12Os75/15v – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 27. August 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Pottmann als Schriftführerin in der Strafsache gegen Dipendra K***** und eine Angeklagte wegen des Vergehens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, 2 und 3 Z 1 erster Fall, Abs 4 vierter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Dipendra K***** gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 30. März 2015, GZ 37 Hv 153/14f 26, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Dipendra K***** wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.
Dipendra K***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil, das auch rechtskräftige (überflüssig auch die rechtlichen Kategorien betreffende; vgl Lendl , WK StPO § 259 Rz 1) Freisprüche enthält, wurde Dipendra K***** jeweils eines Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (1./) und der Nötigung nach §§ 15 Abs 1, 105 Abs 1 StGB (2./) schuldig erkannt.
Danach hat er (zu ergänzen:) in I*****
1./ am 17. März 2014 Merina K***** durch Tritte gegen das Becken und die Beine vorsätzlich am Körper in Form von Hautabschürfungen am linken Knie und über dem Brustbein sowie Hämatomen im Bereich beider Knie, am rechten Oberarm und am linken Unterarm verletzt;
2./ im September 2012 Eva Maria Z***** und Melanie S***** durch die Äußerung, sie sollen die Wohnung verlassen, ansonsten werde er sie die Treppe hinunter stoßen, somit durch gefährliche Drohung mit einer Körperverletzung, zu einer Handlung, nämlich zum Verlassen der Wohnung, zu nötigen versucht.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen (nominell) aus Z 5, 9 lit a, 10a und 11 des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde verfehlt ihr Ziel.
Der gegen den Schuldspruch 1./ gerichteten Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) zuwider steht der Umstand, dass die Zeugen Eva-Maria Z*****, Melanie S***** und Alexander R***** keine Wahrnehmungen hinsichtlich der festgestellten Verletzungen am Körper der Merina K***** gemacht haben, den diesbezüglichen Annahmen des Erstgerichts (US 11) nicht erörterungsbedürftig entgegen (vgl Ratz , WK StPO § 281 Rz 421).
Entsprechend dem Gebot zu gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) ist das Gericht weder gehalten, den vollständigen Inhalt sämtlicher Aussagen und Verfahrensergebnisse im Einzelnen zu erörtern, noch sich mit den Beweisresultaten in Richtung aller
denkbaren Schlussfolgerungen auseinanderzusetzen (RIS Justiz RS0106642 [T5]). Daran geht die Beschwerde vorbei, die nach Maßgabe eigenständiger Beweiswerterwägungen dahingehend spekuliert, dass die dem Angeklagten angelasteten Verletzungen auch aus einer am Tattag stattgefundenen körperlichen Auseinandersetzung zwischen Melanie und Merina K***** herrühren könnten.
Gleiches gilt für den Hinweis, dass Melanie K***** von Tritten gegenüber Merina K***** nichts berichtete.
Der Vorwurf der Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) wegen „unrichtiger oder unvollständiger“ Wiedergabe des Verletzungsattests der Universitätsklinik I***** übersieht, dass nur die erheblich unrichtige Wiedergabe des Inhalts eines Beweismittels in den Entscheidungsgründen den erwähnten Nichtigkeitsgrund herstellt; aus Beweisergebnissen gezogene Schlussfolgerungen der Tatrichter scheiden insoweit als Anfechtungsbasis aus (RIS Justiz RS0099431). Mit eigenständigen Hypothesen betreffend die ärztliche Feststellung multipler Hämatome unterschiedlichen Alters bekämpft der Beschwerdeführer vielmehr die Beweiswürdigung des Schöffengerichts nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung.
Die gegen den Schuldspruch 2./ gerichtete Mängelrüge geht mit ihrer Kritik (Z 5 fünfter Fall), wonach der Angeklagte nicht mit dem „Stoßen“, sondern mit dem „Schubsen“ gedroht hätte, schon angesichts der weitgehend synonymen Verwendung beider Begriffe im Sprachgebrauch (vgl Duden , Die deutsche Rechtschreibung) ins Leere. Im Übrigen übersieht der Beschwerdeführer, dass nach den insoweit maßgebenden, aber unbekämpft gebliebenen Feststellungen des Schöffensenats der Bedeutungsinhalt der Äußerung (vgl dazu Jerabek in WK 2 StGB § 74 Rz 34; Kienapfel/Schroll , StudB BT I 3 § 105 Rz 34 f) in der Zufügung einer Körperverletzung bestand (US 13).
Über eben diese Konstatierung setzt sich die Rechtsrüge (Z 9 lit a) mit ihrer Behauptung hinweg, bei der festgestellten Drohung handle es sich um eine solche mit einer körperlichen Misshandlung. Damit verfehlt die Beschwerde jedoch den im festgestellten Sachverhalt gelegenen Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (vgl RIS Justiz RS0099810).
Entsprechendes gilt mit Blick darauf, dass der Schöffensenat von der Ernstlichkeit der Drohung ausging (US 12, 13; vgl Ratz , WK StPO § 281 Rz 19) für den Einwand, es läge bloß eine „situationsbedingte Unmutsäußerung“ vor (RIS Justiz RS0112523).
Weshalb der vorliegende Schuldspruch von (als fehlend monierten) Feststellungen zur konkreten Beschaffenheit der Treppe abhängen soll, macht das Rechtsmittel nicht deutlich.
Die gesetzmäßige Ausführung einer Diversionsrüge (Z 10a) erfordert eine methodisch korrekte Argumentation auf Basis der Tatsachenfeststellungen unter Beachtung der Notwendigkeit des kumulativen Vorliegens sämtlicher Diversionsvoraussetzungen (RIS Justiz RS0124801, RS0116823). Diesen Anforderungen wird die Beschwerde (nominell Z 10a und Z 11, der Sache nach nur Z 10a) schon deshalb nicht gerecht, weil sie sich im bloßen Hinweis auf die Unbescholtenheit des Angeklagten und auf die Wiedergabe allgemeiner Rechtssätze zu (nunmehr richtig:) § 198 Abs 2 Z 2 StPO erschöpft.
Bleibt lediglich der Vollständigkeit halber anzumerken, dass die für eine diversionelle Erledigung unentbehrliche Verantwortungsübernahme die bei allen Diversionsvarianten vorgesehene innere Bereitschaft zur Schadensgutmachung oder zum Tatfolgenausgleich erfordert, welche nur bei entsprechendem Unrechtsbewusstsein möglich ist (RIS Justiz RS0126734, RS0116299; Schroll , WK StPO § 198 Rz 36/1 ff). Derartiges behauptet die Beschwerde (zu Recht) nicht.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufung folgt (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung gründet auf § 390a Abs 1 StPO.