13Os94/14v – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 6. November 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig und Dr. Nordmeyer, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl in Gegenwart der Richteramtsanwärterin MMag. Spunda als Schriftführerin in der Strafsache gegen Mag. Günther I***** wegen des Verbrechens des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 erster Fall und Abs 3, 15 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 4. April 2014, GZ 16 Hv 33/13w-110, sowie seine Beschwerde gegen den zugleich gefassten Beschluss auf Widerruf einer bedingten Strafnachsicht nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Aus ihrem Anlass werden das Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch II, demgemäß auch im Strafausspruch und im Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche der L***** AG sowie der Beschluss auf Widerruf einer bedingten Strafnachsicht aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.
Mit seiner Berufung und seiner Beschwerde wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Ihm fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Mag. Günther I***** soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung im zweiten Rechtsgang (vgl zum ersten 13 Os 140/12f) des Verbrechens des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 (erster Fall) und Abs 3, 15 StGB (I und II) schuldig erkannt.
Danach hat er mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, Mitarbeiter folgender Unternehmen durch Täuschung über Tatsachen zu diese um einen 50.000 Euro übersteigenden Betrag schädigenden Handlungen verleitet oder zu verleiten versucht (II/A/2), und zwar
(I) am 30. September 2008 in St. P***** Angestellte der C***** (Cl***** B.V.) durch die Verschweigung seiner (im angefochtenen Urteil näher bezeichneten) rechtskräftigen Verurteilung wegen des Vergehens des schweren Betrugs und durch die gegen seine (ausdrückliche) vertragliche Verpflichtung verstoßende Verschweigung der Tatsache, dass die Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung als Gewerbebehörde (auf die im Urteil beschriebene Weise [gemäß §§ 13 Abs 1, 87 Abs 1 Z 1, 91 Abs 2 GewO]) gegen ihn ein Verfahren auf Entziehung der Gewerbeberechtigung eingeleitet hatte, zum Abschluss eines von ihm vermittelten Versicherungsvertrags mit Dr. Martina S***** und zur Überweisung einer Provision von 150.576,96 Euro auf das Vermittlerkonto der M***** GmbH;
(II) von Herbst 2010 bis Frühjahr 2011 in G***** und an anderen Orten Angestellte der L***** AG, teils unter Benützung falscher Urkunden, „durch Vorgabe der ordnungsgemäßen Abwicklung von Versicherungsgeschäften“, nämlich
(A) in fünf im Urteil näher bezeichneten Fällen durch Vorlage „fingierter“ Anträge auf Abschluss von Lebensversicherungen, wobei er in vier Fällen (in denen es beim Versuch blieb) die Unterschriften der (vorgeblichen) Versicherungsnehmer gefälscht hatte, zur Auszahlung von Provisionen im Gesamtbetrag von 176.685,20 Euro;
(B) im November 2010 und im März 2011 in zwei Fällen durch (dem jeweiligen Auftrag der Versicherungsnehmer widersprechendes) Unterlassen oder Hinauszögern der Weiterleitung deren Kündigungen an das Versicherungsunternehmen zur Unterlassung der Rückforderung von bereits ausgezahlten Provisionen von insgesamt 65.859,20 Euro.
Rechtliche Beurteilung
Die aus den Gründen der Z 5, 5a und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die sich ausschließlich gegen Punkt I des Schuldspruchs richtet, ist nicht berechtigt.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde:
Das Erstgericht hat festgestellt, Mag. Günther I***** habe seinen Vertragspartner (die C*****) zur selbstschädigenden Handlung dadurch verleitet, dass er (unter anderem) seine rechtskräftige Verurteilung wegen des Vergehens des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB bewusst verschwiegen habe (US 5 und 7 f). Soweit der Beschwerdeführer (nominell Z 5, der Sache nach Z 9 lit a) fehlende Feststellungen dazu einwendet, dass er (vertraglich) zu einer derartigen Aufklärung verpflichtet gewesen sei, verfehlt er den im gesamten Urteilssachverhalt gelegenen tatsächlichen Bezugspunkt des geltend gemachten materiellen Nichtigkeitsgrundes. Die Tatrichter haben nämlich weiters konstatiert, dass er jedenfalls mitkausal (vgl dazu die Erwägungen auf US 15) auch die Einleitung des Verfahrens auf Entziehung der Gewerbeberechtigung verschwiegen habe. Überdies habe er nach dem zwischen ihm und der C***** abgeschlossenen Vertrag (Punkt 4.1.2 der sogenannten „Courtagevereinbarung“) unter anderem garantiert, dass er „stets in Übereinstimmung mit anwendbaren Rechtsvorschriften handeln wird“.
