JudikaturOGH

2Ob36/15f – OGH Entscheidung

Entscheidung
09. September 2015

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé und den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** S*****, vertreten durch Anwaltskanzlei Feuerberg Lachniet Abogado/Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagten Parteien 1. Mag. Dr. B***** B*****, 2. Dr. T***** T***** und 3. Mag. M***** K*****, alle *****, alle vertreten durch T B Rechtsanwälte Partnerschaft in Kufstein, wegen 13.933,43 EUR sA, über den „ordentlichen Revisionsrekurs“ (richtig: Rekurs) der beklagten Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 4. Dezember 2014, GZ 2 R 189/14g 30, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 19. September 2014, GZ 12 Cg 194/12b 25, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Akten werden dem Erstgericht zurückgestellt.

Text

Begründung:

Im vorliegenden Verfahren wurde die Klägerin ursprünglich von Rechtsanwalt Michael F. Feuerberg (einem deutschen Rechtsanwalt) mit Kanzleisitz in Kitzbühel, ERV Code *****, vertreten. In der am 7. 12. 2012 im ERV eingebrachten Klage wurde als österreichische Einvernehmensanwältin Mag. Doris Pritzl in Wien nachgewiesen.

Mit Schriftsatz vom 3. 12. 2013 (ON 17), ebenfalls im ERV eingebracht, teilte die Anwaltskanzlei Feuerberg Lachniet, München, mit, dass „das Mandat von Rechtsanwalt Michael F. Feuerberg beendet ist. Das Mandat wir nun von unserer Kanzlei aus München fortgeführt“. Dieser Umstand wurde in der darauffolgenden Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung am 8. 7. 2014, (ON 21, AS 193), erörtert. Der anwesende Klagevertreter Michael F. Feuerberg teilte hierauf mit, dass „das Mandat nicht beendet worden sei wie im Schriftsatz festgehalten, sondern nur erweitert worden sei durch den Eintritt des Rechtsanwalts Lachniet in die Kanzlei“. Es handle sich dabei um eine Sozietät. Daraufhin erteilte ihm das Erstgericht den Auftrag, binnen 14 Tagen nachzuweisen, dass die ursprünglich genannte Einvernehmensanwältin oder ein anderer österreichischer Rechtsanwalt als Einvernehmensanwalt für die Kanzlei des Klagevertreters auftrete.

Am 23. 7. 2014 langte im Präsidium des Erstgerichts ein Fax der Anwaltskanzlei aus München ein, dem wieder eine Einvernehmenserklärung der Rechtsanwältin Mag. Pritzl, nunmehr hinsichtlich der neuen Rechtsanwaltssozietät, angefügt war. Weiters wurde dargelegt, dass aus technischen Gründen die Einvernehmenserklärung nicht per Web ERV versandt werden könne (ON 23).

Das Erstgericht erteilte daraufhin einen Verbesserungsauftrag, binnen einer Woche diese technischen Gründe nachzuweisen. Fax und E Mail seien keine zulässigen Formen des elektronischen Rechtsverkehrs. Dieser Beschluss wurde der Kanzlei des KV „über die Einvernehmensanwältin“ zugestellt (ON 24). Eine Verbesserung erfolgte nicht.

Daraufhin wies das Erstgericht mit Urteil vom 19. 9. 2014 das Klagebegehren ab (ON 25).

Das Berufungsgericht hob über Berufung der Klägerin die Entscheidung des Erstgerichts auf und ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu, weil zur Frage, ob eine einem einzelnen Rechtsanwalt erteilte Vollmacht aufrecht bleibe, wenn in der Folge eine Rechtsanwaltssozietät als Prozessvertreterin einschreite, der der bevollmächtigte Anwalt angehöre, oder ob dies den neuerlichen Nachweis des Einvernehmens eines österreichischen Rechtsanwalts erforderlich mache, oberstgerichtliche Judikatur nicht bestehe.

