4Ob226/14k – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr.
Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher sowie die Hofrätin Dr. A. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Alfred Feitsch, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei N***** GmbH, *****, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Rechnungslegung (Streitwert 32.000 EUR) und Zahlung (Stufenklage), über den Rekurs der beklagten Partei (Rekursinteresse 32.000 EUR) gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 30. Jänner 2014, GZ 5 R 265/12w 95, mit dem das Teilurteil des Handelsgerichts Wien vom 5. Oktober 2012, GZ 10 Cg 114/08g 87, aufgehoben wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
1. Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
2. Die Bekanntgabe der beklagten Partei vom 19. März „2014“ (richtig: 2015) wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Die Klägerin ist eine Verwertungsgesellschaft nach dem VerwGesG, die zur Einhebung von Vergütungen nach § 42b Abs 1 UrhG aktiv legitimiert ist. Sie veröffentlichte für die Zeit ab 1. 1. 2006 einen Tarif für integrierte und wechselbare Speicher aller Art in oder für MP3-Player, Audio-/Video-Player und dergleichen in Mobiltelefonen.
Die Beklagte bringt in Österreich gewerbsmäßig entgeltlich Mobiltelefone als erste in Verkehr, die neben zahlreichen anderen, ebenfalls Speicherplatz benötigenden Funktionen (wie Versenden, Empfang und Speichern von SMS-Nachrichten und E-Mails, Aufnehmen und Speichern von Fotos und Videos, Internet, Spiele, Terminkalender, Telefonbuch, GPS, Sprachaufzeichnung oder FM-Radioempfang) über eine Funktion zur Speicherung und Wiedergabe von Musiktiteln („Music-Player-Funktion“) verfügen („Musik-Handys“).
Es ist möglich, auf einem PC gespeicherte oder auf CDs enthaltene Musik, aber auch Fotos oder Videofilme auf den Speicher eines Handys zu übertragen und dort abzuspeichern. Zwischen jenen Mobiltelefonen der Beklagten, die mit einer Bluetooth-Funktion ausgestattet sind, können Musiktitel (auch in Paketen einer größeren Zahl von Titeln), aber auch andere Daten wie Fotos oder Videos übertragen werden. Die mit einer Music-Player-Funktion ausgestatteten Handys können ebenso wie MP3-Player Musikstücke einfach abspeichern und über Kopfhörer oder Lautsprecher in klanglich guter Qualität wiedergeben. MP3-Player sind allerdings oft leichter und kleiner als Mobiltelefone.
91 % der Österreicher ab zehn Jahren besitzen zumindest ein Mobiltelefon; 44 % von ihnen (rund 3.033.000 Österreicher) haben ein Mobiltelefon der Beklagten. 60 % der Verwender eines Mobiltelefons der Beklagten (24 % der Gesamtbevölkerung bzw rund 1.820.000 Personen) besitzen ein Handy mit Music-Player-Funktion; 53 % von ihnen (13 % der Gesamtbevölkerung oder rund 965.000 Personen) nutzen diese Funktion auch; auf ihren Mobiltelefonen sind durchschnittlich je 127 Musiktitel gespeichert. Diese gespeicherten Musiktitel stammen zu 53 % von einem PC, zu 34 % von einem anderen Mobiltelefon, zu 7 % aus einem Einzeldownload und zu 1 % aus einem Download im Rahmen eines Abos.
Bei den Telefonmodellen der Beklagten, die über eine Music-Player-Funktion verfügen, liegt die interne Speicherkapazität (ohne zusätzliche Speicherkarte) bei durchschnittlich 1.039 MB. Im Vergleich dazu beträgt der Durchschnittswert für Mobiltelefone ohne Music-Player-Funktion 315 MB. Mobiltelefone, die von ihren Benutzern zur Speicherung von Musiktiteln verwendet werden, verfügen über eine durchschnittliche interne Speicherkapazität von 1.449 MB. Bei Mobiltelefonen, die über eine Music-Player-Funktion verfügen, aber nicht zum Abspeichern von Musiktiteln verwendet werden, liegt die durchschnittliche Speicherausstattung bei 687 MB.
