JudikaturOGH

12Os70/14g – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. August 2014

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. August 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Moritz als Schriftführer in der Strafsache gegen Kaan Y***** und weitere Angeklagte wegen Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Kaan Y***** und Martin G***** gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Jugendschöffengericht vom 24. Februar 2014, GZ 46 Hv 53/13m 64, weiters über die Beschwerde des Kaan Y***** gegen den zugleich gefassten Beschluss gemäß § 494a StPO sowie über den Antrag des Martin G***** auf außerordentliche Wiederaufnahme des Strafverfahrens nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Den Angeklagten Kaan Y***** und Martin G***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Der Antrag des Martin G***** auf außerordentliche Wiederaufnahme des Strafverfahrens wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch den in Rechtskraft erwachsenen Schuldspruch des Milan Z***** enthält, wurden Kaan Y***** und Martin G***** jeweils mehrerer Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (idF BGBl I 2004/15; vgl US 28) schuldig erkannt.

Danach haben bzw hat zusammengefasst und soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerden von Relevanz wiedergegeben in W***** und andernorts teils im bewussten und gewollten Zusammenwirken, teils allein Manuela Gr***** mit Gewalt, durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben und durch Entziehung der persönlichen Freiheit zur Duldung des Beischlafs genötigt, und zwar

I./ im Sommer 2009 Kaan Y***** und Martin G***** auch mit Milorad Z*****, indem sie das Opfer auf ein Bett drückten, sie an Armen und Beinen festhielten und ihr den Mund zudrückten;

II./ zwischen 2008 und 2009 Kaan Y***** und Martin G***** durch die Ankündigung und das Versetzen von Schlägen und eines Tritts sowie indem sie sie festhielten;

III./ Kaan Y*****

1./ zwischen 23. Juli 2008 und Mai 2009, indem er sie festhielt, auf das Bett drückte und sie entkleidete;

2./ im Juni 2011, indem er sie in ihr Zimmer zerrte, sie auf das Bett stieß und sie festhielt;

3./ am 2. Februar 2012, indem er ihre Hände fixierte und ihr einen Schlag ins Gesicht versetzte;

4./ zwischen 2008 und 2. Februar 2012 in weiteren Angriffen, indem er sie festhielt, ihr Schläge mit der Faust und der flachen Hand sowie Tritte versetzte und sie an den Haaren zog.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die Nichtigkeitsbeschwerde des Erstangeklagten, die sich auf § 281 Abs 1 Z 4 und Z 11 StPO stützt, sowie jene des Zweitangeklagten aus § 281 Abs 1 Z 1, 3, 4, 5 und 5a StPO. Beide schlagen fehl.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Erstangeklagten:

Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurden durch die Abweisung der Anträge auf Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens über die Zeugin Manuela Gr***** bzw auf deren ergänzende kontradiktorische Vernehmung jeweils „zum Beweis dafür, dass unmittelbar nach der Verhandlung [zwischen dem Erstangeklagten und der Zeugin] ein inniges Verhältnis, vor allem freiwillig stattgefunden hat“, dass „die … Beschuldigungen gegen alle Angeklagten unrichtig sind und … aus einer starken emotionalen Belastung resultieren“, und der Grund für diese Belastungen das „sehr problematische Verhältnis mit dem Erstangeklagten ist“, mit dem es immer wieder zu „intensiven Kontakten auch nach den Belastungen und sogar der letzten Hauptverhandlung“ komme (ON 63 S 3 ff iVm S 37 ff), Verteidigungsrechte nicht verletzt.

Der Beweisantrag ließ nämlich nicht erkennen, aus welchem Grund die Zeugin von ihrer bisherigen in der Hauptverhandlung am 5. September 2013 ohne Widerspruch vorgeführten (ON 40 S 101) und in jener am 24. Februar 2014 vorgetragenen (ON 63 S 49) Aussage (ON 10) abweichen sollte. Solcherart zielte dieses Begehren auf eine im Erkenntnisverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung ab ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 331). Der Beschwerdeführer legt auch nicht dar, warum anzunehmen wäre, dass sich die zur Mitwirkung an einer Befundaufnahme nicht verpflichtete Zeugin zu einer Aussage bzw Befundaufnahme bereit finden würde (RIS-Justiz RS0117928, RS0118956 [T3, T4], RS0108614, RS0097584).

Ein aussagepsychologisches Gutachten ist im Übrigen nur dann erforderlich, wenn das Gericht die ihm allein zukommende Aufgabe, die Glaubwürdigkeit einer Beweisperson aufgrund des gewonnenen persönlichen Eindrucks zu überprüfen, nicht ohne fremde Expertise erfüllen kann. Dies ist etwa bei abwegiger Veranlagung in psychischer oder charakterlicher Hinsicht, bei in der Hauptverhandlung zu Tage getretenen Entwicklungsstörungen oder bei Hinweisen auf eine Beeinflussung des Aussageverhaltens von unmündigen oder psychisch kranken Personen der Fall (RIS-Justiz RS0097733). Derartige außergewöhnliche Umstände vermochte der Beschwerdeführer mit den bloßen Hinweisen auf das Verhalten des Opfers lange nach den Tatzeiten nicht aufzuzeigen.