Diese Entscheidung wurde sowohl der Einvernehmensanwältin als auch der Sozietät Feuerberg Lachniet in München zugestellt.

Danach wurde am 24. 12. 2014 im ERV von Feuerberg Lachniet Salzburg, Code *****, zunächst ein Schriftsatz eingebracht, mit dem ersucht wurde, „unsere Kanzleianschrift in Salzburg: Rechtsanwalt Michael F. Feuerberg ... Salzburg“ in Zukunft zu beachten (ON 31).

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts erhoben die beklagten Parteien „ordentlichen Revisionsrekurs“ (richtig: Rekurs § 519 Abs 1 Z 2 ZPO ) an den Obersten Gerichtshof . Bei der Sozietät Feuerberg Lachniet in München handle es sich um eine nach deutschem Recht parteifähige Gesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit, weshalb der neuerliche Nachweis des Einvernehmens mit einem österreichischen Anwalt notwendig geworden, aber letztlich im Hinblick auf § 5 Abs 3 ERV nicht wirksam erbracht worden sei.

Dieses Rechtsmittel wurde dem „KV p. A. Einvernehmensanwältin“ zugestellt. Eine Rekursbeantwortung wurde von dieser nicht eingebracht.

Rechtliche Beurteilung

Die Akten sind dem Erstgericht als verfrüht vorgelegt zurückzustellen.

1. Rechtslage nach dem EIRAG (BGBl I 2000/27 vormals EuRAG):

1.1. Gemäß § 5 EIRAG dürfen in Verfahren, in denen sich die Partei durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen muss, dienstleistende europäische Rechtsanwälte als Vertreter nur im Einvernehmen mit einem in der Liste der Rechtsanwälte der österreichischen Rechtsanwaltskammer eingetragenen Rechtsanwalt (Einvernehmensrechtsanwalt) handeln. Diesem obliegt es, beim dienstleistenden europäischen Rechtsanwalt darauf hinzuwirken, dass er bei der Vertretung die Erfordernisse einer geordneten Rechtspflege beachtet. Das Einvernehmen ist bei der ersten Verfahrensverhandlung gegenüber dem Gericht schriftlich nachzuweisen. Ein Widerruf des Einvernehmens ist ebenfalls schriftlich mitzuteilen und hat nur Wirkung für die Zukunft.

Auch in Österreich niedergelassene europäische Rechtsanwälte (§§ 9 ff EIRAG) müssen in Verfahren mit absoluter Rechtsanwaltspflicht (§ 27 ZPO) einen Einvernehmensrechtsanwalt nach § 5 EIRAG beiziehen. Lediglich „vollintegrierte“ europäische Rechtsanwälte (§§ 18 ff EIRAG) sind österreichischen Rechtsanwälten zur Gänze gleichgestellt (vgl Zib in Fasching/Konecny 2 § 30 ZPO Rz 28).

1.2. Gemäß § 6 EIRAG kann in Verfahren mit absoluter Anwaltspflicht dienstleistenden europäischen Rechtsanwälten, die keine Abgabestelle im Inland haben, aufgetragen werden, einen Zustellungsbevollmächtigten namhaft zu machen. Wird keiner namhaft gemacht, gilt gemäß § 6 Satz 3 EIRAG der Einvernehmensrechtsanwalt als Zustellungsbevollmächtigter.

1.3. Die Herstellung und der Nachweis des Einvernehmens sind Bedingungen dafür, dass die Verfahrenshandlung des einschreitenden ausländischen Rechtsanwalts denen eines österreichischen gleichgestellt ist. Solange das Einvernehmen nicht nachgewiesen ist, ist die Postulationsunfähigkeit nicht beseitigt (2 Ob 256/08y [17. 12. 2008]). Das Fehlen des Nachweises eines Einvernehmens ist ein der Verbesserung zugängliches Formgebrechen (RIS Justiz RS0124121). Der Verbesserungsauftrag ist an den Vertreter und nicht an die Partei (vgl 7 Ob 135/04k, 2 Ob 256/08y) zuzustellen.