Der Speicherplatz der Mobiltelefone der Beklagten ist durchschnittlich mit 576 MB belegt. Mobiltelefone mit Music-Player-Funktion weisen eine durchschnittliche Speicherbelegung von 652 MB auf. Von den Mobiltelefonen mit Music-Player-Funktion ist der Speicher jener Telefone, die von den Benutzern zum Abspeichern von Musiktiteln verwendet werden, mit durchschnittlich 707 MB belegt. Von den Mobiltelefonen mit Music-Player-Funktion ist der Speicher jener Telefone, die von den Benutzern nicht zum Abspeichern von Musiktiteln verwendet werden, mit durchschnittlich 585 MB belegt.
22 % der Besitzer von Mobiltelefonen der Beklagten verfügen über eine zusätzliche Speicherkarte. Deren Kapazität liegt bei durchschnittlich 2.920 MB.
Fasst man die Belegung der internen Speicher der Mobiltelefone der Beklagten und der in ihnen verwendeten zusätzlichen Speicherkarten als einheitliche Speicherbelegung auf, so beträgt diese im Durchschnitt 924 MB. Für Mobiltelefone mit Music-Player-Funktion ergibt sich ein durchschnittlich belegter Speicher von 1.171 MB. Bei Mobiltelefonen ohne Music-Player-Funktion beträgt der Durchschnittswert 44 MB. Unter den Mobiltelefonen mit Music-Player-Funktion weisen jene Geräte, bei denen die Funktion genützt wird, eine durchschnittliche Speicherbelegung von 1.519 MB auf. Jene Geräte, bei denen die Funktion nicht genützt wird, haben eine Speicherbelegung von durchschnittlich 783 MB.
Hochgerechnet auf die österreichische Gesamtbevölkerung sind auf den in Verwendung stehenden, mit einer Music-Player-Funktion ausgestatteten Mobiltelefonen der Beklagten zumindest 118.300.000 Musiktitel gespeichert. Es kann nicht festgestellt werden, bei welchem Anteil dieser Titel die Vervielfältigung mit Einwilligung der Urheber oder unter Einsatz technischer Schutzmaßnahmen erfolgte oder dass dies für einen maßgeblichen Anteil zutrifft.
Die Klägerin begehrt mit ihrer Stufenklage von der Beklagten Rechnungslegung bzw Auskunftserteilung über das von ihr seit 1. 1. 2006 im Inland gewerbsmäßig entgeltlich als erste in Verkehr gesetzte Trägermaterial iSd § 42b Abs 1 UrhG, das in Mobiltelefonen mit Music-Player-Funktion integriert oder zu deren Speichererweiterung bestimmt ist, und Zahlung des sich daraus ergebenden Betrags. Sie macht im Wesentlichen geltend, die in den Mobiltelefonen der Beklagten integrierten Speichermedien bzw die sonst von ihr in Verkehr gesetzten externen Speichermedien für diese Geräte seien Trägermaterialien iSd § 42b UrhG. Bei der Audiospeicherung und -wiedergabe handle es sich nicht nur um eine untergeordnete Funktion der Musik-Handys. Die Vergütungspflicht greife auch in Fällen, in denen Musik von einer illegalen Quelle heruntergeladen werde. Das Herunterladen von Werken von einer legalen Plattform sei eine Bezugsquelle von derart geringer Bedeutung, dass sie auf die Frage der Vergütungspflicht des verfahrensgegenständlichen Trägermaterials keinen nennenswerten Einfluss haben könne.