Die Sanktionsrüge (Z 11) macht mit dem Vorwurf einer nicht entsprechenden Würdigung der Milderungsgründe und dem Begehren nach Gewährung bedingter Strafnachsicht keine Nichtigkeit des Strafausspruchs, sondern bloß Berufungsvorbringen geltend.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Zweitangeklagten:

Das unter § 281 Abs 1 Z 1 StPO erstattete Vorbringen (vgl in diesem Sinn auch Ratz , WK StPO § 281 Rz 111, 113), gemäß § 32 Abs 2 Z 1 StPO wäre das Geschworenengericht anstelle des Schöffengerichts zuständig gewesen, ist auch angesichts des gegen die Angeklagten erhobenen Vorwurfs wie auch des Schuldspruchs schlichtweg unverständlich.

Der Beschwerdeführer macht (Z 3) zu Unrecht mangelnde Individualisierung der Straftaten im Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) geltend. Denn der Zweck dieses Referats im Urteilsspruch liegt darin, einerseits Lebenssachverhalte voneinander abzugrenzen, um Mehrfachverurteilungen hintanzuhalten, und andererseits jene als verwirklicht angesehenen entscheidenden Tatsachen zu bezeichnen, auf welche die gesetzliche Deliktsbeschreibung der strafbaren Handlungen abstellt ( Lendl , WK-StPO § 260 Rz 9). Fehlende, ungenaue oder unzutreffende Angaben über Zeit und Ort der Tat begründen es sei denn, sie wären ausnahmsweise rechtlich entscheidend (etwa im Zusammenhang mit der Verjährung, dem Schutzalter oder der Identität von Anklage und Schuldspruch) keine Nichtigkeit aus Z 3, wenn die Tat sonst hinlänglich individualisiert und eindeutig von anderen unterscheidbar ist (RIS Justiz RS0098693; vgl Lendl , WK-StPO § 260 Rz 14).

Fallbezogen ist die spruchmäßige Anführung einer unbestimmten Anzahl von Angriffen auf das namentlich genannte Tatopfer, die der Täter in einem bestimmten Zeitraum vorgenommen hat, aus Z 3 unbedenklich, zumal auch die Beschwerde nicht darlegt, weshalb Zeit und Ort zur Individualisierung der Taten von Bedeutung sein sollten (vgl RIS-Justiz RS0117498; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 290).

Auch die weitere Verfahrensrüge geht schon im Ansatz fehl, weil sie nicht einmal behauptet, dass der Ausschluss der Öffentlichkeit (ON 63 S 3) sachlich nicht gerechtfertigt gewesen wäre (RIS-Justiz RS0109959, RS0098132).

Die im Übrigen nicht zutreffende (vgl die Voraussetzungen des § 263 Abs 1 letzter Satz StPO) Kritik an der „Ausdehnung des Strafantrags ohne Zustimmung des Angeklagten“ übersieht, dass der Schöffensenat bezüglich der von der Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung neu inkriminierten Straftaten nach § 83 Abs 1 StGB (ON 63 S 5) und nach „§§ 12, 15, 288 Abs 1 und 4 StGB“ (ON 63 S 29 ff) mit „Faktenausscheidung“ (ON 63 S 45) vorging.

Mit der lapidaren Behauptung, „Verfahrensrecht“ wäre verletzt, weil das Protokoll der Hauptverhandlung nicht erkennen lasse, dass eine Verlesung oder ein Referat der Vorsitzenden über bisherige Verfahrensergebnisse stattgefunden habe, wird kein Nichtigkeitsgrund prozessförmig zur Darstellung gebracht (RIS Justiz RS0115902). Im Übrigen knüpfte nach dem Inhalt des Bezug habenden Hauptverhandlungsprotokolls ON 63 der Schöffensenat mit dem Einverständnis der Parteien an die bis dahin vorliegenden Verhandlungsergebnisse an (ON 63 S 3; vgl Danek , WK-StPO § 276a Rz 3, 8 und 10).

Zu dem unter Z 4 in Bezug auf die neuerliche Vernehmung der Zeugin Manuela Gr***** und auf die Beiziehung eines Sachverständigen Vorgebrachten kann auf das bei Behandlung der Nichtigkeitsbeschwerde des Erstangeklagten Ausgeführte verwiesen werden. Die in der Beschwerde nachgetragenen weiteren Argumente als Versuch einer Fundierung des Antrags verstoßen gegen das Neuerungsverbot und sind unbeachtlich (RIS-Justiz RS0099618).

