22Os4/14z – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 11. November 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Anwaltsrichter Dr. Mascher und Dr. Waizer sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Sailer in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Tagwerker als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen Mag. Reinhard S*****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes über die Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen Schuld und Strafe gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Tiroler Rechtsanwaltskammer vom 12. März 2014, AZ D 12 56, 3 DV 13 14, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Knibbe, des Kammeranwalts Dr. Schmidinger, des Disziplinarbeschuldigten und seiner Verteidigerin Dr. Tröthan zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Dem Disziplinarbeschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde Mag. Reinhard S***** schuldig erkannt, die Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes dadurch begangen zu haben, dass er
1. am 12. Juli 2012 das Schloss der Eingangstür der Wohnung Top W12 im Objekt *****, eigenmächtig durch die Si***** GmbH austauschen ließ und dadurch den ruhigen Besitz der I***** GmbH an diesem Objekt gestört hat;
2. im Zuge seiner Zeugenvernehmung vor dem Stadtpolizeikommando Innsbruck am 30. Juli 2012, GZ D1/27657/2012 LS, Nachstehendes ausgesagt hat: „Ich kenne den Herren K***** seit ca 15 Jahren, kenne ihn daher sehr gut und traue ihm daher ein Zusammenarbeiten mit Herrn G***** zu, indem sie beide oder einer für sich alleine unsere Firmentafel beschädigt haben könnten“, ohne konkrete Beweismittel für diese Verdächtigung ins Treffen führen zu können und dadurch Rechtsanwalt DI Mag. G***** unzulässig in den Streit gezogen hat;
3. in der Vertragssache der Verkäufer Elisabeth und Kurt T*****, Käuferin I***** GmbH, *****, betreffend den Kauf von jeweils 81/3230 Anteilen an der Liegenschaft EZ 1938, GB *****, trotz mehrfacher Aufforderungen die für die grundbücherliche Durchführung des Rechtsgeschäfts erforderlichen Originalurkunden nicht an den nunmehrigen Rechtsvertreter der I***** GmbH, Rechtsanwalt DI Mag. G*****, herausgegeben hat.
Mag. S***** wurde hiefür gemäß § 16 Abs 1 Z 2 DSt zu einer Geldbuße von 2.000 Euro als Zusatzstrafe zum Erkenntnis des Disziplinarrats der Tiroler Rechtsanwaltskammer vom 31. Jänner 2013, AZ (richtig:) D 11 45, 2 DV 12 19, verurteilt.
Rechtliche Beurteilung
Hiezu traf der Disziplinarrat zusammengefasst folgende wesentliche Feststellungen:
Zu Punkt 2.
Offensichtlich wurde das (gemeinsame) Kanzleischild der Kanzlei des Disziplinarbeschuldigten und seiner Verteidigerin Dr. T***** von der Fassade des Hauses, in dem sich diese befindet, heruntergerissen. Es wurde eine Strafanzeige über diesen Vorfall erstattet. Im Zuge seiner Vernehmung als Zeuge tätigte der Disziplinarbeschuldigte die im Spruch beschriebene Aussage. Diese Beschuldigung hat er einzig aufgrund der ihm von seiner Kanzleikollegin mitgeteilten Vermutungen erhoben. Weitere Nachforschungen oder Überprüfungen, ob tatsächlich ein konkreter Verdacht erhoben werden könne, habe er nicht vorgenommen. Insbesondere bestanden für ihn auch keine Anhaltspunkte, dass DI Mag. G***** gewalttätig oder als solches bekannt sei.
Zu Punkt 3.