Weshalb davon abgesehen aus diesem, auf eine langfristige Kooperation und damit auf ein besonderes Vertrauensverhältnis der Vertragspartner gerichteten, Vertrag keine Verpflichtung resultieren soll, über die Nichteinhaltung einer ausdrücklich zugesagten gerade im Hinblick auf dieses Vertrauensverhältnis relevanten Voraussetzung aufzuklären (vgl Kirchbacher in WK 2 StGB § 146 Rz 26; Kienapfel/Schmoller Studienbuch BT II § 146 Rz 89; Kert SbgK § 146 Rz 118 f), erklärt der Beschwerdeführer nicht.
Die Mängelrüge bekämpft die Konstatierung, der Beschwerdeführer habe es bei Übermittlung des Versicherungsantrags an die C***** zumindest billigend in Kauf genommen, dass „die ihm gegenüber unschlüssig auftretende“ Dr. S***** den Vertrag „stornieren werde“ (US 8), als unvollständig (Z 5 zweiter Fall). Dieser Mangel liegt dann vor, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse unberücksichtigt ließ, insbesondere dann, wenn diese den Schlussfolgerungen der Tatrichter entgegenstehen (RIS-Justiz RS0098646, RS0098495; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 421). Die kritisierte Feststellung stützten die Tatrichter primär darauf, dass Dr. S***** „erkennbar unbedarft und zögerlich in finanziellen Angelegenheiten“, mit anderen Worten vom Vorsatz des Beschwerdeführers umfasst ihrer Sache beim Vertragsabschluss nicht sicher gewesen sei (US 15; vgl auch US 7). Dem steht die dagegen ins Treffen geführte Aussage dieser Zeugin, sie sei in der Lage gewesen, die (hohe) Versicherungsprämie zu bezahlen, und habe im Jahr 2009 (nach Kündigung des ersten Versicherungsvertrags) wieder eine Lebensversicherung bei einem anderen Versicherungsunternehmen mit einer etwa gleich hohen monatlichen Prämie und derselben Laufzeit (30 Jahre) abgeschlossen (ON 2 S 143 ff in ON 33), nicht erörterungsbedürftig entgegen.
Weitere Angaben dieser Zeugin (sie habe im Jahr 2009 Barvermögen von 200.000 Euro in Form eines Einmalerlags in diese spätere Lebensversicherung eingebracht und im selben Jahr wegen eines Umbaus ihres Hauses einen beträchtlichen Kreditbedarf gehabt [ON 55 S 9 und 12]), fanden ohnehin Eingang in die Urteilsfeststellungen (US 7). Unvollständigkeit liegt daher auch in diesem Zusammenhang nicht vor. Die daraus von den Tatrichtern im Einklang mit den Denkgesetzen und grundlegenden Erfahrungssätzen (vgl RIS-Justiz RS0118317) gezogenen, für den Beschwerdeführer nachteiligen, Schlussfolgerungen bekämpft dieser nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung.
Die Konstatierung, der Beschwerdeführer habe anlässlich der Weiterleitung des Versicherungsantrags an die C***** diese konkludent darüber getäuscht, die Provision im Fall einer möglichen Vertragskündigung zurückzahlen zu können und zu wollen (US 7 f), betrifft wie sich aus den obigen Ausführungen zur Kausalität der Täuschung über seine strafgerichtliche Verurteilung und das gewerbebehördliche Verfahren ergibt keine entscheidende Tatsache und ist daher einer Anfechtung mit Mängelrüge und Tatsachenrüge (Z 5 und 5a) entzogen (RIS-Justiz RS0117499).
