JudikaturOGH

12Os76/14i – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. August 2014

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. August 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Moritz als Schriftführer in der Strafsache gegen Muzaffer A***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 20. Februar 2014, GZ 41 Hv 29/13z 32, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Muzaffer A***** eines Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 StGB und mehrerer Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (A./) sowie des Vergehens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 StGB (B./) schuldig erkannt.

Danach hat er in B***** und D*****

A./ zwischen Mitte Juni 2012 und August 2013 Feride A***** in einer Vielzahl von Angriffen mit Gewalt, nämlich indem er ihr Schläge versetzte, zur Vornahme bzw Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung, und zwar zum Oral und Analverkehr und auch dazu genötigt, seinen Anus zu lecken, wodurch Feride A***** in besonderer Weise erniedrigt wurde;

B./ zwischen Ende 2012 und 21. August 2013 gegen Feride A***** eine längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt, und zwar,

1./ indem er ihr mehrfach mit der Faust gegen den Oberkörper schlug, wodurch sie blaue Flecken erlitt;

2./ im Mai 2013, indem er eine fast leere Cola Flasche gegen ihren Kopf warf, wodurch sie blaue Flecken und eine Beule im Gesichtsbereich erlitt;

3./ im Juni 2013, indem er sie zu Boden stieß, wodurch sie eine Prellung der linken Kreuzbeingegend erlitt;

4./ am 21. August 2013, indem er sie durch Würgen zur Aushändigung einer Bestätigung über ihre Schwangerschaft zu nötigen versuchte;

5./ am 21. August 2013, durch die Äußerung sie so verunstalten, dass sie die österreichische Polizei nicht mehr erkennen werde;

6./ indem er mehrfach äußerte, dass er ihr alle Knochen brechen werde.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen aus Z 3, 4, 5, 5a und 10 des § 281 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt keine Berechtigung zu.

Der eine Verletzung des § 240a Abs 1 StPO monierenden Verfahrensrüge (Z 3) ist entgegen zu halten, dass es im Fall der Fortsetzung einer Hauptverhandlung im folgenden Jahr wie hier keiner neuerlichen Beeidigung der im Verfahren bereits tätig gewesenen Laienrichter bedarf (RIS Justiz RS0098270 [T3, T10, T11]).

Soweit der Beschwerdeführer in der Verfügung des Vorsitzenden, ihn während der Vernehmung der Zeuginnen Feride A*****, Nazire Y***** und Emel K***** aus dem Sitzungsaal abtreten zu lassen, einen Verstoß gegen Grundsätze eines fairen Verfahrens erblickt, übersieht er, dass ihm mangels Widerspruchs oder (in Betreff der Vernehmung der Emel K*****) mangels Erwirkung eines Senatsbeschlusses die Legitimation für die Beschwerde (Z 4) fehlt (vgl Ratz , WK StPO § 281 Rz 314).

Wodurch der anwaltlich vertretene Angeklagte am Antrag auf Durchführung einer „kontradiktorischen“ Vernehmung dieser Zeugen „über Video“ in der Hauptverhandlung gehindert war, legt die einen Verstoß gegen den Grundsatz eines fairen Verfahrens reklamierende Rüge (dSn Z 5a) nicht dar (RIS Justiz RS0115823).

Ein nach dem formalen Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 5 StPO geltend gemachter Begründungsmangel muss den Ausspruch von für die rechtliche Beurteilung der Tat entscheidenden Tatsachen betreffen; das sind solche, die für das Erkenntnis in der Schuldfrage maßgebend sind und entweder auf die Unterstellung der Tat unter das Gesetz oder auf die Wahl des anzuwendenden Strafsatzes Einfluss üben (RIS Justiz RS0106268).

Keine entscheidende Tatsache spricht die Mängelrüge (Z 5, nominell zum Teil auch Z 5a) an, wenn sie die Urteilsannahmen zur Frage kritisiert, ob der Angeklagte Feride A***** auch in anderer Weise unter Druck setzte, ob diese hart arbeiten oder seine Alimentationszahlungen begleichen musste, ob es auch in finanzieller Hinsicht Probleme gab, ob er ihr das Leben zur Hölle machte, ob weitere Auseinandersetzungen bzw nicht festgestellte Gewaltakte stattfanden, ob er nur einmal (vgl dazu B./5./) oder wiederholt eine Verunstaltung in Aussicht stellte, ob die sexuelle Begegnung ein Ausdruck von Zuneignung war, wie es dazu kam, dass der Beschwerdeführer besondere Vorlieben in sexueller Hinsicht entwickelte, ob er „bei praktisch jedem“ Geschlechtsverkehr die Praktiken verlangte, ob er eine besondere Brutalität an den Tag legte, ob Feride A***** einen Arzt aufsuchen konnte oder ob sie in einem fremden Land war und Angst hatte.