Über Auftrag der Käuferin I***** GmbH verfasste der Disziplinarbeschuldigte den am 21. September 2011 unterfertigten Kaufvertrag mit den Verkäufern Kurt und Elisabeth T***** betreffend deren Miteigentumsanteile an einer Wohnung in A*****. Zwischen der Käuferin und dem vertragsverfassenden Rechtsanwalt und Treuhänder Mag. S***** wurde vereinbart, dass Letzterer aus eigenen Mitteln den Kaufpreis und die Nebenkosten vorfinanziert, wobei eine sofortige Eintragung der Käuferin im Grundbuch nicht erfolgen sollte, sondern vorgesehen war, dass nach Sanierung der Wohnung und Weiterverkauf erst die Eintragung des Eigentumsrechts des neuen Käufers erfolgen sollte. Der bei diesem Verkauf an den neuen Käufer erzielte Gewinn sollte zwischen dem Disziplinarbeschuldigten und der I***** GmbH geteilt werden. Zwischen der I***** GmbH und dem Disziplinarbeschuldigten wurde keine Vereinbarung darüber getroffen, wie die Abwicklung des Kaufvertrags erfolgen sollte, wenn das Vollmachtsverhältnis zwischen ihnen aufgelöst würde, bevor das Eigentumsrecht für den neuen Käufer einverleibt und die wechselseitigen Ansprüche abgerechnet wären. Insbesondere wurde auch keine Vereinbarung darüber getroffen, wie für diesen Fall eine Absicherung der Ansprüche des Mag. S***** erfolgen sollte.
Am 11. Juli 2012 kündigte der Disziplinarbeschuldigte der I***** GmbH, der IK***** KG und Thomas K***** sämtliche Mandate mit Ausnahme eines mit der Kaufvertragssache T***** nicht zusammenhängenden.
Mit E Mail vom 24. Juli 2012 ersuchte Rechtsanwalt DI Mag. G***** im Namen der Klienten um Übergabe der gekündigten Akten. Der Disziplinarbeschuldigte verweigerte in weiterer Folge die Herausgabe der erforderlichen Originalurkunden betreffend den gegenständlichen Kaufvertrag mit der Begründung, ihm stehe im Hinblick auf die mit der I***** GmbH getroffene Vereinbarung (pfandrechtliche Sicherstellung/Zurück-behaltung der Kaufurkunden) zu, die zu seiner Sicherheit in Verwahrung genommenen Urkunden (Kaufvertragsurkunde, Löschungsquittung und Ranganmerkungsbeschluss) weiterhin verwahrt zu halten, weil er im Rahmen seiner Gesellschafterstellung nicht als Rechtsanwalt tätig geworden sei. Er habe einen Verwahrungsvertrag mit der von ihm behaupteten mit der Käuferin bestehenden GesbR nicht als Rechtsanwalt abgeschlossen, weshalb er sich nicht veranlasst sehe, die bezüglichen Urkunden an die I***** GmbH herauszugeben. In der Zwischenzeit ist die Herausgabe dieser Urkunden an Rechtsanwalt DI Mag. G***** und die Verbücherung eines neuen Käufers durch Sprungeintragung erfolgt.
Der allein gegen die Schuldsprüche 2. und 3. sowie den Strafausspruch gerichteten Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO; RIS Justiz RS0128656 [T1]), Schuld und Strafe kommt keine Berechtigung zu.
Die sich gegen den Schuldspruchpunkt 2. wendende Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld vermag die Feststellung einer gänzlich substratlosen Verdächtigung (ES 5, 8) nicht in Frage zu stellen. Denn weder der Umstand eines „zeitlichen Zusammenhangs“ der Kanzleisitzverlegung des Disziplinarbeschuldigten (und seiner Verteidigerin) mit Beschädigungen deren Kanzleischildes noch die Aussage des Rechtsanwalts DI Mag. G*****, wonach ein Kollege wiederholt Lichtbilder des beschädigten Schildes angefertigt und ihm gesendet habe, vermag auch nur ansatzweise einen Tatverdacht gegen den Genannten zu begründen. Der Feststellung einer Absicht des Disziplinarbeschuldigten, gegen DI Mag. G***** Strafanzeige zu erstatten, oder eines durch die fälschliche Verdächtigung zu erlangenden Vorteils des Disziplinarbeschuldigten bedurfte es dessen Rechtsansicht zuwider mit Blick auf das von § 18 RL BA pönalisierte In den Streit Ziehen nicht, weist doch der Disziplinarrat zutreffend darauf hin, dass der Vorwurf des Disziplinarbeschuldigten für ihn als Rechtsanwalt vorhersehbar zu einer unnötigen Beschuldigtenvernehmung des Rechtsanwalts DI Mag. G***** führte.
