11Os100/14m – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 28. Oktober 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Tagwerker als Schriftführerin in der Strafsache gegen Rokas B***** und Aivaras M***** wegen des Verbrechens des schweren, gewerbsmäßig durch Einbruch begangenen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1, 130 vierter Fall, § 15 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom 7. Juli 2014, GZ 36 Hv 56/14p 109, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Aivaras M***** wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der diesen Angeklagten betreffenden rechtlichen Unterstellung der dem Schuldspruch zu A./II./ zugrundeliegenden Tat auch unter § 130 vierter Fall StGB, damit auch im diesen Angeklagten betreffenden Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und die Sache in diesem Umfang an das Landesgericht St. Pölten zu neuer Verhandlung und Entscheidung verwiesen.
Die Nichtigkeitsbeschwerde des Aivaras M***** wird im Übrigen, jene des Rokas B***** zur Gänze zurückgewiesen.
Die Akten werden dem Landesgericht St. Pölten rückgemittelt, das entsprechende Aktenteile dem Oberlandesgericht Wien zur Erledigung der Berufung des Angeklagten Rokas B***** zuzuleiten hat.
Aivaras M***** wird mit seiner Berufung auf die aufhebende Entscheidung verwiesen.
Beiden Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil das auch einen unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen Freispruch des Angeklagten Aivaras M***** von weiteren gleichartigen Tatvorwürfen enthält wurden Rokas B***** des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1, 130 vierter Fall und § 15 StGB (A./I./ und A./II./) sowie der Vergehen des Gebrauchs fremder Ausweise nach § 231 Abs 1 StGB (B./I./ und B./II./) und der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (C./) und Aivaras M***** des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach §§ 15, 127, 129 Z 1, 130 vierter Fall StGB (A./II./) sowie des Vergehens des Gebrauchs fremder Ausweise nach § 231 Abs 1 StGB (B./I./) schuldig erkannt.
Danach haben
A./ im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern und in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung von Diebstählen durch Einbruch (§ 129 StGB) eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, Nachgenannten fremde bewegliche Sachen, Rokas B***** auch in einem insgesamt 3.000 Euro übersteigenden Wert, durch Einbruch weggenommen oder wegzunehmen versucht, und zwar
I./ Rokas B***** und ein bislang unbekannter Mittäter
1./ von 8. bis 9. Oktober 2013 in P***** Erich P***** Schmuck, eine Uhr und einen Fotoapparat der Marke Canon Powershot im Gesamtwert von 2.809 Euro durch Aufbrechen eines Fensters an der Gebäudehinterseite;
2./ am 9. Oktober 2013 in Pr***** Adriana und Gerhard D***** 400 Euro Bargeld sowie Schmuck und Parfum im Gesamtwert von 681 Euro durch Aufbrechen der Terrassentür;
3./ am 14. Oktober 2013 in Pr***** Georg Ba***** 320 Euro Bargeld, Schmuck und Bekleidung im Gesamtwert von 1.680 Euro sowie eine Geldbörse im Wert von 40 Euro durch Aufbrechen eines verriegelten Fensters;
II./ Rokas B***** und Aivaras M***** am 6. November 2013 in R***** Renate F***** vermögenswerte Gegenstände durch Öffnen eines gekippten Fensters des Einfamilienhauses mittels Haken, wobei es angesichts der Betretung beim Versuch blieb;
B./ amtliche Ausweise, die für einen anderen ausgestellt waren, im Rechtsverkehr gebraucht, als wären diese für sie ausgestellt, nämlich Rokas B***** den litauischen Reisepass und Führerschein, beide lautend auf Edgaras T***** und Aivaras M***** die litauische ID Card Nr. ***** lautend auf Tomas J*****, und zwar
I./ beide am 6. November 2013 in O***** bei der erkennungsdienstlichen Behandlung durch Beamte der Polizeiinspektion T*****;
II./ Rokas B***** am 2. März 2014 in S***** bei der erkennungsdienstlichen Behandlung durch Beamte des Bezirkspolizeikommandos W*****;