Die Beklagte wendet zusammengefasst ein, Handys mit MP3-Funktion unterlägen nicht der Leerkassettenvergütung, weil es sich dabei um Geräte handle, deren Speicher wie die Festplatte eines PC nicht in weit überwiegendem Maß für Vervielfältigungen zum eigenen oder privaten Gebrauch benutzt würden. Am Markt bestehe eine klare Unterscheidung zwischen MP3-Playern und Handys. Der MP3-Funktion eines Handys komme im Vergleich mit den vielen weiteren Funktionen eines solchen Geräts nur untergeordnete Bedeutung zu. Soweit auf ein Handy Musik von einer illegalen Quelle (insbesondere einer nicht lizenzierten Tauschbörse) heruntergeladen werde, greife die Vervielfältigung zum eigenen bzw privaten Gebrauch gar nicht, weil diese voraussetze, dass von einer legalen Kopie, wie etwa einer gekauften CD kopiert werde. Die Leerkassettenvergütung sei nämlich kein Äquivalent zur Raubkopie. Soweit von einer legalen Plattform (wie etwa iTunes) heruntergeladen werde, sei die Kopie lizenziert und der Benutzer müsse für den Download zahlen. Eine Doppelzahlung (Download-Gebühr und Leerkassettenvergütung) wolle die Richtlinie 2001/29/EG (Info-RL) gerade nicht. Insgesamt verbleibe somit bei den hier zu prüfenden Handys nur eine sehr geringe Nutzung, die nicht zu mehr als geringen Nachteilen für die Rechteinhaber führen könne, sodass auch aus dieser Sicht keine Vergütungspflicht bestehen sollte. Handy-Nutzer, die von ihren eigenen CDs MP3-Dateien anfertigen und auf ihr Handy übertragen, würden keine zweite CD mit derselben Musik kaufen, um diese zu hören. Durch dieses sogenannte „Format Shifting“ entstehe daher kein oder nur ein minimaler Schaden der Rechteinhaber. Internet-Plattformen, von denen Musik legal auch ohne Kopierschutz heruntergeladen werden könne, ließen sich das Entfernen des Kopierschutzes durch ein zusätzliches Entgelt abkaufen, sodass die weitere Nutzung bereits durch einen Pauschalbetrag abgegolten werde. Die Nutzungsbedingungen im Online-Musikgeschäft erlaubten dem Nutzer bestimmte Vervielfältigungshandlungen und Übertragungen und könnten daher nicht als Privatkopien iSd § 42 Abs 4 UrhG angesehen werden.
Eine unterschiedslose Anwendung der Abgabe für private Kopien auf Anlagen, Geräte und Medien zur digitalen Vervielfältigung, die nicht privaten Nutzern überlassen würden und eindeutig anderen Verwendungen als der Anfertigung von Privatkopien vorbehalten seien, sei nicht mit der Info-RL vereinbar; da § 42b UrhG keine solche Unterscheidung treffe, sei diese Bestimmung nicht anzuwenden. Auch § 13 VerwGesG sei verfassungs- und richtlinienwidrig, weil demnach die Hälfte der Gesamteinnahmen aus der Leerkassettenvergütung sozialen und kulturellen Zwecken dienenden Einrichtungen zuzuführen sei und nicht den Rechteinhabern iSd Art 5 Abs 2 lit b Info RL zukomme.
Das Erstgericht gab dem Rechnungslegungsbegehren mit Teilurteil statt und behielt die Entscheidung über das bisher unbezifferte Zahlungsbegehren dem Endurteil vor. Bei den in den Mobiltelefonen der Beklagten enthaltenen Speichermedien - nicht aber auch den zusätzlichen, für den Einsatz in den Mobiltelefonen bestimmten Speicherkarten handle es sich, weil in ihnen zumindest die für den Betrieb der zahlreichen Funktionen erforderlichen Programme enthalten seien, um für die Vervielfältigung zum eigenen oder privaten Gebrauch bestimmtes Trägermaterial iSd § 42b Abs 1 UrhG. Für das grundsätzliche Bestehen der Vergütungspflicht sei es nicht von Bedeutung, in welchem exakten Ausmaß die einzelnen Funktionen der Mobiltelefone verwendet würden. Da das System des § 42b UrhG keine Geräteabgabe vorsehe, sondern an die Trägermaterialien anknüpfe, sei relevante Beurteilungsgrundlage die Nutzung des Speichers; diese sei aber bei den mit einer Music-Player-Funktion ausgestatteten Mobiltelefonen signifikant höher als bei jenen ohne eine solche Funktion. Einem Anspruch auf einen „gerechten Ausgleich“ könnte nach der Info-RL entgegenstehen, dass mit der Vervielfältigung bloß ein „geringfügiger Schaden“ verbunden sei. Von einem solchen geringfügigen Schaden könne aber angesichts der Tatsache, dass auf den verfahrensgegenständlichen Mobiltelefonen bzw Speicherkarten insgesamt mehr als 118 Millionen Werke gespeichert seien, nicht gesprochen werden. Auch die Vervielfältigung von illegal erlangten Werken sei bei der Bemessung des Schadens zu berücksichtigen.
