §§ 15, 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB (4.) jeweils mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht sind.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die nominell auf Z 5 und 9 lit a und lit b des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen. Sie verfehlt ihr Ziel.
Die Mängelrüge (Z 5) bekämpft die Feststellungen des Erstgerichts zur subjektiven Tatseite, insbesondere „zur Frage, ob der Betroffene die einschreitenden Personen überhaupt als Polizeibeamte und als Amtshandelnde zu diesem Zeitpunkt erkannte“.
Entgegen der Beschwerdekritik (Z 5 dritter Fall) stehen die dies bejahenden Konstatierungen der Tatrichter (US 4) sowie die Urteilsannahme, dass es ihm zu 1.) darauf ankam, die einschreitende Beamtin durch Drohung zumindest mit einer Körperverletzung in Furcht und Unruhe zu versetzen und hiedurch an der beabsichtigten Amtshandlung zu hindern (US 4), in keinem Widerspruch zu den weiteren Feststellungen, wonach der Betroffene zunächst (auf die Aufforderung der Beamtinnen) nicht reagierte und ohne Ausweisleistung weiterging und dann völlig unvermittelt die Beamtin P***** ansprach (gleichfalls US 4; zum dritten Fall der Z 5 vgl RIS Justiz RS0117402).
Indem der Beschwerdeführer unter Anführung verschiedener Sachverhaltselemente das Verhalten des Betroffenen bloß anders deutet („ist eher anzunehmen, dass der Betroffene nicht ansatzweise durchschaute und wahrnahm, worum es überhaupt ging“, „deutet diese Äußerung nach allgemeiner Lebenserfahrung darauf hin, ...“), bekämpft er lediglich die Beweiswürdigung des Erstgerichts nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Berufung wegen Schuld, ohne jedoch einen formellen Begründungsmangel aufzeigen zu können.
Dass die Tatrichter aus den Aussagen der Zeugen K*****, H***** und Ko***** andere Schlüsse hinsichtlich der subjektiven Tatseite des Betroffenen zogen als die vom Beschwerdeführer gewünschten (US 7), stellt den Nichtigkeitsgrund nicht dar (RIS Justiz RS0098400).
Zu 3.) und 4.) liegen dem Betroffenen nur jeweils der Versuch eines Widerstands gegen die Staatsgewalt und einer Körperverletzung zur Last; weshalb die diesbezüglichen Feststellungen aufgrund des Umstands, dass der Beamte H***** keine Verletzung erlitt, „unrichtig bzw nichtig“ sein sollten, wird aus dem Beschwerdevorbringen nicht klar. Dass es sich zu 4.) um einen „wuchtigen Schlag“ handelte, haben die Tatrichter – logisch und empirisch mängelfrei – auf die Aussagen der Zeugen K***** und H***** gestützt (US 6; ON 39 S 7 und 9).
Mit dem Hinweis auf die Verantwortung des Angeklagten in der Hauptverhandlung, er bedaure den Vorfall und werde keine derartige Tathandlungen mehr setzen (ON 39 S 3 ff), und die Ausführung des psychiatrischen Sachverständigen, der Betroffene sei am Tag der Hauptverhandlung „eher im besseren Zustand“ (ON 39 S 13; [„hat er jedoch nach wie vor keine Krankheitseinsicht“]) trachtet die Beschwerde die Gefährlichkeitsprognose in Zweifel zu ziehen (der Sache nach Z 11 iVm Z 5), vermag damit aber keine Nichtigkeit der Ermessensentscheidung darzustellen (zum Gegenstand der Nichtigkeitsbeschwerde bei vorbeugenden Maßnahmen vgl RIS Justiz RS0118581, RS0113980). Auf den maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der Fällung des Urteils erster Instanz hat das Erstgericht im Übrigen ausdrücklich Bezug genommen (US 7).
Gegenstand der Rechtsrüge ist ausschließlich der Vergleich des zur Anwendung gebrachten materiellen Rechts, einschließlich prozessualer Verfolgungsvoraussetzungen, mit dem festgestellten Sachverhalt. Die gesetzmäßige Ausführung eines materiell rechtlichen Nichtigkeitsgrundes hat daher das Festhalten am gesamten im Urteil festgestellten Sachverhalt, dessen Vergleich mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und die Behauptung, dass das Erstgericht bei Beurteilung dieses Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen ist, zur Voraussetzung (RIS Justiz RS0099810).
Soweit die Rechtsrüge (Z 9 lit a und lit b) zu 1.) von einer aus der Sicht des Betroffenen berechtigten Notwehrhandlung gegen einen bevorstehenden Angriff bzw von einer bloß „verbalen Abschreckung“ ohne Drohung ausgeht, hält sie nicht an den gegenteiligen Konstatierungen des Erstgerichts fest (US 4 f, 8) und verfehlt so die gebotene Orientierung an der Verfahrensordnung.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
D a das Erkenntnis – der Sache nach – aber auch aus Z 11 des § 281 Abs 1 StPO bekämpft wurde, waren gemäß § 290 Abs 1 letzter Satz StPO die Akten dem Oberlandesgericht zur Erledigung der – somit implizit erhobenen – Berufung weiterzuleiten (§ 285i StPO; 11 Os 29/12t; Ratz , WK StPO § 290 Rz 28).