Der Oberste Gerichtshof hat am 28. August 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Moritz als Schriftführer in der Strafsache gegen Zvezdan S***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Matheus M***** sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Jugendschöffengericht vom 1. April 2014, GZ 151 Hv 4/14m 62, sowie über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den zugleich ergangenen Beschluss auf Absehen vom Widerruf einer bedingten Strafnachsicht nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil, das auch in Rechtskraft erwachsene Schuldsprüche weiterer Angeklagter enthält, wurde Matheus M***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (I./) sowie der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (III./), der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (IV./) und der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (V./) schuldig erkannt.
Danach hat er, soweit das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung,
I./ am 6. Mai 2013 in W***** Kevin W***** durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib „und“ Leben (§ 89 StGB) zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung, und zwar der Analpenetration genötigt, indem er ihn nach den zu Punkt III./ und IV./ beschriebenen Handlungen unter Androhung weiterer Schläge aufforderte, sich nackt auszuziehen, sich nach vorne zu beugen und ihm anschließend einen Besenstiel in den After einführte.
Der gegen dieses Urteil aus Z 4, 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO erhobenen, ausschließlich gegen den Schuldspruch I./ gerichteten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Matheus M***** kommt keine Berechtigung zu.
Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurden durch die Abweisung des Antrags auf „Einholung eines medizinischen Gutachtens zum Beweis dafür, dass eine Analpenetration nur durch erhebliche Gewaltanwendung möglich wäre und zu Verletzungsfolgen geführt hätte, die beim Zeugen W***** nicht festgestellt werden konnten“, Verteidigungsrechte des Angeklagten nicht verletzt. Die Beiziehung eines Sachverständigen ist nur dann erforderlich, wenn zur Beurteilung (Auswertung) vorhandener Beweisergebnisse in tatsächlicher Hinsicht besonderes Fachwissen erforderlich ist, das nicht jedes Mitglied des erkennenden Gerichts besitzt. Der Schöffensenat wies diesen Antrag wegen der insoweit bestehenden (Gerichts )Notorietät ab; diese Ausgangslage wurde vom Antragsteller in der Folge auch nicht in Frage gestellt (ON 61 S 31).
Im Übrigen ging das Erstgericht ausdrücklich davon aus, dass das Opfer unverletzt blieb (US 12 f), sodass die darauf abzielende Kritik der Verfahrensrüge ins Leere geht.
Die in der Beschwerde nachgetragenen Gründe als Versuch einer Fundierung des Antrags sind angesichts der auf Nachprüfung der erstgerichtlichen Vorgangsweise angelegten Konzeption dieses Nichtigkeitsgrundes unbeachtlich (RIS-Justiz RS0099618).
Entgegen dem Vorwurf unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) leiteten die Tatrichter die Urteilsannahme, wonach es zu einer Analpenetration kam, aus den für glaubwürdig befundenen Angaben des Kevin W***** ab, der deponiert hatte, beim Stuhlgang eine Woche Schmerzen verspürt zu haben (US 12 f). Diese Erwägungen sind auch unter der gleichzeitigen Annahme des Erstgerichts, dass Kevin W***** durch die Penetration keine Verletzung erlitt (US 12 f), unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden. Auf den ärztlichen Untersuchungsbefund, wonach nicht sicher erhoben werden könne, ob es wirklich zu einer Penetration kam (ON 4 S 19), ging das erkennende Gericht der Beschwerde (dSn Z 5 zweiter Fall) zuwider ausdrücklich ein (US 14).
Das weitere Vorbringen der Mängelrüge (Z 5) („Es ist höchst widersprüchlich, wenn der Aussage beim Amtsarzt nicht geglaubt wird, der in der weit peinlicheren kontradiktorischen Zeugenvernehmung aber schon“ bzw wonach „schon anatomische Gründe gegen die Analpenetration sprechen“ bzw wonach „ein völlig verängstigtes Opfer sichtbar verletzt worden wäre“) erschöpft sich darin, die Erwägungen der Tatrichter zur Glaubwürdigkeit des Kevin W***** in Betreff der Analpenetration zu kritisieren (US 14 f) und diesen nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung eigene Beweiswerterwägungen entgegenzustellen.
Von fehlenden Verletzungsfolgen ging das Erstgericht, wie bereits dargelegt, aus (US 13).
Die Ausführungen des Amtsarztes in der Anamnese, wonach der Untersuchte von einer versuchten Penetration sprach, bedurften ebenso wenig einer gesonderten Erörterung (Z 5 zweiter Fall) wie die Passage dieser Befundaufnahme, wonach nicht sicher erhoben werden könne, ob es wirklich zu einer Penetration kam.
Dass der Zeuge Kevin W***** gegenüber dem Amtsarzt keine Schmerzangaben machte, floss in die Überlegungen der Tatrichter ohnehin ein (US 14). Die Annahme des Schöffensenats, dass dies aus Scham geschah, widerspricht weder den Denkgesetzen noch den allgemeinen Erfahrungssätzen und kann daher nicht erfolgreich mit Mängelrüge releviert werden.
Indem der Beschwerdeführer unter der Behauptung eines Begründungsmangels ein Beweisergebnis in Richtung versuchter Penetration anstrebt, bezieht er sich von vornherein nicht auf einen schuld- oder subsumtionsrelevanten Umstand (EvBl 2007/130, 700 [verst Senat]).
Der Vorwurf der Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) in Betreff der vom Erstgericht nicht wörtlich referierten, sondern zusammengefassten Aussage des Zweitangeklagten, wonach er den Besenstiel danach nicht angreifen habe wollen, weil er daran Kotreste vermutet habe, trifft im Hinblick auf die entsprechenden Angaben des Mansur D***** nicht zu (US 15; ON 61 S 25).
Z 5a des § 281 Abs 1 StPO will als Tatsachenrüge nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern. Tatsachenrügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS Justiz RS0118780).
Mit dem Verweis auf die von den Tatrichtern erwogenen (US 14) eingeschränkten intellektuellen Fähigkeiten des Kevin W*****, der zum Teil weitergehende Vorwürfe als vom Erstgericht angenommen erhob und weder in der Lage war, eine chronologische Schilderung der Vorfälle abzugeben noch bei der ersten amtsärztlichen Untersuchung detailliert über das Vorgefallene zu sprechen (US 14), werden von der Tatsachenrüge (Z 5a) keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Schuldspruch zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen geweckt.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde folgt (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).
Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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