Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 1. Dezember 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Fellinger als weiteren Richter und die Rechtsanwälte Dr. Mörth und Dr. Rothner als Anwaltsrichter in der Disziplinarsache gegen Mag. *****, Rechtsanwalt in *****, über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Disziplinarrats der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 28. Juli 2015, GZ D 49/15 13, in nichtöffentlicher Sitzung gemäß § 60 Abs 1 2. Satz OGH Geo. 2005 den
Beschluss
gefasst:
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Gründe:
Mit Beschluss des Disziplinarrats der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 28. Juli 2015, GZ D 49/15 13, wurde über Mag. ***** gemäß § 19 Abs 1a DSt iVm § 19 Abs 3 Z 1 lit d DSt die einstweilige Maßnahme der vorläufigen Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft verhängt.
Danach wird Mag. ***** im Rahmen des Antrags des Kammeranwalts vom 14. Juli 2015 auf Einleitung eines Disziplinarverfahrens (TZ 1) angelastet, dass die zu GZ 188/15, 189/15 und 190/15 ausgestellten Rückstandsausweise der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer mangels Zahlung in Exekution gezogen werden mussten und der Genannte im Zusammenhang mit der zu TRH 12/3379 im Jahr 2012 übernommenen Treuhandschaft den bezughabenden Kaufvertrag trotz Anfragen der Treugeber und einer entsprechenden Urgenz der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 5. Februar 2014 nicht verbüchert habe.
Der Disziplinarrat ging in seinem Beschluss von folgendem, als bescheinigt erachteten Sachverhalt aus:
Der Disziplinarbeschuldigte weist im Zeitraum 2009 bis 2015 insgesamt zehn rechtskräftige disziplinarrechtliche Verurteilungen (darunter zwei Zusatzstrafen) auf, wovon fünf die Nichtbezahlung von Kammerbeiträgen, Zuschlägen bzw Anteilen an Kollektivversicherungen nach § 3 RL BA 1977 (5.1. bis 5.4. und 5.11.), zwei die nicht gehörige Verfolgung von Mandantenaufträgen (5.5. und 5.8.) und jeweils eine die Nichtbezahlung von Miete und Nichterfüllung eines rechtskräftigen und vollstreckbaren Anerkenntnisses (5.7.), die Nichtvorlage des Antrittsberichts als Sachwalter trotz mehrfacher richterlicher Urgenz (5.6.) und die Nichterfüllung von Verbindlichkeiten aus einem ergangenen Versäumungsurteil (5.9.) betreffen (BS 3 ff). Eine weitere, ebenfalls wegen des Verdachts der Nichterfüllung einer Verbindlichkeit (§ 3 RL BA) erfolgte disziplinarrechtliche Verurteilung vom 8. Juni 2015 (5.10.) ist noch nicht rechtskräftig (BS 5).
Die Höhe der wegen Nichtbezahlung zum Gegenstand der genannten Verfahren gewordenen Forderungen betrug im Wesentlichen zwischen mehreren hundert und wenigen tausend Euro.
Weiters behängen gegen den Genannten Disziplinarverfahren wegen der Vorwürfe, übernommene Verbindlichkeiten nicht beglichen (§ 3 RL BA) bzw Mandantenaufträge nicht gehörig verfolgt und dadurch einem Klienten Schaden zugefügt zu haben (5.13., 5.14. und 5.16.), gegenüber einer Mandantin falsch über den Verfahrensausgang berichtet zu haben (5.12.) sowie schließlich im Zusammenhang mit dem Anspruch eines vormaligen Klienten auf Schadenersatz wegen versäumter Frist zur Erlangung einer Haftentschädigung das Vergehen der Urkundenfälschung verwirklicht zu haben (5.15.).
Im Zusammenhang mit den Vorwürfen um die Haftentschädigungsansprüche wurde am 15. Dezember 2014 die einstweilige Maßnahme nach „§ 19 Abs 1 und 3 Z 1 lit b DSt“ verhängt. Darüber hinaus hat die Staatsanwaltschaft Linz, AZ 49 BAZ 476/14h, am 27. April 2015 beim Bezirksgericht Linz einen Strafantrag gegen Mag. ***** wegen der Vergehen der Urkundenfälschung nach § 223 Abs 1 StGB, AZ 31 U 55/15d, eingebracht. Danach habe der Genannte am 10. September 2013 und 23. Oktober 2013 in Linz dadurch, dass er das Briefpapier der Kanzlei K***** kopierte, auf dem kopierten Briefpapier zwei mit 10. September 2013 und 23. Oktober 2013 datierte Schreiben verfasste, welche vorgeben, dass die U***** AG als Haftpflichtversicherung des Mag. ***** und Mag. Dr. Peter N***** mit dem Schadensfall befasst wären, und diese Schreiben dem Schadenersatzwerber vorlegte, falsche Urkunden mit dem Vorsatz hergestellt (zu ergänzen: und gebraucht), dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechts, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werden. Eine Hauptverhandlung ist noch nicht anberaumt.