Der Antrag auf Vernehmung des Zeugen Rasim M***** konnte schon deshalb abgewiesen werden, weil dieser Zeuge bloß zu Wahrnehmungen in Betreff des ausgeschiedenen, somit nicht urteilsgegenständlichen Faktums vernommen werden sollte.

Der Erledigung der Mängelrüge ist vorauszuschicken, dass der Nichtigkeitsgrund der Z 5 auf Undeutlichkeit (erster Fall), Unvollständigkeit (zweiter Fall), inneren Widerspruch (dritter Fall), fehlende oder offenbar unzureichende Begründung (vierter Fall) sowie Aktenwidrigkeit (fünfter Fall) der angefochtenen Entscheidung zielt. Dabei ist unter dem Aspekt der gesetzeskonformen Darstellung stets an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe Maß zu nehmen (RIS-Justiz RS0119370; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 394).

Eben diese gebotene Gesamtschau unterlässt der Beschwerdeführer jedoch mit der Behauptung nicht hinreichender Begründung der subjektiven Tatseite (s aber US 23 f) und verkennt überdies, dass der Schluss vom objektiven Tathergang auf den Vorsatz keineswegs eine Scheinbegründung darstellt, sondern bei (wie hier) leugnenden Angeklagten in aller Regel methodisch gar nicht zu ersetzen ist (RIS-Justiz RS0098671 [insb T5], RS0116882 [insb T1]).

Das Vorbringen, es mangle an einer Begründung, „was Gr***** gemeint, was sie gewollt, was sie nicht gewollt“ habe und wie sie von „jedem einzelnen Angeklagten warum verstanden worden“ sei, zeigt gar kein Begründungsdefizit auf, übergeht erneut die ausführlichen Erwägungen des erkennenden Gerichts (US 13 bis 24) und bekämpft letztlich bloß in unzulässiger Weise nach Art einer Schuldberufung die Beweiswürdigung des Schöffensenats.

Undeutlichkeit liegt dann vor, wenn nicht unzweifelhaft erkennbar ist, ob eine entscheidende Tatsache in den Entscheidungsgründen festgestellt wurde oder auch aus welchen Gründen die Feststellung entscheidender Tatsachen erfolgt ist, nicht aber wie die Beschwerde behauptet weil ein einzelner Satz der erstgerichtlichen Begründung (US 15) „semantisch“ unklar sei, was im Übrigen angesichts des in der Beschwerde nicht zitierten zweiten Satzteils gar nicht zutrifft.

Die Bestimmungen des § 252 StPO sind unter dem Aspekt der Z 5 vierter Fall nur insoweit von Bedeutung, als das Urteil nicht auf ein in der Hauptverhandlung nicht vorgekommenes (§ 258 Abs 1 StPO) Beweismittel gründen darf (RIS-Justiz RS0111533, RS0113209; Ratz , WK StPO § 281 Rz 238). Von einem Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz und einer demzufolge offenbar unzureichenden Begründung (Z 5 vierter Fall) kann keine Rede sein, weil der wesentliche Akteninhalt, insbesondere die kontradiktorische Vernehmung der Manuela Gr***** ON 10 mit Einverständnis der Beteiligten in der Hauptverhandlung von der Vorsitzenden vorgetragen wurde und solcherart auch gesetzeskonform dort vorgekommen ist (ON 63 S 49).

Der formelle Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 5a StPO greift seinem Wesen nach erst dann, wenn aktenkundige Beweisergebnisse vorliegen, die nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen aufkommen lassen. Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen wie sie die Berufung wegen Schuld des Einzelrichterverfahrens einräumt wird dadurch nicht eröffnet (RIS Justiz RS0099455, RS0119583; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 449, 488 ff). Indem der Beschwerdeführer erneut die Aussage des Opfers thematisiert, der Verantwortung der Angeklagten gegenüberstellt, nur Letztere als „glaubwürdig und plausibel“ bezeichnet und auf mehrere Zeugenaussagen verweist, die wiederum das ausgeschiedene Faktum betreffen, gelingt es ihm nicht, beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken in obigem Sinn zu erwecken.

Die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten waren daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde folgt (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).

Das Begehren des Angeklagten Martin G***** auf außerordentliche Wiederaufnahme des Strafverfahrens war abzuweisen, weil er zur Antragstellung nicht legitimiert ist (§ 362 Abs 1 Z 2 StPO). Entsprechende Anträge von Privaten sind nach dem Wortlaut des § 362 Abs 3 StPO ohne meritorische Prüfung abzuweisen, wobei es sich der Sache nach um eine Zurückweisung handelt (RIS-Justiz RS0101133, RS0101139; vgl 12 Os 110/11k).

Im Übrigen hegt der Oberste Gerichtshof auch von sich aus keine eine solche Maßnahme rechtfertigenden erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem angefochtenen Urteil zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen (§ 362 Abs 1 Z 1 StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rückverweise