Das Berufungsgericht hob dieses Teilurteil infolge Berufung der Beklagten auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Dass es sich bei in die Geräte integrierten oder auch wechselbaren digitalen Speicherchips für MP3-Player, die in weit überwiegendem Maß für Vervielfältigungen zum eigenen oder privaten Gebrauch benutzt würden, um von § 42b Abs 1 UrhG erfasstes unbespieltes Trägermaterial handle, das auch der Leerkassettenvergütung unterliege, ergebe sich bereits aus der Entscheidung 4 Ob 115/05y Gericom. Erst jüngst habe der Oberste Gerichtshof aber zu 4 Ob 138/13t ausgesprochen, dass die in der Gericom-Entscheidung vertretene Auffassung, Festplatten für Computer würden in wirtschaftlich nicht zu vernachlässigendem Ausmaß multifunktional verwendet und fielen deshalb nicht unter § 42b Abs 1 UrhG, im Lichte der jüngeren Rechtsprechung des EuGH nicht aufrecht zu erhalten sei; der bloße Umstand, dass Festplatten auch zu anderen Zwecken genutzt werden könnten und offenbar auch tatsächlich genutzt würden also die „Multifunktionalität“ dieser Speichermedien schließe das Bestehen der Vergütungspflicht nicht aus. Bei den hier zu beurteilenden Trägermaterialien in Musik-Handys handle es sich ebenfalls um multifunktionale Speichermedien. Ausgehend vom festgestellten Ausmaß der Nutzung der Speicherkapazitäten der Musik-Handys der Beklagten sei die maßgebliche Schwelle des „geringfügigen Nachteils“ im Sinn von Erwägungsgrund 35 der Info-RL jedenfalls überschritten. Die abgespeicherten Musiktitel würden zu 53 % von einem PC und zu 34 % von einem anderen Mobiltelefon bezogen, stammten also in weit überwiegendem Ausmaß aus Vervielfältigungen, die offenkundig nicht durch technische Schutzmaßnahmen unterbunden worden seien. Nur zu einem sehr kleinen Teil würden sie aus Downloads aus dem Internet bezogen. Der Einwand der Beklagten, das üblicherweise kostenpflichtige Herunterladen lizenzierter Kopien von einer der vielen legalen Plattformen führe zu einer von der Info-RL nicht erlaubten Doppelzahlung, könne daher auf maximal 8 % aller Vervielfältigungen zutreffen; diese Möglichkeit sei deshalb angesichts der gebotenen typisierten Betrachtungsweise bei der Beurteilung, ob Speichermedien in Musik-Handys grundsätzlich der Leerkassettenvergütung unterworfen seien, vernachlässigbar und erst bei der nach § 42b Abs 4 UrhG vorzunehmenden Bemessung der Vergütung zu berücksichtigen. Dass das Erstgericht zum Einwand der Beklagten, durch das „Format-Shifting“ entstehe den Rechteinhabern höchstens ein minimaler Schaden, keine Feststellungen getroffen habe, schade nicht, weil der Begriff des Schadens oder Nachteils für die Rechteinhaber nicht im Sinn eines tatsächlich entstehenden und nachzuweisenden Schadens zu verstehen sei, sondern im Sinn eines allgemeinen Ausgleichs der mit der Zulässigkeit der privaten Überspielung für Rechteinhaber verbundenen Nachteile. Dabei komme es nicht darauf an, ob bzw in welchem Verhältnis anstelle zulässigerweise „überspielter“ Ton- oder Bildtonträger bespielte Speichermedien in jedem Einzelfall auch tatsächlich verkauft worden wären. Auf die Frage der Vergütungspflicht für das Herunterladen von Musik aus illegalen Quellen komme es hier nicht an, weil ein solcher Vorgang grundsätzlich einen Download der Daten aus dem Internet voraussetze, sodass nach den Feststellungen davon nur eine Minderzahl aller Vervielfältigungen betroffen sein könne und diese Speichervorgänge bei einer typisierten Betrachtungsweise somit nicht ins Gewicht fielen. Ob der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch bestehe, könne allerdings aus den vom Obersten Gerichtshof zu 4 Ob 142/13f genannten Gründen noch nicht abschließend beurteilt werden. Auch hier bedürfe es nämlich einer Erörterung und Prüfung der vom EuGH in seiner Vorabentscheidung C 521/11, Amazon , genannten Voraussetzungen der Unionsrechtskonformität des Vergütungssystems nach § 42b UrhG.