Nach Exekutionsführung zu AZ 22 E 6336/15k des Bezirksgerichts Linz infolge Nichtbezahlung der jeweils am 21. Mai 2015 durch die Oberösterreichische Rechtsanwaltskammer gegenüber dem Disziplinar-beschuldigten ausgestellten Rückstandsausweise betreffend Geldbußen und Verfahrenskosten aus rechtskräftig abgeschlossenen Disziplinarverfahren (5.7., 5. 9. und 5.8.), bezahlte dieser die Rückstände am 26. Juni 2015 und 9. Juli 2015 (BS 7 f) sowie am 2. Juli 2015 die Exekutionskosten (TZ 11).
Eine am 3. Juli 2015 in der Kanzlei des Disziplinarbeschuldigten durch den Ausschuss der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer für den Zeitraum 2. März 2015 bis 22. Juni 2015 durchgeführte Treuhand- und Fremdgeldrevision ergab hinsichtlich der Fremdgeldgebarung im genannten Zeitraum keine Mängel. Aufgrund der Treuhandrevision wurden jedoch formelle Mängel attestiert. So konnten zu TRH 12/0849 keine Unterlagen wie Kontoverfügungsauftrag und Bankbelege sowie zu TRH 15/1125 kein Eingangsbeleg vorgelegt werden, zu TRH 13/0319 und TRH 14/3789 wurde keine Abschlusserklärung an die Rechtsanwaltskammer übermittelt, zu TRH 15/1604 waren die Geldflüsse zwar nachvollziehbar, doch fehlte die Enderledigung (Grundbuch), auch zu TRH 12/3379 mangelte es an der grundbücherlichen Durchführung des Vertrags, zu TRH 14/0912 sei ohne rechtliche Abhilfe durch Mag. ***** infolge Insolvenz des Verkäufers die Enderledigung unterblieben und zu TRH 13/2714 fehlte einmal mehr die grundbücherliche Durchführung des Vertrags, weil Mag. ***** nach seiner Verantwortung keine Grunderwerbssteueranzeige erstattet hätte (BS 6 f).
Aufgrund der rechtskräftigen Vorverurteilungen wegen Nichtbezahlung (eigener) Verbindlichkeiten ging der Disziplinarsenat davon aus, dass „die Geldgebarung des Disziplinarbeschuldigten seit 2009 im Argen liegt“ (BS 9 erster Absatz). Trotz der aktuell für in Ordnung befundenen Fremdgeldgebarung könne in Ansehung von erheblichen Verzögerungen im Zusammenhang mit übernommenen Treuhandschaften nicht ausgeschlossen werden, dass hieraus (neuerlich) Haftungsansprüche entstehen und wäre wegen des langen Zeitraums der teils bereits rechtskräftig festgestellten und der bisher nur vorgeworfenen Versäumnisse zu befürchten, dass Klienten künftig hin finanziell Schaden nehmen könnten, weswegen die einstweilige Maßnahme „nach § 19 Abs 1 Z 1 lit d DSt“ zu verhängen gewesen wäre.
Diesen Beschluss bekämpft Mag. ***** mit fristgerecht erhobener Beschwerde, in der er zusammengefasst die Gefahr einer Beeinträchtigung fremden Vermögens bestreitet, auf die vollständige Bezahlung von Geldbußen und laufenden Kammerbeiträgen verweist sowie die seit rund zehn Jahren nur einmal erfolgte Inanspruchnahme seiner Haftpflichtversicherung ins Treffen führt.
Die Verhängung der einstweiligen Maßnahme ist auf der Basis des im wesentlichen unstrittigen Sachverhalts nicht zu beanstanden:
Gemäß § 19 Abs 1a DSt iVm Abs 3 Z 1 lit d leg cit kann der Disziplinarrat gegen einen Rechtsanwalt die einstweilige Maßnahme der vorläufigen Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft beschließen (RIS Justiz RS0123223), wenn vom Ausschuss unter Vorlage der betreffenden Unterlagen bestimmte Tatsachen angezeigt werden, aufgrund derer der Verdacht eines Disziplinarvergehens und die dringende Besorgnis besteht, dass die weitere Berufsausübung zu einer erheblichen Beeinträchtigung anvertrauten fremden Vermögens, insbesondere im Zusammenhang mit der Fremdgeldgebarung des Rechtsanwalts, führen kann.