Die im Rahmen der Tatsachenrüge (Z 5a) mit dem Hinweis auf die (im Übrigen ohnehin erörterte) Aussage des Zeugen V***** geäußerte Kritik an den Überlegungen zur Kausalität des vorgeworfenen (Täuschungs-)Verhaltens ist unverständlich, weil nach dem Urteilssachverhalt (US 7) die bloße Information über die bevorstehende Liquidation der M***** GmbH die Verantwortlichen der C***** gerade nicht vom Vertragsabschluss abgehalten hat.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
Zur amtswegigen Maßnahme:
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass dem Urteil zum Schuldspruch II vom Angeklagten nicht geltend gemachte, für diesen nachteilige, Rechtsfehler mangels Feststellungen (Z 9 lit a) anhaften, die von Amts wegen aufzugreifen waren (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):
Das Vergehen des Betrugs nach § 146 StGB verwirklicht, wer objektiv durch Täuschung über Tatsachen jemand anderen zu einer diesen (oder einen anderen) am Vermögen schädigenden Handlung verleitet. Subjektiv muss der Vorsatz des Täters sämtliche Elemente des Tatbildes (also des objektiven Tatbestands) umfassen und überdies auf (seine oder eines Dritten) unrechtmäßige Bereicherung gerichtet sein. Beim (hier angenommenen) nach § 147 Abs 1 Z 1 erster Fall StGB qualifizierten Betrug muss der Vorsatz auch die Benützung der falschen Urkunde als Täuschungsmittel einschließen. Ein auf diese Bestimmungen gestützter Schuldspruch setzt daher unmissverständliche Feststellungen zu sämtlichen dieser Elemente des (auch subjektiven) Tatbestands voraus.
Dies ist vorliegend nicht der Fall. Zu den Schuldsprüchen II/B/1 und 2 fehlt es bereits an ausreichend klaren Konstatierungen zu objektiv gesetzten Täuschungshandlungen und deren Kausalität (vgl RIS-Justiz RS0094598, RS0094536) für das die L***** AG schädigende Unterbleiben einer Rückforderung der Provisionsansprüche.
Darüber hinaus lässt das Urteil Feststellungen zur subjektiven Tatseite vermissen und zwar zum Schuldspruch II/A/1 hinsichtlich eines auf Schädigung des Versicherungsunternehmens, zu den Schuldsprüchen II/A/2/a bis d und II/B/1 und 2 darüber hinaus auch in Ansehung eines auf Täuschung gerichteten Vorsatzes.
Damit ist die amtswegige Aufhebung des gesamten Schuldspruchs II bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO), demgemäß auch des Strafausspruchs, des von diesem abhängigen Beschlusses auf Widerruf einer bedingten Strafnachsicht (RIS-Justiz RS0100194 [T1 und T2]) sowie des auf diesem Schuldspruch beruhenden Ausspruchs über die Ansprüche der Privatbeteiligten L***** AG (RIS Justiz RS0101311, RS0101303) samt Rückverweisung der Sache in diesem Umfang an das Erstgericht unumgänglich.
Mit seiner Berufung und seiner Beschwerde (§ 498 Abs 3 dritter Satz StPO) war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.
Der Kostenausspruch beruht auf § 390a StPO; er bezieht sich nicht auf das amtswegige Vorgehen ( Lendl , WK StPO § 390a Rz 12).
Im nunmehr erforderlichen dritten Rechtsgang wird das Erstgericht im Zusammenhang mit dem Schuldspruch II/B zu beachten haben, dass der L***** AG nach den bisher getroffenen Feststellungen ein Recht auf Rückforderung der an den Angeklagten gezahlten Provisionen nur bei „Stornierung“ (Kündigung) der Versicherungsverträge zustand (US 9). Sollten die Versicherungsnehmer bereits durch ihre Erklärung gegenüber dem Angeklagten (wirksam) die Kündigung ausgesprochen haben (vgl die unklaren Feststellungen auf US 12 f), könnte (bei gleichlautender Feststellungsbasis) im Verschweigen dieses Umstands durch den Angeklagten gegenüber dem Versicherer (sofern er diesem gegenüber vertraglich zur Weiterleitung der Erklärungen verpflichtet war) eine schädigungskausale Täuschung liegen. Das wäre insbesondere dann der Fall, wenn es sich beim Angeklagten aufgrund der Vertragsgestaltung zwischen ihm und der L***** AG (vgl dazu etwa ON 75 S 11 und 27 ff sowie ON 94 S 5 f) um einen Versicherungsagenten gehandelt hat, er also vom Versicherer ständig damit betraut war, für diesen Versicherungsverträge zu vermitteln (vgl RIS Justiz RS0114041, RS0080376; zur Entgegennahme von Kündigungserklärungen der Versicherungsnehmer vgl § 43 Abs 2 Z 2, 44 zweiter Satz und 47 VersVG). Die tatsächlichen Voraussetzungen für die rechtliche Annahme einer von den Versicherungsnehmern wirksam erklärten Kündigung werden im Beweisverfahren und gegebenenfalls im Urteil durch Feststellungen zu klären sein.