6Ob153/15s – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kuras in der Rechtssache der klagenden Partei E***** H*****, vertreten durch Benedikt Wallner Rechtsanwalt Gesellschaft mbH in Wien, gegen die beklagte Partei S***** AG, *****, vertreten durch Dr. Alexander Haas, Rechtsanwalt in Seiersberg, wegen Feststellung (Streitwert 57.505 EUR), im Verfahren über die Rekurse beider Streitteile gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 19. Mai 2015, GZ 3 R 59/15v 24, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 27. Februar 2015, GZ 118 Cg 43/13v 20, aufgehoben wurde, über den Antrag der klagenden Partei auf Einsicht in den Akt des Obersten Gerichtshofs den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Antrag der klagenden Partei auf Einsicht in den Akt des Obersten Gerichtshofs wird mit der Einschränkung stattgegeben, dass sämtliche Beratungsprotokolle und Abstimmungsvermerke, Aufzeichnungen des Berichterstatters, Entscheidungsentwürfe und Anmerkungen, die auf die innere Willensbildung sowie die Person des Berichterstatters Rückschlüsse zulassen, von der Akteneinsicht ausgenommen werden.
Text
Begründung:
Der Oberste Gerichtshof hat in seiner Sitzung vom 25. September 2015 in dieser Rechtssache den Rekurs der beklagten Partei zurückgewiesen, aber über den Rekurs der klagenden Partei die Entscheidung des Berufungsgerichts dahin abgeändert, dass das klagsabweisende Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wurde. Diese Entscheidung wurde am 20. Oktober 2015 der Geschäftsstelle des Obersten Gerichtshofs zur Ausfertigung übergeben. Mit Zustellungsdatum (gemäß § 89d Abs 2 GOG) 5. November 2015 wurde den Parteien eine mit dieser Entscheidung nicht übereinstimmende, nicht datierte Textdatei durch die Geschäftsstelle übermittelt. Dieser Fehler wurde bereits am folgenden Tag durch Übermittlung der richtigen Ausfertigung der Entscheidung behoben. Die richtigen, von der Leiterin der Geschäftsabteilung unterfertigten und mit dem Siegel des Obersten Gerichtshofs gestempelten Ausfertigungen wurden auch den Vorinstanzen übermittelt.
Die klagende Partei begründet ihren Antrag auf Akteneinsicht zusammengefasst damit, dass für sie ohne diese nicht ersichtlich sei, ob die erste, zwar nicht datierte und mit sprachlichen und redaktionellen Mängeln versehene „Entscheidung“, die den Mindesterfordernissen des § 417 ZPO entspreche, die „wirksame Entscheidung“ sei oder die zweite Entscheidung, trete doch gemäß § 416 Abs 2 ZPO die Bindung an die Entscheidung mit der Übergabe der schriftlichen Ausfertigung an die Geschäftsstelle ein. Nur durch die Akteneinsicht sei es der klagenden Partei möglich festzustellen, ob das Gericht an die erste zugestellte „Entscheidung“ gebunden sei.
Rechtliche Beurteilung
Der Antrag auf Akteneinsicht ist mit den aus dem Spruch ersichtlichen Einschränkungen berechtigt:
Nach § 5 Abs 1 OGHG hat über das Recht auf Akteneinsicht der Senatsvorsitzende allein zu entscheiden.
Gemäß § 219 Abs 1 ZPO können die Parteien in sämtliche ihre Rechtssache betreffenden, bei Gericht befindlichen Akten mit Ausnahme der Entwürfe zu Urteilen und Beschlüssen, der Protokolle über Beratungen und Abstimmungen des Gerichts und solcher Schriftstücke, welche Disziplinarverfügungen enthalten, Einsicht nehmen und sich davon auf ihre Kosten Abschriften (Kopien) und Auszüge (Ausdrucke) erteilen lassen.
Grundsätzlich ist anerkannt, dass die in § 219 ZPO normierten Ausnahmen, soweit nicht sondergesetzliche Regelungen bestehen wie durch das Datenschutzgesetz oder bei der Inkognitoadoption , als taxative Aufzählung zu verstehen sind (6 Ob 148/98b; RIS Justiz RS0110043).