C./ Rokas B***** am 2. März 2014 in W***** den Schreibtisch in der Kriminaldienstkanzlei W*****, mithin eine fremde Sache beschädigt, indem er durch einen Fußtritt die Aufhängung des Kabelschachts zerstörte, wodurch ein Schaden in der Höhe von 10 Euro entstand.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richten sich Nichtigkeitsbeschwerden des Angeklagten B***** aus § 281 Abs 1 Z 5, Z 9 lit a und 10 StPO sowie des Angeklagten M***** aus § 281 Abs 1 Z 9 lit a und b und 10 StPO.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten B*****:
Dem Einwand der gegen den Schuldspruch C gerichteten Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) zuwider wurden sowohl die einen Beschädigungsvorsatz leugnende Einlassung des Beschwerdeführers (ON 99 S 13 und 18) als auch die Vermutungen des Zeugen S***** (ON 99 S 25 f) zum möglichen Tatimpuls („dass möglicherweise die Wartezeit als zu lang empfunden wurde“) im Urteil berücksichtigt (US 9). Der Sache nach bekämpft die Beschwerde mit eigenständiger Bewertung dieser Beweisergebnisse und dem Hinweis auf die konkrete Beschaffenheit des in Rede stehenden Tisches bloß die Beweiswürdigung der Tatrichter, die aufgrund des verbal aggressiven Verhaltens unmittelbar vor der Tat und aufgrund der Wucht des Tritts zu der Überzeugung gelangten, dass der Angeklagte bei der Beschädigung des Schreibtischs mit zumindest bedingtem Vorsatz gehandelt hatte (US 7, 9), nach Art einer Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld (§ 464 Z 2 StPO).
Es liegt kein Begründungsmangel vor, wenn das Gericht nicht den vollständigen Inhalt sämtlicher Aussagen wie überhaupt alle Verfahrensergebnisse im Einzelnen erörtert und darauf untersucht, inwieweit sie für oder gegen diese oder jene Darstellung sprechen, und sich nicht mit jedem gegen seine Beweiswürdigung möglichen, im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde konkret erhobenen Einwand im Voraus auseinandersetzt. Es genügt vielmehr, wenn das Gericht im Urteil in gedrängter Form die entscheidenden Tatsachen bezeichnet sowie logisch und empirisch einwandfrei begründet, warum es von der Richtigkeit dieser Annahme überzeugt ist, ohne dagegen sprechende wesentliche Umstände mit Stillschweigen zu übergehen (RIS-Justiz RS0098377 [T7]). Da nicht einmal der Beschwerdeführer behauptet hatte, den am Schreibtisch angebrachten Kabelschacht oder den Kabelkanal (ON 72 S 29 ff) während seines längeren Aufenthalts im Zimmer nicht bemerkt zu haben (vgl ON 99 S 18), war das Erstgericht - entgegen der weiteren Kritik (Z 5 zweiter Fall, nominell teils auch Z 9 lit a) - nicht gehalten, sich im Zusammenhang mit der Beurteilung der inneren Tatseite damit zu beschäftigen.
Soweit der Nichtigkeitswerber (nominell teils Z 5, teils Z 9 lit a) die Tat aufgrund dieser Beweisergebnisse als „nicht schuldhafte“ „asthenische Affekthandlung“ beurteilt wissen und insoweit offenbar einen Feststellungsmangel geltend machen will (vgl Ratz , WK-StPO § 281 Rz 611), legt er - prozessordnungswidrig - nicht dar (RIS-Justiz RS0116565), welche gesetzliche Anordnung für die Berücksichtigung einer solchen Affektlage im Zusammenhang mit der konkret inkriminierten Sachbeschädigung sprechen soll.
Die Subsumtionsrüge (Z 10, inhaltlich Z 9 lit a) wiederum zeigt mit der Behauptung, die getroffenen Feststellungen würden sich auf einen substanzlosen Gebrauch der verba legalia beschränken, nicht auf, welcher Feststellungen zur inneren Tatseite es über die (zu C./) getroffenen hinaus (US 7) bedurft hätte. Im Übrigen reicht die Wiedergabe der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale mit ihrem Wortlaut dann als Sachverhaltsgrundlage aus, wenn - wie hier - der erforderliche Tatsachenbezug gegeben ist (US 7, 9).
Die - ausschließlich gegen den Schuldspruch zu C./ gerichtete - Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufung des Angeklagten B***** folgt (§ 285i StPO).