Das Berufungsgericht erklärte den Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss für zulässig, weil bisher oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Vergütungspflicht für Trägermaterial in Musik-Handys, insbesondere zur Ermittlung des die Schwelle der Geringfügigkeit übersteigenden Schadens der Rechteinhaber, fehle.
In ihrem Rekurs steht die Beklagte zusammengefasst auf dem Standpunkt, die vom Berufungsgericht angeordnete Verfahrensergänzung sei nicht erforderlich, weil das Klagebegehren jedenfalls abzuweisen sei. Das Trägermaterial in ihren Mobiltelefonen unterliege nämlich mangels eines über die Geringfügigkeitsschwelle hinausgehenden Schadens bzw Nachteils für die Rechteinhaber von vornherein nicht der Leerkassettenvergütung.
Die Klägerin beantragt in ihrer Rekursbeantwortung , den Rekurs als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist wegen der gebotenen Auseinandersetzung mit den seit der Berufungsentscheidung ergangenen Vorabentscheidungen des EuGH vom 10. 4. 2014, C-435/12, ACI Adam , und vom 5. 3. 2015, C-463/12, Copydan/Nokia , zulässig , er ist aber nicht berechtigt .
1. In der Entscheidung C 463/12 hat der EuGH klargestellt, dass multifunktionale Träger, wie beispielsweise Speicherkarten von Mobiltelefonen, grundsätzlich der Vergütungspflicht unterliegen; soweit allerdings der den Rechteinhabern entstehende Nachteil als geringfügig angesehen würde, wäre es möglich , dass das Bereitstellen dieser Funktion keine Verpflichtung zur Zahlung des gerechten Ausgleichs iSd Art 5 Abs 2 lit b Info-RL entstehen lässt (Rn 29).
2. Es ist daher zu untersuchen, ob den Rechteinhabern durch Privatkopien mittels Musik-Handys ein mehr als bloß geringfügiger Schaden entsteht.
2.1. Entgegen der (auch) im Rekurs vertretenen Ansicht der Beklagten hat die Klägerin in erster Instanz ausreichend substanziiertes Vorbringen zu diesem Thema erstattet.
2.2. Es kann keine Rede davon sein, dass sich aus den Feststellungen mit Sicherheit ergäbe, dass den Rechteinhabern durch nach § 42 Abs 4 UrhG zulässige Privatkopien kein oder nur ein geringfügiger Schaden entstünde:
2.2.1. Der Argumentation der Beklagten, es stehe gar nicht fest, dass die gespeicherten Musiktitel überhaupt noch urheberrechtlich geschützt seien, ist zu erwidern, dass es nach der Rechtsprechung des EuGH im Hinblick auf die praktischen Schwierigkeiten, die privaten Nutzer zu identifizieren und sie zu verpflichten, den Inhabern des ausschließlichen Vervielfältigungsrechts den ihnen zugefügten Nachteil zu vergüten, den Mitgliedstaaten freisteht, zur Finanzierung des gerechten Ausgleichs eine Privatkopievergütung einzuführen, die nicht die betreffenden Privatpersonen, sondern diejenigen belastet, die über Anlagen, Geräte und Medien zur digitalen Vervielfältigung verfügen und sie zu diesem Zweck Privatpersonen rechtlich oder tatsächlich zur Verfügung stellen oder ihnen die Dienstleistung einer Vervielfältigung erbringen, und dass insoweit der Nachweis nicht erforderlich ist, dass natürliche Personen mithilfe dieser Anlagen, Geräte und Medien tatsächlich Vervielfältigungen zu privaten Zwecken angefertigt haben. Bei natürlichen Personen wird nämlich berechtigterweise vermutet, dass sie die Zurverfügungstellung der Anlagen vollständig ausschöpfen. Demnach reicht die bloße technische Fähigkeit von Anlagen, Geräten und Medien, die natürlichen Personen als privaten Nutzern zur digitalen Vervielfältigung überlassen wurden, aus, um die Anwendung der Privatkopievergütung zu rechtfertigen (C-463/12, Rn 23, 24 und 25 mwN).
Aus diesem Grund ist also eine Durchschnittsbetrachtung zulässig; es ist aber notorisch, dass analoge Speichermedien mittlerweile im Verschwinden begriffen sind und sukzessive durch digitale Speichermedien ersetzt werden, die auch in wirtschaftlich bedeutendem Ausmaß zur Vervielfältigung von urheberrechtlich geschützten Werken genutzt werden (4 Ob 138/13t - HP).
