JudikaturOGH

7Ob60/16y – OGH Entscheidung

Entscheidung
15. Juni 2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K*****, vertreten durch Dr. Bernhard Fink und andere, Rechtsanwälte in Klagenfurt am Wörthersee, gegen die beklagten Parteien 1. L***** K*****, vertreten durch Gheneff Rami Sommer Rechtsanwälte OG in Klagenfurt am Wörthersee, 2. R***** GmbH, *****, vertreten durch F/A/M Frimmel Anetter Maiditsch und Partner Rechtsanwälte GmbH in Klagenfurt am Wörthersee, wegen 51.879,62 EUR sA und Feststellung, infolge des Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Rekursgericht vom 12. Februar 2016, GZ 2 R 15/16t 55, womit der Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt vom 2. Dezember 2015, GZ 26 Cg 89/11a 49, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird im Umfang der von der klagenden Partei geltend gemachten Ansprüche in Ansehung der Geschädigten H***** B*****, F***** N***** K*****, V***** I***** G*****, K***** A***** und S***** T***** Folge gegeben.

Die Entscheidung des Rekursgerichts wird dahin abgeändert, dass insoweit der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die erstbeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 3.385,78 EUR (darin enthalten 564,30 EUR an USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Am 12. Juni 2008 kam es in einem Flüchtlingsheim zu einem Brand, bei dem mehrere in diesem Heim Untergebrachte am Körper verletzt wurden.

Die Klägerin begehrt in Ansehung der Geschädigten H***** B***** (4.424,39 EUR), S***** B***** (464,15 EUR), F***** N***** K***** (14.419,95 EUR), V***** I***** G***** (6.331,75 EUR), K***** A***** (20.833,99 EUR), W***** P***** (180,51 EUR), S***** S***** (173,49 EUR), D***** K***** (484,49 EUR), S***** T***** (2.200,99 EUR), P***** O***** (484,19 EUR), T***** A***** (176,57 EUR), L***** K***** E***** (245,29 EUR), B***** L***** (245,29 EUR), B***** J***** (484,49 EUR), N***** I***** (249,29 EUR), S***** D***** (484,49 EUR), insgesamt 51.879,62 EUR.

Die Schadenersatzansprüche dieser Personen seien gegenüber den Beklagten im Wege der Legalzession des § 332 ASVG im Rahmen der von der Klägerin erbrachten Leistungen auf diese übergegangen. Darüber hinaus sei davon auszugehen, dass bei den Versicherten H***** B*****, F***** N***** K*****, V***** I***** G*****, K***** A***** und S***** T***** aufgrund der erlittenen Verletzungen Dauerfolgen vorhanden seien, weshalb die Abgeltung weiterer Ansprüche aus den Leistungen aus der Krankenversicherung seitens der Klägerin nicht auszuschließen sei. Sie habe daher ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Haftung der Beklagten. Der mangelhafte Zustand des Heims, für den die beiden Beklagten der Klägerin zur ungeteilten Hand hafteten, sei die Ursache der Schäden gewesen.

Die Beklagten beantragten die Abweisung der Klage.

Mit Schriftsatz vom 5. Jänner 2015 verkündete die Zweitbeklagte der Erstbeklagten den Streit. Für den Fall ihrer Verurteilung würden ihr gegenüber der Erstbeklagten Regressansprüche zustehen. Sie habe aufgrund eines von dieser durchgeführten Ausschreibungsverfahrens den Zuschlag für das Betreiben des Flüchtlingsheims erhalten. Sollten Fehler in der Ausschreibung vorhanden sein, stehe der Zweitbeklagten ein Regressanspruch zu.

In ihrem Schriftsatz vom 8. Jänner 2015 erklärte die Erstbeklagte ihren Beitritt als Nebenintervenientin. Sie gehe rechtlich davon aus, dass Gründe und Voraussetzungen für eine Streitverkündung und umso mehr für eine Nebenintervention nicht gegeben seien. Sie betone, den Nebeninterventionsbeitritt nur deshalb gewählt zu haben, um aufgrund der bis dato zu den vorliegenden Problemen fehlenden Rechtsprechung keine Rechtsnachteile zu erleiden. Sie gehe ohnedies davon aus, dass beide Beklagten obsiegen. Für den Fall der Verurteilung der Zweitbeklagten bestünden jedoch keine Regressansprüche gegenüber der Erstbeklagten. Das rechtliche Interesse der Erstbeklagten iSd § 17 Abs 1 ZPO liege darin, dass die Zweitbeklagte – wenn auch sach- und rechtswidrig – behaupte, allfällige Regressansprüche gegen die Erstbeklagte zu haben.

