12Os93/15s – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 17. Dezember 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Weißnar als Schriftführerin in der Strafsache gegen Ibragim C***** und andere Angeklagte wegen Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 12 dritter Fall, 142 Abs 1, 143 erster und zweiter Fall, 15 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Ibragim C***** sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft hinsichtlich dieses Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Jugendschöffengericht vom 18. Mai 2015, GZ 163 Hv 28/15f 221 (in ON 312), und über die Beschwerden des Angeklagten Ibragim C***** und der Staatsanwaltschaft gegen den unter einem gefassten Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Aus ihrem Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Ausspruch über die Konfiskation aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten Ibragim C***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil, das auch rechtskräftige Schuldsprüche Mitangeklagter sowie rechtskräftige Freisprüche enthält, wurde Ibragim C***** der Verbrechen des schweren Raubes als Beteiligter nach §§ 12 dritter Fall, 142 Abs 1, 143 erster und zweiter Fall, 15 Abs 1 StGB schuldig erkannt.
Danach hat er in W*****
I./ als Mitglied einer kriminellen Vereinigung, und zwar der Jugendbande „G*****“ oder einer in deren Rahmen bestehenden Subgruppe, die als ein auf längere Zeit angelegter Zusammenschluss „von mehr als drei Personen“ darauf ausgerichtet war, dass von ihren Mitgliedern in arbeitsteiliger Begehungsweise laufend Verbrechen des schweren Raubes ausgeführt werden, jeweils unter Mitwirkung anderer Mitglieder dieser Vereinigung,
...
B./ zu strafbaren Handlungen beigetragen, und zwar
...
6./b./ dadurch, dass er die von Piotr S***** übernommene Gaspistole im Wissen um deren beabsichtigte Verwendung bei Raubüberfällen und gegen das Versprechen, einen Anteil der daraus erzielten Beute zu erhalten, an Douhore Se***** übergab, dazu, dass Pindi A***** mit den abgesondert verfolgten Douhore Se***** und dem nicht der kriminellen Vereinigung angehörenden Michael M***** fremde bewegliche Sachen
am 22. Jänner 2015 Gewahrsamsträgern der L***** Filiale in ***** wegzunehmen oder abzunötigen versuchten, indem sie sich gegen 19:40 Uhr mit dunklen Kapuzenjacken und Sweatern maskiert gemeinsam zum Geschäftslokal begaben und dieses ausspähten, anschließend versuchten, über den Kundenausgang zum Kassenbereich zu gelangen, wobei Pindi A***** eine goldfarbene Gaspistole und Douhore Se***** eine schwarze Gaspistole bei sich führte, die sie mit Wissen und Einverständnis von Michael M***** bei der Tatausführung zu verwenden beabsichtigten, und es nur deshalb beim Versuch blieb, weil es ihnen nicht gelang, durch die Ausgangstür in das Geschäftslokal zu gelangen (I./A./8./ des Schuldspruchs);
am 23. Jänner 2015 der Kassierin Theresia Sm***** als Gewahrsamsträgerin der B***** Filiale in ***** eine Kassenlade samt 4.505,16 Euro Bargeld weggenommen, indem sie maskiert die Filiale betraten, wobei Douhore Se***** eine schwarze Gaspistole und Pindi A***** eine goldfarbene Gaspistole bei sich führten, zum Kassenbereich gingen, Douhore Se***** die Genannte mit einem Arm in den Würgegriff nahm, mit der rechten Hand versuchte, die Kassenlade zu öffnen und dabei einen Schuss aus der Schreckschusspistole abfeuerte, in der Folge Pindi A***** und Michael M***** die Kassenlade mit dem darin befindlichen Bargeld aus der Verankerung rissen und anschließend alle drei gemeinsam flüchteten (I./A./9./ des Schuldspruchs).
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die auf Z 3, 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Ibragim C*****, der keine Berechtigung zukommt.
Der aus § 281 Abs 1 Z 3 StPO erhobene Einwand, der Zeuge Douhore Se***** habe sich zu Beginn seiner Vernehmung auf sein Zeugnisverweigerungsrecht wegen Gefahr der Selbstbelastung (§ 157 Abs 1 Z 1 StPO) berufen, dieses sei ihm jedoch nicht eingeräumt worden, weil er teilweise geständig gewesen sei (vgl ON 220 in ON 312 S 53), sodass seine Aussage nichtig sei, verkennt, dass eine allfällige Missachtung dieser Belehrungsvorschrift nicht unter Nichtigkeitssanktion steht (§ 159 Abs 3 StPO; vgl RIS Justiz RS0124907; Kirchbacher , WK StPO § 159 Rz 24 ff).
