11Os122/15y – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 1. Dezember 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Jukic als Schriftführerin in der Strafsache gegen Gottfried M***** wegen des Vergehens nach § 1 zweiter Fall NotzeichenG und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 10 U 160/14w des Bezirksgerichts Innsbruck, über die von der Generalprokuratur gegen mehrere Vorgänge in diesem Verfahren und gegen das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 5. Mai 2015, GZ 10 U 160/14w 16, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Staatsanwältin Mag. Wenger, zu Recht erkannt:
Spruch
In der Strafsache gegen Gottfried M***** verletzen
1. die Überweisung des Strafverfahrens AZ 7 U 78/14z des Bezirksgerichts Landeck an das Bezirksgericht Innsbruck am 19. Februar 2015 und dessen gemeinsame Führung mit dem Verfahren AZ 10 U 160/14w des Bezirksgerichts Innsbruck durch dieses § 37 Abs 3 StPO iVm § 37 Abs 2 zweiter Satz StPO;
2. die im Strafverfahren AZ 10 U 160/14w des Bezirksgerichts Innsbruck in der Hauptverhandlung am 5. Mai 2015 vorgenommene Verlesung von Protokollen über die Vernehmungen von Zeuginnen § 252 Abs 1 StPO iVm § 447 StPO;
3. das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 5. Mai 2015, GZ 10 U 160/14w 16, infolge Unterbleibens von Feststellungen zur subjektiven Tatseite § 1 NotzeichenG, § 127 StGB iVm § 7 Abs 1 StGB sowie § 270 Abs 2 Z 5 StPO iVm § 447 StPO.
Das Abwesenheitsurteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 5. Mai 2015, GZ 10 U 160/14w 16, wird aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht Landeck verwiesen.
Text
Gründe:
Die Staatsanwaltschaft Innsbruck brachte am 30. Mai 2014 beim Bezirksgericht Landeck (AZ 7 U 78/14z) einen Strafantrag gegen Gottfried M***** wegen eines am 16. April 2014 im Sprengel dieses Gerichts begangenen, als Vergehen des Diebstahls nach § 127 StGB beurteilten Verhaltens ein (ON 3 in ON 13).
Mit am 8. August 2014 beim Bezirksgericht Innsbruck (AZ 10 U 160/14w) eingebrachtem Strafantrag legte die Staatsanwaltschaft Innsbruck demselben Angeklagten am 8. Juli 2014 in Innsbruck begangene, dem Vergehen nach § 1 (zweiter Fall) NotzeichenG subsumierte Verhaltensweisen zur Last (ON 4).
Das Bezirksgericht Landeck überwies mit „Beschluss“ (richtig: Verfügung; vgl Oshidari , WK StPO § 37 Rz 7/1, § 38 Rz 1) vom 19. Februar 2015 sein Verfahren AZ 7 U 78/14z „gemäß § 37 StGB“ an das Bezirksgericht Innsbruck zur „Einbeziehung“ in das dort zu AZ 10 U 160/14w anhängige Strafverfahren (ON 1 S 3 in ON 13). Mit „Beschluss“ vom 4. März 2015 verfügte das Bezirksgericht Innsbruck daraufhin die (richtig:) Verbindung beider Verfahren (ON 1 S 3) und führte fortan diese Strafsache.
In der in Abwesenheit des nach der Aktenlage (ON 14 S 1) durch wirksame Hinterlegung (§ 17 ZustellG) der zu eigenen Handen zuzustellen verfügten Vorladung gehörig geladenen (vgl Bauer/Jerabek , WK StPO § 427 Rz 9 mwN) Angeklagten durchgeführten Hauptverhandlung am 5. Mai 2015 wurden die Anzeigen ON 2 sowie ON 2 in ON 13 und damit auch die darin enthaltenen Protokolle über die Vernehmungen der Zeuginnen Anita E***** (ON 2 S 19 ff in ON 13) und Veronika K***** (ON 2 S 17 ff) verlesen (ON 14 S 1 verso).
Mit unbekämpft am 13. Juli 2015 in Rechtskraft erwachsenem Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 5. Mai 2015, GZ 10 U 160/14w 16, wurde Gottfried M***** in seiner Abwesenheit jeweils eines Vergehens nach § 1 (zweiter Fall) NotzeichenG sowie des Diebstahls nach § 127 StGB schuldig erkannt und hiefür unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach § 127 StGB zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat verurteilt.
Rechtliche Beurteilung
Im bezeichneten Verfahren wurde wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt das Gesetz in mehrfacher Hinsicht verletzt:
1. Gemäß § 37 Abs 3 StPO sind, sofern zum Zeitpunkt der Rechtswirksamkeit einer (späteren) Anklage ein Hauptverfahren gegen den Angeklagten anhängig ist, die Verfahren zu verbinden; die Zuständigkeit des Gerichts bestimmt sich (auch in diesem Fall) nach § 37 Abs 1, Abs 2 StPO.
Nach der hier einzig in Betracht kommenden Bestimmung des § 37 Abs 2 zweiter Satz StPO kommt das Verfahren im Falle mehrerer Straftaten dem Gericht zu, in dessen Zuständigkeit die frühere Straftat fällt.
Für die gemeinsame Führung der zwar zufolge subjektiver Konnexität (vgl Oshidari , WK StPO § 37 Rz 1) zu Recht miteinander verbundenen Verfahren war daher vorliegend nicht das Bezirksgericht Innsbruck, sondern das Bezirksgericht Landeck zuständig.
2. Protokolle über die Vernehmung von Zeugen dürfen bei sonstiger Nichtigkeit nur unter den Voraussetzungen des § 252 Abs 1 StPO in die Hauptverhandlung eingeführt werden. Nach Z 4 leg cit ist dies etwa dann zulässig, wenn über die Vorlesung Ankläger und Angeklagter einverstanden sind.
Aus dem Nichterscheinen des Angeklagten zur Hauptverhandlung am 5. Mai 2015 konnte dessen Einverständnis im Sinn dieser Bestimmung nicht abgeleitet werden (RIS Justiz RS0117012); hinzu kommt, dass der einer Verlesung trefflich sogar ausdrücklich widersprechende staatsanwaltschaftliche Sitzungsvertreter kein solches erteilte (ON 14 S 1 verso). Da auch keiner der in § 252 Abs 1 Z 1 bis 3 StPO genannten Fälle vorlag, widersprach die Verlesung der genannten Vernehmungsprotokolle demnach § 252 Abs 1 StPO iVm § 447 StPO.
3. Konstatierungen zu einem auf die Verwirklichung der Tatbestandsmerkmale (eines der Fälle) des § 1 NotzeichenG sowie des § 127 StGB gerichteten Vorsatz (§ 5 Abs 1 iVm § 7 Abs 1 StGB) des Angeklagten sind den Entscheidungsgründen des bezeichneten Urteils entgegen § 270 Abs 2 Z 5 StPO (iVm § 447 StPO) nicht (auch nur im Ansatz) zu entnehmen, sodass die Urteilsannahmen die Schuldsprüche wegen der bezeichneten Vergehen nicht zu tragen vermögen (vgl Ratz , WK-StPO § 281 Rz 605).
Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich die aufgezeigten Gesetzesverletzungen zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt haben, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, ihre Feststellung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).
Einer förmlichen Aufhebung der auf dem kassierten Urteil beruhenden Anordnungen und Verfügungen bedurfte es nicht (RIS Justiz RS0100444; Ratz , WK StPO § 292 Rz 28).