2.2.2. Der EuGH hat bereits in der Entscheidung C-435/12, ACI Adam , ausgesprochen, dass die Info-RL nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, die nicht danach unterscheiden, ob die Quelle, auf deren Grundlage eine Vervielfältigung zum privaten Gebrauch angefertigt wurde, rechtmäßig oder unrechtmäßig ist (Rn 58).
In der Entscheidung C-463/12, Copydan/Nokia , hat er ergänzend ausgeführt, dass diese Richtlinie einer nationalen Regelung entgegensteht, die einen gerechten Ausgleich für Vervielfältigungen auf der Grundlage von unrechtmäßigen Quellen, also von geschützten Werken, die der Öffentlichkeit ohne Erlaubnis der Rechteinhaber zur Verfügung gestellt wurden, vorsieht (Rn 79).
Die Beklagte hat allerdings in erster Instanz gar nicht behauptet, dass die überwiegende Anzahl der auf den von ihr in Verkehr gebrachten Musik-Handys gespeicherten Musiktiteln aus unrechtmäßigen Quellen stammten; für eine solche Annahme besteht auch kein Anhaltspunkt.
2.2.3. Zwischen den Parteien ist nicht strittig, dass (legale) unmittelbare Downloads von Internet-Plattformen (also der „Kauf“ von Musikstücken, der wirtschaftlich dem Erwerb einer bespielten CD entspricht) nicht der Privatkopievergütung unterliegen. Daraus ist für die Beklagte allerdings nichts zu gewinnen, weil nur ein bei der gebotenen typisierten Betrachtung vernachlässigbarer Anteil der auf den von ihr in Verkehr gebrachten Musik-Handys gespeicherten Titel (8 %) aus solchen unmittelbaren Downloads stammt.
2.2.4. Der Beklagten ist zuzugestehen, dass die (auf dem eingeholten Sachverständigengutachten basierende) Feststellung, dass 53 % der auf ihren Musik-Handys gespeicherten Musiktitel „von einem PC“ und 34 % „von einem anderen Mobiltelefon“ stammen, nicht erkennen lässt, auf welchem technischen Weg diese Musiktitel auf die Festplatte des PC oder das andere Handy gelangt sind. Dies schadet allerdings nicht, weil die Übertragung eines solchen Musiktitels auf ein Musik-Handy der Beklagten jedenfalls eine dem Grunde nach vergütungspflichtige Privatkopie darstellt. Daran kann auch das von der Beklagten ausführlich dargelegte technische Erfordernis des „Format-Shifting“ nichts ändern. Es kann nämlich keine Rede davon sein, dass eine solche „Transformation“ eines Musikstücks ein Phänomen der digitalen Vervielfältigung wäre; bereits zur Zeit der Einführung der Leerkassettenvergütung im Jahr 1980 war es nämlich möglich (und vergütungspflichtig), auf einer gekauften Langspielplatte gespeicherte Musik auf eine Audiokassette zu überspielen, um diese beispielsweise unterwegs mittels Walkman anhören zu können.
2.2.5. Dem Standpunkt der Beklagten, der Nutzer einer Online-Musikplattform erwerbe durch Bezahlung des Downloads gleichzeitig das Recht, Kopien von diesem Musikstück anzufertigen, sodass diese nicht nochmals vergütungspflichtig sein könnten, ist durch die Rechtsprechung des EuGH der Boden entzogen:
Nach der Entscheidung vom 27. 6. 2013, C 457/11 bis C-460/11, VG Wort , hat dann, wenn ein Mitgliedstaat auf Basis von Art 5 Abs 2 oder Abs 3 der Info RL jede Befugnis der Rechteinhaber zur Genehmigung der Vervielfältigung ihrer Werke oder sonstigen Schutzgegenstände ausgeschlossen hat, eine etwaige Zustimmung dieser Rechteinhaber im Recht dieses Staates keine Rechtswirkungen; sie wirkt sich somit aufgrund der Einführung der die Befugnis ausschließenden Maßnahme nicht auf den Schaden aus, der den Rechteinhabern entstanden ist, und kann daher keinen Einfluss auf den gerechten Ausgleich haben (Rn 37, Rn 40).
