9Nc15/14a – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kuras und Dr. Hargassner als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen 1. R***** A*****, geboren am ***** 1997, 2. D***** A*****, geboren am ***** 2008, und 3. M***** N***** A*****, geboren am ***** 2009, AZ 4 PS 106/14f des Bezirksgerichts Innsbruck, infolge Vorlage zur Genehmigung der Übertragung gemäß § 111 JN an das Bezirksgericht Favoriten den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Innsbruck vom 2. 5. 2014, GZ 4 PS 253/12w 14, gemäß § 111 Abs 1 JN verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Favoriten wird genehmigt.
Text
Begründung:
Die Eltern der minderjährigen Kinder R*****, D***** und M***** N***** A***** sind seit 18. 6. 2013 geschieden. Die Kinder lebten während aufrechter Ehe in der Ehewohnung der Eltern in Innsbruck, danach dort mit der Mutter alleine.
Am 22. 10. 2013 beantragte der in Innsbruck wohnende Vater beim Bezirksgericht Innsbruck die Einräumung eines Kontaktrechts. Die Mutter ist damit grundsätzlich einverstanden. Die Entscheidung über den Antrag des Vaters ist aber noch offen, weil die Mutter zuletzt den Wunsch äußerte, dass die Besuchskontakte ohne Beisein des Bruders ihres geschiedenen Ehegatten stattfinden sollten. Dazu erklärte der Vater, dass er auf die Kontakte mit seinen Kindern verzichte, wenn sein Bruder nicht dabei sein dürfe.
Am 22. 1. 2014 beantragte die Mutter die Übertragung der alleinigen Obsorge über ihre drei minderjährigen Kinder. Der Vater gab dazu bislang noch keine Erklärung ab.
Zumindest seit 7. 3. 2014 (Anmeldungsdatum) wohnt die Mutter mit ihren drei Kindern im Sprengel des Bezirksgerichts Favoriten.
Das Bezirksgericht Innsbruck übertrug daraufhin mit mittlerweile rechtskräftigem Beschluss vom 2. 5. 2014 die Zuständigkeit zur Führung dieser Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Favoriten. Das Bezirksgericht Favoriten verweigerte die Übernahme der Zuständigkeit.
Das übertragende Gericht legte aufgrund dieser Weigerung den Akt dem Obersten Gerichtshof als gemeinsam übergeordnetem Gericht zur Entscheidung gemäß § 111 Abs 2 JN vor.
Rechtliche Beurteilung
Die Übertragung ist berechtigt.
Gemäß § 111 Abs 1 JN kann das Pflegschaftsgericht seine Zuständigkeit einem anderen Gericht übertragen, wenn dies im Interesse des Minderjährigen gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird. Nach Abs 2 dieser Bestimmung ist die Übertragung nur dann wirksam, wenn das andere Gericht die Zuständigkeit übernimmt oder im Falle der Weigerung des anderen Gerichts eine Genehmigung durch das den beiden Gerichten zunächst übergeordnete gemeinsame höhere Gericht hier der Oberste Gerichtshof erfolgt.
Ausschlaggebendes Kriterium für die Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache für Minderjährige ist immer das Kindeswohl (RIS Justiz RS0047074). Nach ständiger Rechtsprechung wird der pflegschaftsgerichtliche Schutz in der Regel am besten durch das Gericht gewährleistet, in dessen Sprengel sich das Kind aufhält (RIS Justiz RS0047300). Offene Anträge sprechen im Allgemeinen nicht gegen eine Zuständigkeitsübertragung, sofern nicht dem übertragenden Gericht für die ausstehende Entscheidung besondere Sachkenntnis zukommt (RIS Justiz RS0047032).
Die Rechtsprechung steht zwar einer Zuständigkeitsübertragung im Allgemeinen ablehnend gegenüber, wenn ein Obsorgeantrag unerledigt ist, sofern das Gericht bereits über entsprechende Sachkenntnisse verfügt oder jedenfalls in der Lage ist, sich diese Kenntnisse leichter zu verschaffen als das andere Gericht. Das gilt jedoch dann nicht, wenn noch Erhebungen zur Mutter und deren Lebensverhältnissen am neuen Wohnsitz offen sind (RIS Justiz RS0047027 [T3, T4]).
Die Prüfung der Zweckmäßigkeit der Zuständigkeitsübertragung während eines aufrechten Obsorgestreits hat sich ganz allgemein daran zu orientieren, welches Gericht die für die Entscheidung maßgeblichen Umstände sachgerechter und umfassender beurteilen kann. Bei der Gesamtbeurteilung der für die Übertragung der Elternrechte maßgebenden Kriterien ist dabei stets von der aktuellen Lage auszugehen und sind Zukunftsprognosen miteinzubeziehen. Nur wenn eine Erforschung aller maßgeblichen Lebensumstände der Beteiligten möglichst vollständig und aktuell in die Entscheidung einfließen kann, ist das Wohl des Kindes gewährleistet. An diesen Überlegungen ist die Zweckmäßigkeit der Übertragung zu messen (RIS Justiz RS0047027 [T5, T6]).
Das Bezirksgericht Innsbruck hat zwar bereits nicht aufwändige Verfahrensschritte im Hinblick auf den Kontaktrechtsantrag des Vaters gesetzt, aber noch keine in Bezug auf den von der Mutter gestellten Obsorgeantrag. Der Lebensmittelpunkt der Mutter sowie der drei Minderjährigen liegt nunmehr im Sprengel des Bezirksgerichts Favoriten. Abgesehen davon, dass sich der Vater bislang nicht gegen den Antrag der Mutter ausgesprochen hat, spricht auch sonst nichts für eine bevorstehende Veränderung der Wohnverhältnisse der Kinder bei der Mutter. Dem Bezirksgericht Favoriten ist die Erhebung der für die Obsorgeentscheidung maßgeblichen derzeitigen Lebensverhältnisse der Mutter und Kinder leichter möglich, sodass die Übertragung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht des Aufenthaltsorts der Kinder ungeachtet der offenen Anträge zu genehmigen ist.