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten M*****:
Soweit die Rechtsrüge (Z 9 lit a) zu A./II./ das Fehlen von (ausreichenden) Feststellungen zur Täterschaft und zum Vorsatz des Beschwerdeführers behauptet, legt sie nicht dar, welcher Konstatierungen es in Bezug auf die objektive oder subjektive Tatseite über die getroffenen hinaus (US 6) für einen Schuldspruch bedurft hätte.
Das weitere Vorbringen läuft mit dem Einfordern von für den Angeklagten günstigeren Feststellungen auf eine im kollegialgerichtlichen Verfahren gesetzlich nicht vorgesehene Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld hinaus, zumal die Tatrichter in ihre beweiswürdigenden Erwägungen ohnehin den vom Rechtsmittel ins Treffen geführten Umstand einbezogen haben (Z 5 zweiter Fall), dass die Zeugin F***** Aivaras M***** in der Hauptverhandlung nicht (mehr) identifizieren konnte (ON 99 S 32), aufgrund weiterer Beweisergebnisse aber dennoch zur Überzeugung gelangten, dass er sich am Tatort zu schaffen gemacht hatte (US 7 f).
Weshalb zu A./II./ im Kontext der Sachverhaltsannahmen des Ersturteils (wo auf die zuvor „festgestellten Handlungen“ verwiesen wird US 6) der Gebrauch von verba legalia zur subjektiven Tatseite keinen ausreichenden Sachverhaltsbezug aufweisen soll, macht die Beschwerde nicht klar (RIS-Justiz RS0119090).
Nicht an der Gesamtheit der Urteilsannahmen hält sie außerdem fest (RIS-Justiz RS0099810), indem sie unter Berufung auf Angaben des Nichtigkeitswerbers, sich aufgrund eines massiven Drogenkonsums vor der Tat nicht an eine solche erinnern zu können, Feststellungen dahin einfordert (nominell Z 9 lit b, inhaltlich Z 9 lit a), er habe sich zur Tatzeit in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustand befunden, dabei jedoch die eine solche Konstatierung ablehnenden Überlegungen der Tatrichter übergeht (US 7 f). Die im Rechtsmittel vorgenommene eigenständige Bewertung der im Urteil dafür ins Treffen geführten Umstände beschränkt sich der Sache nach abermals auf eine im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässige Bekämpfung der Beweiswürdigung, ohne Mängel im Sinn des § 281 Abs 1 Z 5 StPO aufzuzeigen.
In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde die überdies trotz Antrags auf Totalaufhebung des angefochtenen Urteils kein Vorbringen zu B/1 des Schuldspruchs erstattet bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
Zu Recht hingegen kritisiert die Subsumtionsrüge (Z 10) einen Rechtsfehler mangels Feststellungen in Bezug auf die zu A./II./ herangezogene Qualifikation nach § 130 vierter Fall StGB. Denn die Urteilsannahmen, die Angeklagten seien am 6. November 2013 „gemeinsam unterwegs“ gewesen und hätten „ihre triste finanzielle Situation aufbessern wollen, weshalb sie das Haus […] der Renate F***** aufsuchten“, treffen im Zusammenhalt mit der Wiedergabe der verba legalia, sie hätten dabei in der „Absicht“ gehandelt, sich „durch die wiederkehrende Begehung von Diebstählen durch Einbruch eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen“ (US 6), noch keine ausreichende sachverhaltsmäßige Aussage zur zeitlichen Komponente (RIS Justiz RS0107402) der Intention des bloß an einem einzigen Einbruchsversuch beteiligten Angeklagten M*****, sich durch wiederkehrende Delinquenz eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen (RIS-Justiz RS0119090 [T8 und T11]).
Diesbezüglich war somit im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang gemäß § 285e StPO vorzugehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Zur Vermeidung von Verzögerungen in der Haftsache waren die Akten vorerst dem Landesgericht St. Pölten zu übermitteln, das nach entsprechender Aktentrennung einerseits die Berufung des Rokas B***** dem zuständigen Oberlandesgericht zur Erledigung vorzulegen, andererseits die neue Verhandlung für Aivaras M***** anzusetzen haben wird.