Die Klägerin beantragte die Zurückweisung der Nebenintervention. Die Erstbeklagte sei bereits unmittelbar als Beklagte am Verfahren beteiligt und in der Lage sämtliche rechtsvernichtenden bzw rechtshemmenden Einwendungen zu erheben. Das rechtliche Interesse an der Nebenintervention sei daher nicht gegeben. Allfällige Regressansprüche zwischen den beiden Beklagten müssten in einem eigenen Verfahren geklärt werden. In einem solchen Verfahren stünden der Erstbeklagten sämtliche Einwendungen nach wie vor zu.

Das Erstgericht wies die Nebenintervention der Erstbeklagten zurück. Eine Person könne in demselben anhängigen Rechtsstreit nicht gleichzeitig Partei und Nebenintervenient sein.

Den dagegen erhobenen Rekurs der Zweitbeklagten wies das Rekursgericht zurück. Dem Rekurs der Erstbeklagten gab es Folge. Erst und Zweitbeklagte seien als Streitgenossen im Verhältnis zur Klägerin in diesem Zivilprozess derart selbstständig, dass die Handlungen oder Unterlassungen des einen Streitgenossen dem anderen weder zum Vorteil noch zum Nachteil gereichen. Jeder der beiden Streitgenossen sei so zu betrachten, als führe er für sich allein den Prozess. Aufgrund dieser Selbstständigkeit der beiden Prozesse könne jeder Streitgenosse dem Rechtsstreit des anderen als Nebenintervenient beitreten, sofern er ein rechtliches Interesse an dessen Obsiegen habe, wodurch er wie jeder andere Nebenintervenient für den anderen Streitgenossen unter Beachtung der jeden Nebenintervenienten treffenden Beschränkungen wirksame Prozesshandlungen setzen, insbesondere Rechtsmittel ergreifen könne. Die Erstbeklagte argumentiere als Beitrittswerberin zutreffend, dass sie als bloße Streitgenossin, die in erster Instanz obsiege, wenn die Zweitbeklagte in erster Instanz unterliege, für die Zweitbeklagte keine Berufung erheben dürfe, während sie als einfache Nebenintervenientin mit einer erfolgreichen Berufung, die sie für die Zweitbeklagte einbringe (wodurch letztlich beide Beklagte obsiegen), einen Solidarschuldnerregress nach § 896 ABGB vermeiden könnte, weil in diesem Fall gar keine Solidarschuld bestehe. Die Erstbeklagte habe daher ein rechtliches Interesse, dass die von der Klägerin als Solidarschuldnerin in diesem Zivilprozess in Anspruch genommene Zweitbeklagte obsiege.

Im Zwischenverfahren über den Zurückweisungsantrag sei nur die Nebenintervenientin und die Klägerin beteiligt, die die Zurückweisung der Nebenintervention beantragt habe. Der zum Beitritt auffordernden und von der Nebenintervenientin unterstützten Zweitbeklagten komme hingegen kein Rekursrecht zu.

Das Rekursgericht sprach aus, dass die von der Lehre einhellig bejahte Rechtsfrage, ob ein einfacher Streitgenosse gleichzeitig einfacher Nebenintervenient sein könne, in der oberstgerichtlichen Rechtsprechung bisher noch nicht beantwortet worden sei, weshalb der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Revisionsrekurs der Klägerin mit einem Abänderungsantrag. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Erstbeklagte begehrt, den Revisionsrekurs zurückzuweisen; hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Der Revisionsrekurs wurde im Umfang der Geltendmachung der Ansprüche der Geschädigten S***** B*****, W***** P*****, S***** S*****, D***** K*****, P***** O*****, T***** A*****, L***** K***** E*****, B***** L*****, B***** J*****, N***** I***** und S***** D***** vom Obersten Gerichtshof mit Beschluss vom 27. April 2016, 7 Ob 60/16y, als jedenfalls unzulässig zurückgewiesen.

Rechtliche Beurteilung

Im Übrigen, sohin hinsichtlich der Geltendmachung der Ansprüche in Ansehung der Geschädigten H***** B*****, F***** N***** K*****, V***** I***** G*****, K***** A***** und S***** T***** ist der Revisionsrekurs zulässig, er ist auch berechtigt.

1. Die vom Rekursgericht aufgezeigte erhebliche Rechtsfrage stellt sich nicht. Ihre Beantwortung kann dahingestellt bleiben.