2. Keine wirksame Zustellung des Rekurses:

Aus dem Gesagten ist vorerst der Schluss zu ziehen, dass jedenfalls seit der Mitteilung des Kanzleisitzes in Salzburg die Einvernehmensrechtsanwältin nicht mehr Zustellungsbevollmächtigte iSd § 6 EIRAG war und daher die Zustellung des Rekurses an den Obersten Gerichtshof an sie die Frist für die Rekursbeantwortung nicht auslösen konnte. Abgesehen davon konnten Zustellungen an die Einvernehmensanwältin schon wegen des Vertreterwechsels nicht mehr wirksam erfolgen (dazu unten 3.). Schon das macht eine Aktenrückstellung notwendig, weil der Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss zweiseitig ist (§ 521a Abs 1 iVm § 521 Abs 1 ZPO; Kodek in Rechberger 4 § 519 ZPO Rz 22).

3. Neuerlicher Nachweis des Einvernehmens erforderlich:

3.1. Nach § 5 Abs 1 EIRAG ist das Einvernehmen bei der ersten Verfahrensverhandlung des dienstleistenden europäischen Rechtsanwalts gegenüber dem Gericht schriftlich nachzuweisen. Tritt der dienstleistende europäische Rechtsanwalt während eines laufenden Verfahrens erstmals gegenüber dem Gericht auf, muss er daher bei diesem ersten Auftreten das Einvernehmen nachweisen. Dies muss auch für eine Vollmachtserteilung an eine Rechtsanwaltsgesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit gelten, unabhängig davon, ob ihr der ursprünglich vertretende Anwalt angehört oder nicht.

3.2. Die Anwaltssozietät ist nach deutschem Recht ein organisierter Zusammenschluss von Rechtsanwälten zur gemeinsamen Berufsausübung durch gemeinsame Entgegennahme von Aufträgen und Entgelten als rechtsfähige Außen GesbR. Vertragspartner des Mandanten ist grundsätzlich die Sozietät als solche und nicht der einzelne Anwalt der Sozietät ( Schöne in Beck OK BGB § 705 Rn 183; Böhnlein in Feuerich/Weyland , BRAO 8 [2012] § 59a Rn 15).

3.3. Hier hat der ursprüngliche Klagevertreter dem Gericht mit dem Schriftsatz ON 17 mitgeteilt, dass das Mandat „beendet“ sei und nunmehr von der Kanzlei Feuerberg Lachniet also einer solchen Anwaltssozietät fortgeführt werde. Damit wurde ein neues Vertretungsverhältnisses angezeigt, weshalb auch neuerlich das Bestehen des Einvernehmens iSv § 5 EIRAG nachzuweisen war. Das Erstgericht hat daher in der Verhandlung vom 8. 7. 2014 (ON 21) zutreffend einen diesbezüglichen Auftrag erteilt. Wenn der nun für die neue Klagevertreterin einschreitende - frühere Klagevertreter in dieser Verhandlung ausführte, dass das ihm erteilte Mandat nicht beendet, sondern durch den Eintritt des Rechtsanwalts Lachniet in die Kanzlei „erweitert“ worden sei, ist dies angesichts der eigenständigen Rechtspersönlichkeit der Rechtsanswaltsgesellschaft nicht nachvollziehbar.

4. Verpflichtung zur Teilnahme am ERV:

4.1. Gemäß § 89c Abs 5 Z 1 GOG idF BGBl I 2013/119 sind Rechtsanwälte nach Maßgabe der technischen Möglichkeiten zur Teilnahme am Elektronischen Rechtsverkehr verpflichtet. Ein Verstoß gegen diese Bestimmung ist als Formmangel zu behandeln, der zu verbessern ist (§ 89c Abs 6 GOG idF BGBl I 2012/26). Die frühere Rechtsprechung (RIS Justiz RS0124215; RS0124335; RS0124555), die nicht im elektronischen Weg eingebrachten Eingaben keinen die geschäftsordnungsgemäße Behandlung hindernden Formmangel beimaß und von einer reinen Ordnungsvorschrift ausging, konnte daher nicht aufrecht erhalten werden (2 Ob 184/13t mwN). Nichtverwendung des ERV führt daher zunächst zu einem Verbesserungsauftrag. Bis zur Verbesserung liegt keine zur geschäftsordnungsgemäßen Behandlung geeignete Eingabe vor. Eine solche Eingabe kann daher auch keine verfahrensrechtlichen Wirkungen auslösen.

