15Os144/15p – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 9. Dezember 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wüstner als Schriftführer in der Strafsache gegen Corinna B***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten Corinna B***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 21. Juli 2015, GZ 53 Hv 61/15z 33, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde und die „Berufung wegen Schuld“ werden zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung (wegen des Ausspruchs über die Strafe) werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Der Angeklagten B***** fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen in Rechtskraft erwachsenen Freispruch eines weiteren Angeklagten enthält, wurde Corinna B***** des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (I), des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB (II/1), des Vergehens der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (II/2) und des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB (III) schuldig erkannt.
Danach hat sie in Wien
I. am 2. Juli 2014 eine fremde Sache, nämlich die Wohnungstür der Julia D***** durch Bekleben mit einem Sticker im Ausmaß von 5 x 15 cm mit der Aufschrift „kackscheisse“, wodurch ein Lackschaden von ca 150 Euro entstand, verunstaltet;
II. am 5. Dezember 2014
1.) fremde bewegliche Sachen, nämlich Kleidungsstücke und Handtaschen in einem 3.000 Euro nicht übersteigenden Wert, Gewahrsamsträgern des Unternehmens P***** C***** mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern;
2.) den Ladendetektiv Azad S***** mit Gewalt zur Unterlassung ihrer Anhaltung wegen der zu 1.) genannten Tathandlung zu nötigen versucht, indem sie sich loszureißen trachtete und ihm Schläge gegen die Brust versetzte;
III. am 5. März 2015 dem Taxilenker Ramiz M***** dadurch, dass sie eine CO 2 Pistole gegen seinen Hals richtete und ihn durch die Äußerung „Geld her!“ zur Übergabe von Geld aufforderte, somit durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) unter Verwendung einer Waffe, fremde bewegliche Sachen, und zwar Bargeld, mit dem Vorsatz abzunötigen versucht, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern.
Rechtliche Beurteilung
Dieses Urteil bekämpft die Angeklagte B***** mit einer auf § 281 Abs 1 Z 2, 3, 5 und 9 lit a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, die ihr Ziel verfehlt.
Die Verfahrensrüge (nominell Z 2, der Sache nach Z 3 iVm § 252 StPO; zur Unterscheidung vgl Ratz , WK StPO § 281 Rz 169, 228) bemängelt, dass „die polizeiliche Vernehmung des Zeugen Ramiz M***** verlesen ... und einverständlich auf die Vernehmung des Zeugen auf Grund seines Zustands verzichtet“ wurde. Die Verlesung des entsprechenden Protokolls in der Hauptverhandlung war jedoch zulässig (§ 252 Abs 1 Z 4 StPO), weil davor sowohl die Angeklagten als auch der Ankläger ihr Einverständnis dazu erklärt hatten (ON 32 AS 40, 42).
Soweit die Beschwerdeführerin mit dem daran anschließenden Vorbringen, es wäre zur Erlangung einer unmittelbaren Aussage des genannten Hauptbelastungszeugen (zu III) „auf die Technik der kontradiktorischen Vernehmung“ zurückzugreifen gewesen, nach Art einer Aufklärungsrüge (Z 5a) Mängel in der Sachverhaltsermittlung aufzuzeigen trachtet, macht sie nicht klar, wodurch sie an der Ausübung ihres Rechts, die vermisste Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung sachgerecht zu beantragen, gehindert war (RIS Justiz RS0115823).
Unverständlich ist die (nominell aus Z 3) erhobene Kritik an der „Heranziehung“ (Verwertung) bei der Urteilsbegründung (zu II/2) einer Aussage des Zeugen Azad S*****, die dieser nach vorübergehender Ausscheidung des Verfahrens gegen die zu jenem Hauptverhandlungstermin nicht erschienene Beschwerdeführerin in einer gegen den Mitangeklagten F***** geführten Hauptverhandlung und damit in ihrer Abwesenheit abgelegt hatte (ON 16 in ON 22). Denn die Rechtsmittelwerberin hatte in der Hauptverhandlung vom 21. Juli 2015 (ON 32 AS 42) ebenso wie der Ankläger ausdrücklich dem Vortrag (§ 252 Abs 2a [iVm § 252 Abs 1 Z 4] StPO) des gesamten Akteninhalts und damit auch des angesprochenen Protokolls vom 6. März 2015 zugestimmt (vgl Ratz , WK-StPO § 281 Rz 460).
Weshalb durch das Unterbleiben der Belehrung des Mitangeklagten F***** in der Hauptverhandlung vom 21. Juli 2015 über sein „Entschlagungsrecht“ (offenbar gemeint: sein Beschuldigtenrecht, sich zum Vorwurf zu äußern oder auch zu schweigen; § 6 Abs 2, § 7 Abs 2, § 49 Z 4, § 164 Abs 1 StPO) ein nichtigkeitsbegründender Verfahrensmangel bewirkt sein soll, erklärt das auf § 281 Abs 1 Z 3 StPO gestützte Rechtsmittel nicht (vgl Kirchbacher , WK-StPO § 245 Rz 24). Die in § 281 Abs 1 Z 3 StPO enthaltene Aufzählung jener Bestimmungen, deren Beobachtung das Gesetz ausdrücklich bei sonstiger Nichtigkeit vorschreibt, ist jedenfalls taxativ zu verstehen (RIS-Justiz RS0099128 [T1]; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 193).
Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall) im Sinn mangelnder Eindeutigkeit liegt vor, wenn den Feststellungen des Urteils nicht klar zu entnehmen ist, welche entscheidenden Tatsachen das Gericht als erwiesen angenommen hat und aus welchen Gründen dies geschehen ist. Dazu ist stets die Gesamtheit der Entscheidungsgründe in den Blick zu nehmen (RIS-Justiz RS0089983, RS0117995).
Unvollständig (Z 5 zweiter Fall) ist ein Urteil, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse unberücksichtigt ließ (RIS Justiz RS0118316).
Keine oder eine offenbar unzureichende Begründung (Z 5 vierter Fall) liegt vor, wenn für den Ausspruch über eine entscheidende Tatsache entweder überhaupt keine oder nur solche Gründe angegeben sind, aus denen sich nach den Grundsätzen folgerichtigen Denkens und der allgemeinen Lebenserfahrung ein Schluss auf die zu begründende Tatsache entweder überhaupt nicht ziehen lässt oder der logische Zusammenhang kaum noch erkennbar ist (RIS Justiz RS0099413).
Die Kritik der Mängelrüge (Z 5, der Sache nach teils Z 9 lit a), das Urteil (US 9) lasse „Ausmaß“ und „Qualität“ der darin angesprochenen, im psychiatrischen Sachverständigengutachten erwähnten „akuten Krise“ (ON 30 S 33 f) „offen und unbegründet“ und erweise sich deshalb als „undeutlich“, Art und Ausmaß der Krise wären vielmehr „festzustellen“ gewesen, vernachlässigt, dass die allein entscheidenden Annahmen des Schöffengerichts hinsichtlich der Diskretions und Dispositionsfähigkeit der Angeklagten B***** zu sämtlichen Tatzeitpunkten damit begründet wurden, dass sich aus dem Gutachten in einer Zusammenschau zwar das Bild einer krankheitswertigen und behandlungsbedürftigen kombinierten Persönlichkeitsstörung mit Elementen einer emotional instabilen, narzisstischen und unreifen Persönlichkeit einhergehend mit Substanzmissbrauch ergebe, mit Blick auf das konkrete (zielgerichtete) Vorgehen zu den Tatzeitpunkten jedoch kein die Zurechnungsfähigkeit der Beschwerdeführerin ausschließender Zustand im Zeitpunkt der inkriminierten Taten auszumachen sei (US 7 ff, 11, 12, 14). Weshalb in diesem Zusammenhang unter dem Aspekt mängelfreier Begründung (Z 5) oder ausreichender Feststellungen (Z 9 lit a) näher auf Art und Ausmaß der erwähnten „akuten Krise“ einzugehen gewesen wäre, erhellt die Beschwerde auch mit dem Zitat „(SSt 13/83)“ nicht.
Zu I stellte das Erstgericht fest, dass durch die Anbringung eines Stickers mit Leim ein Lackschaden an der Tür entstanden ist (US 6). Mit eigenständigen Erwägungen zur allgemeinen Lebenserfahrung wendet sich die Beschwerde (Z 5) bloß nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld gegen die Beweiswürdigung der Tatrichter, die diese Annahme auf die Aussagen der Zeugen Julia und Matthias D***** und auf eine durch die im Akt ersichtlichen Lichtbilder untermauerte Notorietät der Verursachung von Lackschäden durch solche Handlungen stützten (US 10 f iVm ON 2 S 15 f in ON 9 in ON 22). Fundstellen jener Aussagen „der Belastungszeugen D*****“, aus denen sich ergeben soll, dass „an der Tür kein 150 Euro verursachender Schaden entstanden war“, bezeichnet die Beschwerde nicht, weshalb sie schon an prozessförmiger Darstellung der behaupteten „Unvollständigkeit“ (Z 5 zweiter Fall) scheitert (RIS-Justiz RS0124172 [T5]). Im Übrigen betrifft die konstatierte Schadenshöhe mangels Auswirkung auf den Schuldspruch oder die Subsumtion auch keine entscheidende Tatsache (RIS-Justiz RS0099497).
Dem weiteren Einwand (Z 5 zweiter Fall) zuwider haben sich die Tatrichter zu II mit der Aussage des Mitangeklagten F***** ausreichend auseinandergesetzt (US 10). Dass sie daraus unter Berücksichtigung der Aussagen des Zeugen S***** vor der Polizei und in der Hauptverhandlung nicht die von der Rechtsmittelwerberin gewünschten Schlüsse gezogen haben, stellt keinen Begründungsmangel dar.
Da die Angaben der Beschwerdeführerin in der Hauptverhandlung zu ihrem Tatmotiv am 5. März 2015 (III) der Feststellung eines Vorsatzes auf unrechtmäßige Bereicherung nicht entgegenstehen, waren die Tatrichter auch nicht gehalten, jedes Detail dieser in ihrer Gesamtheit gewürdigten Aussage (US 11) zu erörtern (RIS Justiz RS0098778).
Die gegen den Schuldspruch zu I gerichtete Rechtsrüge (Z 9 lit a) erweist sich als nicht gesetzmäßig ausgeführt, weil sie sich nicht an den dazu getroffenen Urteilsfeststellungen (US 6) orientiert (RIS Justiz RS0099810), sondern bloß unter eigenständiger Würdigung der Beweise deren Richtigkeit bestreitet. Ein Fehler der rechtlichen Beurteilung wird damit nicht methodengerecht aufgezeigt (vgl RIS-Justiz RS0116565).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher ebenso wie die im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässige „Berufung wegen Schuld“ (RIS Justiz RS0098904, RS0100080) bereits bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Strafberufung folgt (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.