Der Verdacht der Berufspflichtenverletzung und der Verletzung von Ehre und Ansehen des Standes und damit der Verwirklichung von Disziplinarvergehen ist in Ansehung der nicht rechtzeitig abgewickelten, im Besonderen massiv verspäteten Verbücherung zu TRH 12/3379 und mehrerer in Exekution gezogener Forderungen zweifelsfrei gegeben.
Der Verweis auf die rechtskräftigen disziplinarrechtlichen Vorverurteilungen des Mag. ***** und die gegen diesen behängenden Disziplinarverfahren (Vorwürfe mangelnder Erfüllung eigener finanzieller Verbindlichkeiten, der nicht gehörigen Verfolgung von Mandantenaufträgen bzw unrichtigen Berichterstattung gegenüber dem Klienten, der Säumigkeit in Ansehung gerichtlich begehrter Berichtsvorlagen bzw in einem Fall durch Nichterfüllung eines Mandantenauftrags dem Klienten „Schaden zugefügt zu haben“) vermögen zumal die verzögerten Zahlungen teils sogar eher geringe Beträge betrafen fallbezogen die dringende Besorgnis zu begründen, dass die weitere Berufsausübung durch den Disziplinarbeschuldigten zu einer erheblichen Beeinträchtigung (auch) aktuell oder künftig anvertrauten fremden Vermögens, insbesondere (aber nicht nur) im Zusammenhang mit der Fremdgeldgebarung des Rechtsanwalts, führen könnte.
Dass hinsichtlich des gegen den Beschwerdeführer geführten Exekutionsverfahrens die offenen Verbindlichkeiten samt Exekutionskosten bezahlt wurden und anlässlich der in der Kanzlei des Genannten durch den Ausschuss der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer durchgeführten Treuhand und Fremdgeldrevision in Ansehung der Treuhandrevision zwar formelle Mängel, wie insbesondere Verzögerungen bei der grundbücherlichen Erledigung (BS 7 erster Absatz), bezüglich der Fremdgeldgebarung jedoch keine Mängel festgestellt wurden, vermag die Beurteilung des Disziplinarrats im Gegenstand nicht zu erschüttern.
Denn die (eigene) finanzielle Situation des Beschwerdeführers ist nicht seine Privatsache, sondern ein wesentliches Element für die nach § 19 Abs 1a DSt anzustellende Prognose (RIS Justiz RS0056741 [T5]). Es gehört zu den fundamentalen Berufspflichten eines Rechtsanwalts, übernommene Verbindlichkeiten bei Fälligkeit zu erfüllen (§ 3 RL
Bei über einen Zeitraum von mehreren Jahren fortgesetzter Missachtung dieser Berufspflichten sogar während anhängiger Disziplinarverfahren (RIS Justiz RS0119922 [T1]) bejahte der Disziplinarrat dem Beschwerdevorbringen einer zufolge Kanzleivergrößerung im Herbst 2013 bewirkten Arbeitsüberlastung mit der Folge eines „Erschöpfungszustandes“ entgegen ausgehend von der unzulänglichen Betreuung mehrerer übernommener Mandate und der damit höchst realistischen Gefahr des Entstehens (neuer) Haftungsansprüche zu deren Lösung sich Mag. ***** bereits in der Vergangenheit einer Vorgangsweise bedient hat, die ihm als Vergehen der Urkundenfälschung angelastet wird zutreffend die dringende Besorgnis, dass eine weitere Berufsausübung auch zu einer erheblichen Beeinträchtigung anvertrauten fremden Vermögens führen könnte.
Dem Rechtsmittelvorbringen zuwider wird durch die (erstmals ausgesprochene) vorläufige Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft, die keine Anklage im Sinne des Art 6 EMRK darstellt, nicht in das verfassungsrechtlich geschützte Recht der Erwerbsfreiheit eingegriffen ( Feil/Wennig , Anwaltsrecht 8 S 909 dritter Absatz, 910 zweiter Absatz, 911 zweiter Absatz; Csoklich/Scheuba , Standesrecht der Rechtsanwälte 2 , 110; Hiesel , Die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs zum DSt in den Jahren 2002 bis 2009, AnwBl 2010, 67 [72]).
Der Beschwerde des Disziplinarbeschuldigten war daher wie bereits die Generalprokuratur zutreffend ausführte nicht Folge zu geben.
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