Aus dem vom Obersten Gerichtshof mit Beschluss vom 27. August 2015 gemäß § 285f StPO eingeholten Bericht der Vorsitzenden des Schöffengerichts vom 2. September 2015 geht, belegt durch die Kopie einer Abrechnung des Sicherheitsdienstes vom 19. Mai 2015, hervor, dass interessierten Personen am 18. Mai 2015 der Eintritt in das Gerichtsgebäude bis 18:00 Uhr, also bis nach Urteilsverkündung (vgl 14 Os 55/10k) möglich war. Dem aus Z 3 iVm § 228 Abs 1 StPO erhobenen Vorwurf eines faktischen Ausschlusses der Öffentlichkeit ab 15:30 Uhr dieses Tages ist daher der Boden entzogen.
Die Behauptung der Mängelrüge, die Feststellungen zur subjektiven Tatseite stünden, soweit sie einen Eventualvorsatz des Angeklagten bei Übergabe der Gaspistole auch in Bezug auf Tatausführungen am 23. Jänner 2015 zu Grunde legten, in einem inneren Widerspruch (Z 5 dritter Fall) zu der weiteren Konstatierung, dass bei Übergabe der Gaspistole die Rückgabe am selben Tag und somit am 22. Jänner 2015 vereinbart gewesen sei, orientiert sich der Verfahrensordnung zuwider nicht an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 394) und lässt insbesondere außer Acht, dass der Beschwerdeführer damit einverstanden war, Douhore Se***** die Waffe für einen weiteren Tag zur Verfügung zu stellen, nachdem ihm dieser berichtet hatte, dass der bisherige Raubüberfall gescheitert sei (US 23 vorletzter Absatz). Solcherart liegt auch der behauptete Widerspruch nicht vor.
Indem die Rechtsrüge (Z 9 lit a) unter Hinweis auf das Fehlen einer Feststellung, wonach Douhore Se***** dem Nichtigkeitswerber am Abend des 22. Jänner 2015 erzählt habe, die Gaspistole für einen weiteren Raubüberfall zu benötigen, die unmissverständlich angenommene, auch auf die am 23. Jänner 2015 begangene Raubtat gerichtete innere Tatseite (US 24 f) bestreitet, verfehlt sie den im festgestellten Sachverhalt gelegenen Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (vgl RIS Justiz
RS0099810).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war demnach bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof jedoch, dass dem Urteil im Ausspruch über die Konfiskation der „sichergestellten Tatutensilien“ sowie der „sichergestellten Mobiltelefone“ nicht geltend gemachte, gemäß § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO von Amts wegen aufzugreifende, alle Angeklagten betreffende Nichtigkeit aus § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO anhaftet:
Abgesehen davon, dass die betroffenen Gegenstände nicht näher bezeichnet sind, fehlen Feststellungen zu den Eigentumsverhältnissen (vgl 13 Os 49/15b).
Da die Berufung des Angeklagten Ibragim C***** nicht gegen das Konfiskationserkenntnis gerichtet ist (§ 294 Abs 2 StPO), kann das Oberlandesgericht über diese Sanktion nicht entscheiden ( RIS Justiz RS0119220 [T9, T10]; 14 Os 132/13p sowie 12 Os 49/15w; vgl hingegen 13 Os 49/15b ). Die davon ebenfalls betroffenen Angeklagten Dschachar Me*****, Pindi A*****, Shamil T***** und Artur B***** haben überhaupt keine Berufung erhoben.
Dieser Sanktionsausspruch war daher aufzuheben und im Umfang der Aufhebung dem Erstgericht die neuerliche Verhandlung und Entscheidung aufzutragen (§ 285e StPO).
Die Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden, letztere vom Angeklagten Ibragim C***** implizit erhoben, war jedoch vorerst dem Oberlandesgericht Wien zu übertragen (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).
Der Kostenausspruch, der die amtswegige Maßnahme nicht umfasst ( Lendl , WK StPO § 390a Rz 12), gründet sich auf § 390a StPO.