11Os161/15h – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Februar 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Margreiter, LL.B., als Schriftführerin in der Strafsache gegen Gerald P***** wegen Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 14. September 2015, GZ 84 Hv 21/15w 160, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil, das weiters einen unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen Freispruch (zu Unrecht auch von der rechtlichen Kategorie; Lendl in WK StPO § 259 Rz 1) von weiteren einschlägigen Vorwürfen enthält, wurde Gerald P***** der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (I./) und der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 2 Z 3 StGB (II./) schuldig erkannt.
Danach hat er im Sommer 2012 in W*****
I./ Sandra M***** mit Gewalt und durch Entziehung der persönlichen Freiheit, indem er sie in einen Aufenthaltsraum führte und diesen von innen versperrte,
1./ zur Vornahme des Oralverkehrs bis zur Ejakulation in den Mund genötigt, nachdem er ihre nackte Brust mit der Zunge berührte, ihre Hand zu seinem Penis führte und die Frau gegen ihren Widerstand fest nach unten drückte;
2./ zur Duldung des Beischlafs genötigt, indem er sie entkleidete, sich auf sie legte, versuchte, vaginal in sie einzudringen, sie danach vom Sofa hochzog, umdrehte und ihren Oberkörper nach vorn drückte und von hinten vaginal in sie eindrang;
II./ als Justizwachebeamter der JA ***** mit einer Person, die seiner amtlichen Obhut anvertraut ist, nämlich der Strafgefangenen M***** unter Ausnützung seiner Stellung dieser Person gegenüber die zu I./ genannten Handlungen an sich vornehmen lassen und vorgenommen.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurden in Ansehung der vom Erstgericht geladenen, bei der Hauptverhandlung aber nicht erschienenen Zeugin Kerstin G***** Verteidigungsrechte nicht verletzt. Dem Antrag wurde nämlich de facto stattgegeben (ON 159 S 26), die Verfügung aber nicht (vollständig) effektuiert, wobei eine Stellungnahme der (entschuldigten) Zeugin (ON 158) zur Verlesung gelangte. Der Mangel liegt daher, anders als Z 4 verlangt, nicht in dem über diesen Antrag gefassten Beschluss, zumal das Verhalten des Gerichts keine Täuschung des Antragstellers bewirkte. Somit hätte der aus dem Beschluss Berechtigte auch dessen Umsetzung verlangen müssen, um gegen die Entscheidung über dieses Begehren zur Anfechtung berechtigt zu sein (RIS Justiz RS0117404; Ratz in WK StPO § 281 Rz 317).
Im Übrigen konnte der Antrag auf Vernehmung dieser Zeugin mit der Begründung, „dass das die Beamtin ist, die tatsächlich die Auswahl vornimmt, und der Angeklagte keinen Einfluss darauf hatte“ (ON 147 S 3), sanktionslos abgewiesen werden, weil er nicht darlegte, inwieweit er für die Schuld und Subsumtionsfrage von Bedeutung sein sollte (RIS Justiz RS0118444). Der erneute Antrag auf Vernehmung dieser Zeugin (ON 147 S 66) war unbeachtlich, weil das angeführte Beweisthema, „dass die Abwesenheit von der Station lediglich eine halbe Stunde war und daher die Vorwürfe auch zeitlich nicht stattfinden hätten können“, sowie „dass die Stunde pauschal gutgeschrieben wurde und es lediglich eine halbe Stunde gedauert hat“, nicht erkennen ließ, auf welches Anklagefaktum sich der Antrag bezog, wobei die Dauer des Angriffs bei beiden Schuldsprüchen keine entscheidende Tatsache betrifft.
Im Hinblick darauf, dass die verurteilten Taten jeweils im Aufenthaltsraum begangen wurden (US 3, US 5f), wurde dem Antrag auf Durchführung eines Lokalaugenscheins in der Wäscherei, in der Kantine und in der Gefangenengeldverwaltung (ON 147 S 3) zu Recht nicht entsprochen.