In der Entscheidung C-463/12, Copydan/Nokia , hat der EuGH unter Berufung auf die zuletzt genannte Entscheidung (Rn 65) Folgendes ausgeführt:
Da unter Umständen wie den in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils genannten die Erlaubnis keine Rechtswirkungen entfaltet, kann sie als solche für den Nutzer der betreffenden Dateien keine Verpflichtung begründen, irgendeine Vergütung für die private Vervielfältigung an den Rechtsinhaber, der ihre Verwendung erlaubt hat, zu zahlen.
In Anbetracht dessen ist auf Frage 1 Buchst. a und b zu antworten, dass die Richtlinie 2001/29 dahin auszulegen ist, dass, wenn ein Mitgliedstaat aufgrund von Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie beschlossen hat, im materiellen Geltungsbereich dieser Bestimmung jede Befugnis der Rechtsinhaber zur Genehmigung der privaten Vervielfältigung ihrer Werke auszuschließen, die von einem Rechtsinhaber erteilte Zustimmung zur Verwendung der Dateien mit seinen Werken keinen Einfluss auf die Verpflichtung zu einem gerechten Ausgleich für die gemäß Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie mit Hilfe dieser Dateien erstellten Vervielfältigungen haben kann und als solche für den Nutzer der betreffenden Dateien keine Verpflichtung begründen kann, irgendeine Vergütung an den Rechtsinhaber zu zahlen (Rn 66, 67).
Diese Ausführungen können im Zusammenhang mit der zitierten Vorentscheidung, von der der EuGH offensichtlich nicht abgehen wollte, nur so verstanden werden, dass die Verpflichtung zur Zahlung der Privatkopievergütung (Leerkassettenvergütung) durch eine vom Rechteinhaber (etwa im Rahmen eines Downloads von einer Internet-Plattform) erteilte Zustimmung zur Anfertigung von Kopien nicht beseitigt wird (in diesem Sinne auch Heidinger , Zum „gerechten Ausgleich“ bei multifunktionalen Trägern, ÖBl 2015, 146 [im Druck]).
2.3. Mit ihrer weiteren Argumentation, in der bloßen Nutzung bzw Vervielfältigung eines Musikstücks sei jedenfalls kein Nachteil bzw Schaden für die Rechteinhaber zu erblicken, übergeht die Beklagte, dass der EuGH in der Entscheidung C-467/08, Padawa n, klargestellt hat, dass durch den gerechten Ausgleich den Urhebern die ohne ihre Genehmigung erfolgte Nutzung ihrer geschützten Werke „angemessen“ vergütet werden soll und bei der Festlegung der Höhe dieses Ausgleichs als „brauchbares Kriterium“ der sich für den Urheber durch die fragliche Vervielfältigungshandlung ergebende „etwaige Schaden“ zu berücksichtigen ist, wobei jedoch ein „geringfügiger Nachteil“ keine Zahlungsverpflichtung begründen kann (Rn 39).
Demgemäß stehen die Konzeption und die Höhe des gerechten Ausgleichs mit dem Schaden in Zusammenhang, der sich für den Urheber aus der Vervielfältigung seines geschützten Werks ergibt, wenn sie ohne seine Genehmigung für den privaten Gebrauch erfolgt. Unter diesem Blickwinkel ist der gerechte Ausgleich als eine Gegenleistung für den dem Urheber entstandenen Schaden zu sehen (Rn 40). Der gerechte Ausgleich muss folglich zwingend auf der Grundlage des Kriteriums des Schadens berechnet werden, der den Urhebern geschützter Werke durch die Einführung der Ausnahme für Privatkopien entstanden ist (Rn 42).
2.4. Nach der Entscheidung C-463/12, Copydan/Nokia , fällt es in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, in bestimmten Situationen, die in den Anwendungsbereich der Privatkopieausnahme fallen, eine Befreiung von der Zahlung des gerechten Ausgleichs vorzusehen, sofern den Rechteinhabern in diesen Situationen nur ein geringfügiger Nachteil entsteht, und den Schwellenwert für einen solchen Nachteil (im Einklang mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung) festzulegen (Rn 59).