Der Berufung wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) zuwider haftet dem Schuldspruch 3. keine unrichtige rechtliche Beurteilung an.
Die prozessordnungskonforme Geltendmachung eines (wie hier) materiell rechtlichen Nichtigkeitsgrundes erfordert das Festhalten am gesamten im (hier) Erkenntnis festgestellten Sachverhalt (RIS Justiz RS0099810). Diesen Anforderungen wird die Berufung, indem die Rechtsfolgebehauptung einer Verfügungsbefugnis des Disziplinarbeschuldigten über die hier in Rede stehenden für die grundbücherliche Durchführung des Kaufvertrags erforderlichen Urkunden auf erkenntnisfremde eigenständige Sachverhaltsannahmen gestützt wird, nicht gerecht. Denn eine auf deren Zurückbehaltung durch den Disziplinarbeschuldigten zwecks Sicherstellung seiner Kaufpreiskreditierung gerichtete Sicherungsvereinbarung mit der I***** GmbH für den hier entscheidenden, vom Berufungswerber gar nicht angesprochenen Fall der eingetretenen Mandatskündigung (§ 12 Abs 1 RAO) wurde vom Disziplinarrat ausdrücklich verneint (ES 6).
Parteien des gegenständlichen Rechtsgeschäfts waren lediglich die Verkäufer Elisabeth und Kurt T***** einerseits und die I***** GmbH andererseits. Unabhängig von allfälligen Abreden oder Gesellschaftskonstruktionen war der Disziplinarbeschuldigte gemäß § 12 Abs 1 RAO verpflichtet, einer der von ihm vertretenen Parteien, falls sie wie hier den betreffenden Wunsch an ihn heranträgt, die ihr gehörenden Urkunden und Akten im Original auszuhändigen.
Auch die Strafberufung geht fehl.
Zwar sind die vom Disziplinarrat angenommenen Strafzumessungsgründe insofern zu korrigieren, dass neben dem zur Wahrheitsfindung beitragenden Geständnis zu Punkt 1. dem Disziplinarbeschuldigten mit Blick auf die Bedachtnahme nach § 16 Abs 5 zweiter Satz DSt iVm §§ 31 Abs 1, 40 StGB der bisher ordentliche Lebenswandel als mildernd zu statten kommt. Allerdings fallen ihm demgemäß nicht drei, sondern vier jeweils zweifach qualifizierte Disziplinarvergehen zur Last.
Dass sich der Disziplinarbeschuldigte nicht bereichert hat, ist ohne Relevanz. Warum kein Schaden eingetreten sein soll, bleibt unerfindlich. Wurde doch der in Verdacht gezogene Rechtsanwalt vor der Polizei als Beschuldigter vernommen und mussten hinsichtlich der weiteren hier in Rede stehenden Fakten Gerichtsverfahren mit Kostenfolgen angestrengt werden.
Mit Blick auf den Unrechtsgehalt der Taten und die keineswegs geringe Schuld des Rechtsmittelwerbers sah sich der Oberste Gerichtshof zu keiner Änderung der vom Disziplinarrat angemessen ausgemittelten Sanktion bestimmt, findet diese doch auch in durchschnittlichen Lebensverhältnissen eines Rechtsanwalts volle Deckung.
Zur in der mündlichen Verhandlung begehrten Anrufung des Verfassungsgerichtshofs wegen vorgeblicher Verfassungswidrigkeit des § 59 Abs 4 DSt (Anwaltsrichter Dr. Waizer war Vorsitzender in dem Verfahren, auf dessen Erkenntnis nun hier Bedacht genommen wurde) besteht kein Anlass (Art 89 Abs 2 B VG).
Die Kostenentscheidung gründet auf § 54 Abs 5 DSt.