Auch die Abweisung des Antrags auf Vernehmung der Zeugin R***** (ON 147 S 65) verletzte keine Verteidigungsrechte, weil diesem nicht zu entnehmen war, weshalb die beantragte Beweisaufnahme das behauptete Ergebnis, „dass die Anschuldigungen gegen den Angeklagten aber auch gegen andere ungerechtfertigt durch die Justizwachebeamtin K***** erhoben worden sind, die sich selbst in einem Ausnahmezustand befunden hat“ (ON 147 S 3), erwarten ließe, und er daher auf eine unzulässige Erkundigungsbeweisführung abzielte (RIS Justiz RS0118444; RS0099453 [T1], RS0118123).
Da die Dienstpläne bzw Dienstaufzeichnungen bereits beigeschafft worden waren, ging der Antrag auf deren Beischaffung (ON 147 S 3) ins Leere und konnte daher schon deshalb ohne Verletzung von Verteidigungsrechten abgewiesen werden (ON 147 S 65 f). Im Übrigen legte auch er nicht dar, weshalb das behauptete Ergebnis, wonach „es überhaupt kein Zusammentreffen gegeben haben kann“, zu erwarten wäre.
Die Erklärung des Verteidigers am 14. September 2015 (ON 159 S 61), „hinsichtlich der Absprachen müsste man die Zeugen W*****, M***** und S***** neuerlich hören“, entspricht nicht den Erfordernissen eines Beweisantrags (RIS Justiz RS0118060; Ratz in WK StPO § 281 Rz 327), sodass der diesbezüglichen Verfahrensrüge die Grundlage fehlt.
Die in der Mängelrüge vermisste Begründung der (beide Schuldsprüche betreffenden) Konstatierung des Vorsatzes des Angeklagten, das Opfer durch Einsperren daran zu hindern, den Tatort zu verlassen (US 7; Z 5 vierter Fall), findet sich in US 12. Mit der in diesem Zusammenhang vorgebrachten Argumentation, es sei „jedenfalls davon auszugehen, dass das Absperren erfolgte, um nicht gesehen bzw überrascht zu werden, und nicht, um das Opfer einzusperren“, übt die Rüge lediglich unzulässige Beweiswürdigungskritik (RIS Justiz RS0098471 [T1]).
Der weiters erhobene ersichtlich den Schuldspruch A./2./ betreffende Vorwurf eines Widerspruchs zwischen den Feststellungen zur Anwendung von Gewalt durch den Angeklagten einerseits und der Konstatierung eines teilweise „kooperativen“ Verhaltens des Opfers bei dessen Entkleidung andererseits geht prozessordnungswidrig nicht von der Gesamtheit der Entscheidungsgründe aus, wonach das „kooperative“ Verhalten der Zeugin M***** auf die bestehende Zwangslage zurückzuführen war und der Angeklagte das Opfers während der Tathandlung „hinunter drückte“ (US 7; RIS Justiz RS0119370).
Die Subsumtionsrüge (Z 10) verfehlt ihre prozessordnungsgemäße Darstellung in mehrfacher Hinsicht. So legt sie weder dar, auf welchen Schuldspruch sie sich bezieht, noch bezeichnet sie ausdrücklich, welche konkrete Subsumtion sie anstrebt (RIS Justiz RS0117247; Ratz , WK StPO § 281 Rz 644). Darüber hinaus ignoriert die Behauptung fehlender Konstatierungen eines Widerstands des Opfers sowie eines Vorsatzes des Angeklagten, dessen Widerstand durch Gewalt zu überwinden, prozessordnungswidrig die zum Schuldspruch A./1./ vorliegenden Urteilsannahmen, wonach M***** „ihren Widerstand auf und der physischen Einwirkung durch den Angeklagten nachgab“ (US 6), sowie die zu beiden Schuldsprüchen getroffene Feststellung, wonach es der Angeklagte ernsthaft für möglich hielt und sich damit abfand, dass er nicht unerhebliche physische Kraft einsetzen musste, um die Aufgabe des klar zum Ausdruck gebrachten Widerstands seines Opfers zu erwirken und die Vornahme einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung bzw die Duldung des Beischlafs gegen dessen Willen zu erzwingen (US 7 f; RIS Justiz RS0099810). Schließlich leitet die Rüge nicht aus dem Gesetz ab, weshalb eine Subsumtion unter § 201 StGB die Feststellung eines tatsächlich geleisteten Widerstands erfordern sollte (vgl RIS Justiz RS0095240; Philipp in WK² StGB § 201 Rz 17).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.