4.2. Sowohl der Wortlaut von § 89c Abs 5 GOG als auch die Materialien zu dieser Bestimmung (EB zum BRÄG 2006, BGBl I 164/2005, 1169 BlgNR 22. GP 35 f), nehmen auf „Notare und Rechtsanwälte“ Bezug, ohne nach deren Herkunft oder Niederlassung zu unterscheiden. Damit stellt sich die Frage, ob auch dienstleistende oder in Österreich niedergelassene europäische Rechtsanwälte zur Teilnahme am ERV verpflichtet sind.

Diese Verpflichtung ergibt sich abgesehen vom nicht differenzierenden Wortlaut des § 89c Abs 5 GOG für dienstleistende europäische Anwälte aus § 4 EIRAG. Danach haben solche Anwälte bei Ausübung einer Tätigkeit, die mit der Vertretung eines Mandanten im Bereich der Rechtspflege zusammenhängt, die Stellung eines in die Liste der Rechtsanwälte einer österreichischen Rechtsanwaltskammer eingetragenen Rechtsanwalts, insbesondere dessen Rechte und Pflichten auch (und gerade) in prozessualer Hinsicht (vgl Schumacher , Einvernehmensrechtsanwalt und Prozessvollmacht, AnwBl 2013, 636). Eine dieser Pflichten ist die Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr. Dienstleistende europäische Rechtsanwälte sind daher bei der Vertretung von Mandanten vor österreichischen Gerichten ebenso wie inländische Rechtsanwälte zur Teilnahme am ERV verpflichtet.

Niedergelassene europäische Rechtsanwälte haben nach § 13 EIRAG überhaupt „die Stellung eines in die Liste der Rechtsanwälte eingetragenen Rechtsanwalts“. Ihre Verpflichtung zur Teilnahme am ERV kann daher von vornherein nicht strittig sein.

Damit hat aber das Erstgericht der Klagevertreterin zutreffend einen Verbesserungsauftrag nach § 89c Abs 6 GOG hier iVm § 1 Abs 1c ERV 2006 (Bescheinigung der Gründe für das ausnahmsweise Fehlen der technischen Möglichkeiten) erteilt. Dieser Auftrag wurde der Klagevertreterin allerdings „über die Einvernehmensanwältin“ zugestellt. Gerade eine solche wurde aber für die neue Klagevertreterin noch nicht (wirksam) nachgewiesen, sodass (auch) diese Zustellung unwirksam war und die gesetzte Frist nicht auslösen konnte.

5. Weitere Vorgangsweise:

Aus den genannten Gründen wird das Erstgericht der Klagevertreterin sowohl den Verbesserungsauftrag als auch den Rekurs zuzustellen haben. Mit dieser Zustellung beginnt die Frist für die Rekursbeantwortung. Will die Klagevertreterin im weiteren Verfahren wirksam vertreten, hat sie entweder im ERV den Nachweis des Einvernehmens iSv § 5 EIRAG zu übermitteln oder allenfalls aufgrund des bereits erteilten Verbesserungsauftrags iSv § 1 Abs 1c ERV 2006 zu bescheinigen, dass die konkreten technischen Möglichkeiten im Einzelfall ausnahmsweise nicht vorliegen.

Die Akten werden nach Einlangen der Rekursbeantwortung oder nach ungenutztem Ablauf der dafür offen stehenden Frist wieder vorzulegen sein.

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