Dass der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 4 Ob 138/13t HP den dort vorgebrachten Umfang der vergütungspflichtigen Nutzung von Festplatten als ausreichend beurteilt hat, um die Schwelle des „geringfügigen Nachteils“ im Sinn von Erwägungsgrund 35 der Info-RL zu überschreiten, lässt entgegen der Ansicht der Beklagten nicht den Umkehrschluss zu, die festgestellte Zahl der durchschnittlich auf den Musik-Handys gespeicherten Musikstücke, die naturgemäß deutlich geringer ist als jene, die durchschnittlich auf Computer-Festplatten gespeichert sind, wäre nicht ausreichend, einen mehr als nur geringfügigen Nachteil zu begründen. Auch wegen des Umstands, dass der den Rechteinhabern zugefügte Nachteil, der sich aus jeder privaten Nutzung ergeben kann, einzeln betrachtet möglicherweise als geringfügig erweist (C-467/08, Padawan , Rn 46), ist vielmehr auf die Anzahl der insgesamt gespeicherten Musikstücke (über 118 Millionen) abzustellen. Ausgehend davon kann aber keinesfalls von einem bloß geringfügigen Nachteil der Rechteinhaber gesprochen werden.
2.5. Die von der Beklagten angestrebte „Gesamtbetrachtung“, wonach auch die Vorteile (mindernd) zu berücksichtigen seien, die die Rechteinhaber aus der Ankurbelung und Belebung des Musikmarkts zögen, kann das Entstehen des Anspruchs dem Grunde nach nicht hindern.
3. Die „Rückwirkung“ der Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung der Leerkassettenvergütung für ihre seit 1. 1. 2006 in Österreich erstmalig in Verkehr gebrachten Musik-Handys ist schon deshalb nicht unzulässig, weil die gesetzliche Grundlage für diese Leerkassettenvergütung (also § 42b UrhG) lange vor diesem Zeitpunkt in Kraft getreten ist. Dass die Beklagte aufgrund ihrer - vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht davon ausgegangen ist, sie habe für diese Musik-Handys keine Vergütung zu leisten, kann daran nichts ändern. Im Übrigen musste der Beklagten bewusst sein, dass es bisher keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zu dieser Frage gab.
4. Das Erstgericht hat zwar zu den Handy Modellen 3110 und 6300i, hinsichtlich derer die Beklagte ausdrücklich bestritten hat, sie in Österreich jemals in Verkehr gebracht zu haben, mangels Beweisergebnissen keinerlei Feststellungen getroffen; es steht also nicht fest, dass hinsichtlich dieser Modelle die Voraussetzungen für die Verpflichtung der Beklagten zur Leistung der Leerkassettenvergütung vorliegen. Obwohl die Klägerin hiefür beweispflichtig ist (4 Ob 138/13t HP), ist das Rechnungslegungsbegehren aber (auch) insoweit nicht abzuweisen, weil die Rechnungslegungspflicht darin abstrakt umschrieben ist und die einzelnen Handy-Modelle nur beispielhaft („insbesondere“) angeführt werden.
5. Für die von der Beklagten angestrebte (gänzliche oder auch nur teilweise) Abweisung des Klagebegehrens ist damit (jedenfalls derzeit) kein Raum. Die von der Klägerin in ihrer Rekursbeantwortung mit der Begründung, die vom Berufungsgericht aufgetragene Verfahrensergänzung sei nicht erforderlich, angestrebte Wiederherstellung des Ersturteils muss bereits daran scheitern, dass sie den Aufhebungsbeschluss unbekämpft gelassen hat und die Beklagte sich in ihrem Rekurs ausdrücklich nicht gegen die vom Berufungsgericht angeordnete Verfahrensergänzung gewendet hat.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 zweiter Satz ZPO. Obwohl der Rekurs in der Frage der Aufhebung und Zurückverweisung keinen Erfolg gehabt hat, war die Entscheidung über die Rekurskosten vorzubehalten, weil der Rekurs zur Klärung der Rechtslage beigetragen hat (RIS-Justiz RS0036035).
Die „Bekanntgabe“ der Beklagten vom 19. 3. 2015, bei der es sich um eine Stellungnahme zur Entscheidung C-463/12, Copydan/Nokia und damit inhaltlich um eine Ergänzung des Rekurses handelt, war zurückzuweisen, weil sie gegen den Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels verstößt (RIS-Justiz RS0041666 ua).