2. Bei der Beurteilung, ob die Nebenintervention zulässig ist, ist kein strenger Maßstab anzulegen. Es genügt, dass der Rechtsstreit die Rechtssphäre des Nebenintervenienten berührt (RIS Justiz RS0035638) und sich daraus ein rechtlich begründeter Anlass ergibt, das Obsiegen einer Partei herbeizuführen (RIS Justiz RS0035638 [T5]). Das rechtliche Interesse besteht, wenn die Entscheidung sich nicht nur wirtschaftlich, sondern zumindest mittelbar auf die rechtlichen Verhältnisse des Nebenintervenienten günstig oder ungünstig auswirkt. Das rechtliche Interesse muss konkret sein und kann besonders im Fall drohender Regressnahme in einem Folgeverfahren bei Prozessverlust der streitverkündenden Partei im Hauptprozess zu bejahen sein (RIS Justiz RS0106173 [T2]). Es reicht aus, wenn der zu befürchtende Rückgriff plausibel, wenngleich nicht in allen Einzelheiten dargestellt wird (RIS Justiz RS0106173 [T7]). Nicht die widersprechende Gegenpartei, sondern der Nebenintervenient hat infolge des Zurückweisungsantrags sein rechtliches Interesse zu konkretisieren und zu bescheinigen. Die Zulässigkeit der Nebenintervention darf nicht aus anderen als den vom Nebenintervenienten vorgebrachten Tatsachen abgeleitet werden (RIS Justiz RS0035678). Die Schlüssigkeit des behaupteten Interventionsinteresses gehört zu den formellen Beitrittsvoraussetzungen. Eine insofern unschlüssige Nebenintervention führt zu deren Zurückweisung im Rahmen der gerichtlichen Vorprüfung (RIS Justiz RS0111787).

3. Die Zweitbeklagte führt in ihrer Streitverkündung lediglich aus, dass sie aufgrund eines Ausschreibungsverfahrens der Erstbeklagten den Zuschlag für das Betreiben des Flüchtlingsheims erhalten habe; sollten Fehler in der Ausschreibung geschehen sein, stünden ihr Regressansprüche zu.

3.1 Die Klägerin nimmt die Beklagten nach § 1301 ABGB (Mehrheit von Tätern) solidarisch in Anspruch. Die mangelhafte Durchführung des Vergabeverfahrens hat auch schon die Klägerin als die Haftung der Erstbeklagten begründend herangezogen.

3.2 Werden die Beklagten der Klage entsprechend als Gesamtschuldner zum Schadenersatz verpflichtet, so geht es in einem zwischen ihnen geführten Regressverfahren ausschließlich um Art und Ausmaß des Rückgriffsanspruchs. Um diesen internen Ausgleich geht es im Verfahren des Geschädigten gegen die Solidarschuldner aber gerade nicht (RIS Justiz RS0026678).

3.3 Die Frage nach dem rechtlichen Interesse der Erstbeklagten am Obsiegen der Zweitbeklagten könnte sich daher nur für den Fall stellen, dass die Klage gegenüber der Erstbeklagten abgewiesen würde, weil ihre Haftung wegen der auch von der Klägerin haftungsbegründend herangezogenen mangelhaften Ausschreibung und damit das Bestehen einer Solidarschuld verneint, die Haftung der Zweitbeklagten aber bejaht würde. Hier bleibt aber völlig offen, woraus die Zweitbeklagte ihren Regressanspruch gegenüber der Erstbeklagten ableiten möchte.

3.4 Zusammengefasst lassen die rudimentären Ausführungen der Zweitbeklagten ohne weiteres Vorbringen einen Rückgriff gegenüber der Erstbeklagten im Falle ihres alleinigen Unterliegens nicht plausibel erscheinen.

4. Die Erstbeklagte geht in ihrem Beitrittsschriftsatz zwar von der Unzulässigkeit der Nebenintervention aus, erklärt ihren Beitritt aber aus Vorsicht. Einen Regressanspruch der Zweitbeklagten ihr gegenüber schließt sie aus, womit sie ihre Befürchtung eines Rückgriffs gleichfalls nicht nachvollziehbar zur Darstellung bringt. Damit hat die Erstbeklagte ihr rechtliches Interesse am (ausschließlichen) Obsiegen der Zweitbeklagten auch nicht weiter konkretisiert.

5. Soweit das Rekursgericht das rechtliche Interesse der Erstbeklagten am Obsiegen der Zweitbeklagten mit der Möglichkeit des einfachen Nebenintervenienten, Berufung für die Zweitbeklagte einzubringen, bejaht, übersieht es, dass dieser Umstand nicht das Interesse am Beitritt zu begründen vermag, sondern erst Folge des wegen Dartuung eines rechtlichen Interesses erfolgreichen Beitritts ist.

6. Die Nebenintervention der Erstbeklagten war daher bereits wegen der fehlenden Dartuung ihres rechtlichen Interesses am Obsiegen der Zweitbeklagten zurückzuweisen, ohne dass die Frage geklärt werden müsste, ob ein Streitgenosse dem Verfahren auch als Nebenintervenient beitreten kann.

7. Dem Revisionsrekurs – soweit noch unerledigt – war daher Folge zu geben und insoweit die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens gründet sich auf die §§ 43 Abs 1, 50 ZPO. Die Klägerin obsiegte im Ausmaß von 93 %. Im Zwischenstreit über seine Zulassung ist der unterliegende Nebenintervenient – hier die Erstbeklagte – kostenersatzpflichtig (RIS Justiz RS0035436), sodass sie der Klägerin 86 % ihrer Kosten zu ersetzen hat.

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