14Os33/16h – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 24. Mai 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart des Richters Mag. Einberger als Schriftführer in der Strafsache gegen Peter B***** wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom 13. Jänner 2016, GZ 20 Hv 26/15k 66, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Peter B***** des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB (I./) und mehrerer Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (II./) schuldig erkannt.
Danach hat er in St. L***** Natalie M*****
I./ im November 2013 „als sie schlief und anschließend schlaftrunken war“, sohin eine wehrlose Person unter Ausnützung dieses Zustands dadurch missbraucht, dass er einen Finger in ihre Vagina einführte, somit eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung an ihr vornahm, wobei die Tat eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB), nämlich eine posttraumatische Belastungsstörung, zur Folge hatte;
II./ von 8. März 2014 bis April 2015 in zumindest fünf Angriffen mit Gewalt zur Vornahme des Beischlafs genötigt, indem er sie an den Oberarmen packte und niederdrückte und mit seinem Penis in ihre Vagina eindrang.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen aus den Gründen der Z 5 und 11 des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel.
Mit der Behauptung, der psychologische Sachverständige habe in seinem schriftlichen Gutachten bei der Beantwortung der Frage der Kausalität des dem Angeklagten zur Last gelegten Verhaltens für die posttraumatische Belastungsstörung des Opfers die Beweisergebnisse der Hauptverhandlung nicht berücksichtigen können, wird eine Unvollständigkeit der Urteils (Z 5 zweiter Fall) nicht dargetan, zumal diese nur vorliegt, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene (§ 258 Abs 1 StPO) Verfahrensergebnisse unberücksichtigt ließ (RIS Justiz RS0118316).
Soweit die Beschwerde unter Hinweis auf die schwierige Familiensituation des Opfers, seine Probleme in der Berufsschule, das Tätigwerden der Jugendhilfe und die Formulierung des schriftlich erstatteten Sachverständigengutachtens vermeint, es könne „keinesfalls mit der ausreichenden Sicherheit gesagt werden“, dass die posttraumatische Belastungsstörung („alleine und in dieser Form“) auf ein Verhalten des Angeklagten zurückzuführen sei, kritisiert sie die tatrichterliche Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Schuldberufung.
Der Rüge zuwider hat das Erstgericht den Schuldspruch nicht ausschließlich auf die Angaben des Opfers, sondern insbesondere auch auf jene der Zeugen Marco H*****, Bettina Z***** und Julia Ho***** gestützt (US 15) und die leugnende Verantwortung des Angeklagten mit eingehender Begründung (US 14 f, 20) als unglaubwürdig verworfen.
Weshalb die im Widerspruch zur Aussage der Zeugin Bettina Z***** stehenden Angaben der Zeugin Natalie M*****, der genannten Freundin vom Vorfall im November 2013 nichts erzählt zu haben, d en für die Schuldfrage entscheidenden Feststellungen
erörterungsbedürftig entgegenstehen sollen (Z 5 zweiter Fall), macht die Beschwerde nicht klar
(RIS Justiz
RS0106268) .
Soweit der Beschwerdeführer die vom Schöffengericht angenommene (US 15 f) Glaubwürdigkeit der Zeugin Bettina Z***** anhand behaupteter Widersprüche in deren Aussage in Zweifel zieht, auf seine eigene Verantwortung und sein gutes Verhältnis zum Opfer hinweist und es ihm „unglaubwürdig“ erscheint, dass trotz beengter Wohnverhältnisse niemand die vorgeworfenen Taten bemerkt habe, übt er in unzulässiger Form Beweiswürdigungskritik und vernachlässigt, dass das Rechtsmittelgericht unter dem Aspekt der Unvollständigkeit nicht in die Bewertung der vom Erstgericht berücksichtigten Verfahrensergebnisse (die Beweiswürdigung), sondern nur in die Auswahl des für diese Bewertung heranzuziehenden Beweismaterials eingreift ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 421).
Die einen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB) reklamierende
Sanktionsrüge (Z 11 zweiter Fall) übersieht, dass die vom Erstgericht bei der Strafzumessung berücksichtigten „Folgen für das Opfer, die (…) über die Qualifikation einer schweren Körperverletzung“ (ersichtlich gemeint:) in Form einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung hinausgehen, weil die posttraumatische Belastungsstörung im September 2015 noch nicht abgeklungen war (US 24), nicht die Strafdrohung des § 205 Abs 3 StGB bestimmen, deren Anwendung (unter anderem) nur das Vorliegen einer schweren Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB), nicht aber eine mehrere Jahre andauernde Gesundheitsschädigung voraussetzt ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 711).
Mit der Behauptung, das Urteil verstoße „gegen das Doppelbelastungsverbot“, weil das Erstgericht sowohl „das Zusammentreffen eines Verbrechens nach § 205 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB mit fünf Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB“ als auch den „langen Deliktszeitraum von November 2013 bis April 2015“ aggravierend gewertet hat (US 24), wird Nichtigkeit aus Z 11 zweiter oder dritter Fall nicht aufgezeigt, sondern lediglich ein Berufungsvorbringen erstattet (vgl RIS Justiz RS0116878). Im Übrigen handelt es sich bei den in § 33 Abs 1 Z 1 StGB genannten Umständen um eigenständige Erschwerungsgründe, die unterschiedliche Kriterien gesteigerter Schuld aufzeigen
(vgl RIS Justiz
RS0091200; Ebner in WK² StGB § 33 Rz 4).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).
Die Kostenersatzpflicht beruht auf § 390a Abs 1 StPO.