§ 20 OGHG bestimmt nun, dass in der Geschäftsstelle den Parteien nur darüber Auskunft erteilt werden darf, ob und zu welcher Zeit ein Geschäftsstück eingelangt und abgesendet und mit welchem Aktenzeichen es versehen worden ist. Der Name des Berichterstatters darf den Parteien nicht bekannt gegeben werden. Die Rechtsprechung hat in Strafverfahren daraus früher den Schluss gezogen, dass eine Einsicht in die Akten des Obersten Gerichtshofs durch eine Partei oder deren Vertreter generell ausgeschlossen sei (RIS Justiz RS0071142 mwN). In weiterer Folge wurde diese Rechtsprechung jedoch relativiert. Es wurden nur die Beratungsprotokolle und sämtliche damit unmittelbar im Zusammenhang stehenden, die Willensbildung des Senats betreffenden und daher dem Beratungsgeheimnis unterliegenden Anträge, Stellungnahmen und Äußerungen von Senatsmitgliedern von der Einsicht ausgenommen (RIS Justiz RS0071142 [T1]).
Allerdings hat der Oberste Gerichtshof in Zivilsachen Anträge einer Partei auf Einsicht in Rechtsmittelakten im Wesentlichen auch mit der Begründung abgewiesen, dass die verfahrensrechtlichen Interessen der Parteien durch die Übermittlung der Rechtsmittelentscheidung zumindest im Regelfall hinreichend gewahrt sind (kritisch Rassi in Fasching/Konecny 3 II/3 § 219 ZPO Rz 19 ff). Bestehen doch Rechtsmittelakte in aller Regel nur aus den Ausfertigungen der vorinstanzlichen Entscheidungen und dem Entscheidungsentwurf sowie dem Protokoll über die Abstimmung bzw dem Abstimmungsvermerk, die gemäß § 219 Abs 1 ZPO von der Einsicht ausgenommen sind, was bedeutet, dass sie nur die „Entscheidung“ enthalten, deren Ausfertigung den Parteien ohnedies zugestellt wird. Daher ist im Regelfall die Zustellung der Entscheidungsausfertigung zur Wahrung der verfahrensrechtlichen Interessen der Partei hinreichend (6 Ob 551/90; allgemein zu Rechtsmittelakten 2 Ob 98/08p; 7 Ob 235/01m; Gitschthaler in Rechberger , ZPO 4 § 219 Rz 5).
Genau dieser Regelfall liegt aber hier im Hinblick auf das der Geschäftsstelle unterlaufene Versehen nicht vor. Vielmehr ist ausgehend von der allgemeinen Anordnung des § 219 Abs 1 ZPO (vgl auch § 5 Abs 1 OGHG) der betroffenen Partei die Akteneinsicht zu gewähren (vgl allgemein Rassi in Fasching/Konecny 3 II/3 § 219 ZPO Rz 19 f; zur Bedeutung der Akteneinsicht auch unter dem Aspekt des Art 6 EMRK RIS Justiz RS0110043). Allerdings müssen sämtliche auf die Willensbildung des Senats, den Berichterstatter und die Abstimmung Rückschlüsse erlaubenden Aktenteile (Entwürfe, Anträge, Äußerungen, Stellungnahmen, Glossen, Anmerkungen; vgl auch Danzl , Geo 6 § 170 Anm 21 mwN) ausgenommen werden. Insoweit ist auch die Einsicht in die Urschrift die hier nur redaktionelle Ausbesserungen enthält insbesondere durch Abdecken des letzten Teils nach der Beurkundung durch den Vorsitzenden so einzuschränken, dass nicht erkennbar ist, ob bloß ein Abstimmungsvermerk gesetzt oder ein Beratungsprotokoll verfasst wurde und ob es sich dabei um den Antrag des Berichterstatters handelt ( Rassi aaO Rz 19 ff [21]; vgl dazu auch 6 Ob 551/90).