Aktenwidrigkeit liegt nur im Falle der unrichtigen Wiedergabe des Inhalts einer Urkunde oder einer Aussage vor. Welche Bedeutung ein Beweismittel hat und welche Schlüsse daraus und aufgrund weiterer Beweismittel zu ziehen sind, kann als Ergebnis des Beweisverfahrens niemals aktenwidrig sein. Indem die Mängelrüge den Angaben der Zeugin Feride A***** , insbesondere zur Frage der Intensität und Häufigkeit von Ohrfeigen einen anderen Bedeutungsgehalt als das Erstgericht unterstellt, zeigt sie den Nichtigkeitsgrund nicht auf.

Soweit der Beschwerdeführer behauptet (dSn Z 5 vierter Fall), Feride A***** habe zur Sexualpraxis des Leckens am Anus keine Angaben gemacht, ist er auf die Angaben der Zeugin ON 16 S 14 und S 17 zu verweisen.

Mit dem Einwand, „die zum Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 5 StPO angeführten Feststellungen widersprechen, sofern sie nicht überhaupt ohne Grundlage getroffen wurden, dem Akteninhalt und sind auch gemäß § 281 Abs 1 Z 5a StPO aktenwidrig“, wird kein nichtigkeitsbegründender Umstand deutlich und bestimmt bezeichnet. Durch Wiederholung des Vorbringens der Mängelrüge werden beim Obersten Gerichtshof im Übrigen keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen geweckt.

Die gesetzmäßige Ausführung eines materiell-rechtlichen Nichtigkeitsgrundes hat das Festhalten am gesamten im Urteil festgestellten Sachverhalt, dessen Vergleich mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und die Behauptung, dass das Erstgericht bei Beurteilung dieses Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen ist, zur Voraussetzung (RIS Justiz RS0099810). Diesen Anfechtungskriterien wird die Subsumtionsrüge (Z 10) nicht gerecht.

Zu A./ strebt sie eine Unterstellung der Taten ausschließlich unter § 201 Abs 1 StGB an, legt aber nicht aus dem Gesetz abgeleitet dar, weshalb das von den Tatrichtern festgestellte fortgesetzte, über ein Jahr andauernde Erzwingen des Leckens am Anus, das eine Infektion der Feride A***** im Mund und ein andauerndes Ekelgefühl sowie massive Essstörungen zur Folge hatte (US 7 und US 14 f), keine erhebliche Überschreitung des mit jeder Vergewaltigung verbundenen Maßes an Demütigung des Opfers darstellen sollte (RIS Justiz RS0116565).

Gegen den Schuldspruch B./ gerichtet, geht die Rüge lediglich von vier Vorfällen, damit aber nicht vom gesamten festgestellten Sachverhalt (US 3 ff) aus.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits in nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Bleibt zum Schuldspruch A./ anzumerken, dass der unter dem Aspekt der §§ 1, 61 StGB bestehende, nicht gerügte Subsumtionsfehler (Z 10) es wäre insoweit hinsichtlich der vor dem 1. August 2013 begangenen Taten der mit Blick auf die Mindeststrafdrohung günstigere § 201 Abs 1 StGB idF BGBl I 2004/15 anstelle der geltenden Bestimmung anzuwenden gewesen wegen des für die Strafrahmenbildung herangezogenen Strafsatzes des § 201 Abs 2 erster Fall StGB keinen Nachteil im Sinn des § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO darstellt. An die insoweit fehlerhafte Subsumtion ist das Oberlandesgericht bei der Entscheidung über die Berufung des Angeklagten nicht gebunden (RIS Justiz RS0118870; Ratz , WK StPO § 281 Rz 27a).

Der Vollständigkeit halber ist mangels Relevierung durch die Staatsanwaltschaft lediglich festzuhalten, dass die in der besonderen Erniedrigung bestehende Deliktsqualifikation des § 201 Abs 2 StGB bei jeder der Taten anzulasten gewesen wäre.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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